Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

IOS PASSION
(Harrison Birtwistle)
22. April 2012
(Premiere am 7. April 2012)

Theater Magdeburg, Schauspielhaus


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Liebe, Lust, Leiden...

So richtig entspannt oder mit  fröhlichem Herzen geht wohl keiner der Zuschauer an diesem Sonntagabend nach der Aufführung der Kammeroper Ios Passion in den Magdeburger Kammerspielen nach Hause. Nein, es gibt auch kein Happy End, obwohl es vorwiegend um Liebe, Lust, ein wenig Sex, Leiden und unübersichtliche Beziehungen geht. Man wüsste so gerne, wer denn nun mit wem und wer nicht und ob. Dann sind da noch die Probleme mit den Göttern, die den Menschen rätselhaft und sich untereinander nicht grün sind. Wie sollen da die Protagonisten, erst recht die Zuschauer die Übersicht behalten? Dabei will ihnen der Autor nachhaltig helfen, indem er das Thema gleich sieben Mal mit immer neuen Variationen wiederholt. Aber das nutzt wenig.

Das Spiel um den Versuch eines Mannes, zu einer Frau wieder in Kontakt zu treten, mit der er schon einmal in Liebe verbunden war,  findet in  zahlreichen  Variationen und Formen ihren – letztlich vergeblichen – Ausdruck. Assoziationen aus der griechischen Mythologie um Io, Hera und Zeus verweben sich mit nicht klar abgegrenzten Traumvisionen und Wunschvorstellungen, die der Zuschauer mal aus der Innensicht der Betroffenen, mal aus der Außensicht eines Beobachters erahnen kann.

Das Magdeburger Theater möchte mit der Kammeroper im Schauspielhaus wieder etwas Außergewöhnliches bieten. Das gelingt. Oliver Klöter hat sich eng an Text und Musik von Birtwistle orientiert und eine Aufführung entlang dieser Vorgaben inszeniert: sparsam, widerspenstig, kühl, intellektuell. Emotionen kommen nur, selbst beim Sex hinter der Bühne, in akustischen Andeutungen vor. Alle Gestalten wirken kontrolliert, gehemmt, kühl bis in die Seele – obwohl es um Liebe und Leid geht. Das Alltags-nüchterne Bühnenbild von Christiane Hercher verströmt den Charme einer Bahnhofshalle nach Dienstschluss, allerdings mit einer wesentlichen Ergänzung. Die geteilte Bühne bietet rechts den Einblick in das Tee-Lese-Zimmer einer Wohnung, mit einem Blick durch ein Fenster auf die Straße. Links wird dieser Blick um 180 Grad verkehrt, die Zuschauer werfen einen Blick von der Straße durch das Fenster in die Wohnung. In den szenischen Wiederholungen werden die Rollos dieser beiden Fenster immer parallel geöffnet und geschlossen, ein gekonnter Spiegeleffekt. In dieser Umgebung bewegen sich Männerfiguren, alle in gleicher Kleidung, stets langsam und gemächlich, durchweg schweigend, ähnlich wie die Frauenfiguren, die ebenfalls gleiche zeitlos heutige Kleider tragen.

Dieser kargen Ausstattung entspricht die Musik, die von einem fünfköpfigen Kammerorchester in der Besetzung mit zwei Violinen, Viola, Violoncello und Bassettklarinette aus dem Hintergrund der Bühne verdeckt eingespielt wird. Über viele Passagen bieten die Streicher schwebende, sphärische Klänge, die eine jenseitige Stimmung erzeugen, die Klarinette fügt dem freie, oft klagende Linien hinzu. Den Schauspielern und Sängern hat der Regisseur viele stumme Passagen auferlegt. Das erste Wort fällt nach gut zehn Minuten, auch zwischendurch gehören Stillephasen zur Dramaturgie und zur Stimmung dieses Abends, der mehr gestisch als kammermusikalisch gestaltet ist. Die sparsamen Gesangspassagen der Sopranistinnen Ute Bachmaier und Teresa Sedlmaier und – noch karger – des Baritons Erwin Belakowitsch deuten die Stimmqualität der Sänger nur an, man hätte gern mehr gehört.

Nach Worten des Librettisten Stephen Plaice sei diese Kammmeroper sowohl eine Installation als auch ein Drama. Die knappe Figurenausstattung und die minimalistische Musik machen aus Ios Passion zweifellos eine „moderne“ Oper, der Opulenz und harmonische Klänge fehlen. Für Birtwistle selbst ist sein Werk wohl eine Oper.

Der Magdeburger Inszenierung und insbesondere den Schauspielern und Sängern gelingt es, mit minimalen Mitteln und verhalten-kontrolliertem Spiel eine Spannung aufzubauen und bis zum Schluss zu halten – eine bemerkenswerte Leistung. Das haben auch die viel zu wenigen Zuschauer empfunden, die sich ausgiebig für diesen außergewöhnlichen Abend bedanken.

Horst Dichanz

 





Fotos: Nilz Böhme