Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DER BARBIER VON SEVILLA
(Gioacchino Rossini)
25. Januar 2014
(Premiere)

Theater Magdeburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 

Nach der Premiere


Regisseur Christian von Götz darf die Korken knallen lassen. Eine absolut gelungene Premiere liegt gerade hinter mir. Neben einer durchdachten Inszenierung trägt vor allem ein unglaublich gut aufgelegtes Ensemble zum Erfolg bei (5'03).

 

zurück       Leserbrief

Friede und Freude

Es ist lausig kalt in Magdeburg. Das ist gut für das Theater. Mit großen Schritten eilen die Menschen in das Opernhaus, um sich im gut geheizten Publikumssaal aufzuwärmen. Kaum ein Stuhl bleibt unbesetzt. Da trifft es sich gut, dass just zu diesem Zeitpunkt eine Oper gegeben wird. Und weil der Magdeburger an sich ein Mensch mit Humor ist, bietet es sich an, eine kräftige Prise davon auf die Bühne zu bringen. So etwas gelingt so gut wie selten mit Rossini. Mit dessen Friseur aus dem spanischen Städtchen Sevilla ist ja im Laufe der Jahrhunderte allerhand Schabernack getrieben worden. Aber er gibt sich gern unverwüstlich.

Jetzt versucht sich Christian von Götz an dem Werk. Er öffnet nicht ein Pulverfass, sondern lässt vielmehr eines nach dem anderen hochgehen. Und da kracht es mächtig auf der Bühne. "Der kleine Christian kann jetzt aus dem Kinderparadies abgeholt werden", so oder ähnlich wird der Satz gelautet haben, der den Regisseur viele Jahre später veranlasst, sein frühkindliches Trauma auf der Bühne abzuarbeiten. Und so baut Bühnenbildner Ulrich Schulz das Innere des Hauses von Dottor Bartolo als kreisrundes Spielparadies im doppelten Wortsinn. Im Zentrum ein mit Schaumstoffbällen gefülltes Bassin. Links davon läuft eine Treppe an der Außenmauer nach oben zur Tür, die offenbar zu verschiedenen Orten - mal zum Ausgang, mal zum Balkon - führt. Auf der rechten Seite führt eine Rutsche ebenfalls an der Außenmauer nach unten. Unter der Rutsche gibt es noch Türen, die zu anderen Räumlichkeiten führen. Das Ganze ist als Drehbühne aufgesetzt, und wenn die sich dreht, kommt folgerichtig die Außenmauer des Hauses in den Vordergrund. Dann wird die eben noch so farbenfrohe, vornehmlich gelb gehaltene Bühne plötzlich ziemlich grau. Also wird so selten wie möglich gedreht. Stattdessen hat Schulz einen halbhohen Vorhang an der Rampe aufhängen lassen, der an ein mit Kinderhand bemaltes Bettlaken erinnert. Der kann nun beliebig oft auf und zu gezogen und auch sonst ganz nebenbei für allerlei lustige Einfälle genutzt werden. Das Drahtseil, an dem der Vorhang aufgehängt ist, war übrigens zu derlei Nutzen ziemlich aktuell zu der Zeit, als der kleine Christian ..., na, Sie wissen schon.

Auch mit den Kostümen treiben es Schulz und Verena von Götz ziemlich bunt. Da kommt der Barbier mit stilisiertem Friseurkittel noch glimpflich weg. Bartolo in froschgrünem Anzug als Öko-Fetischist, Basilio in kräftigem Kanariengelb, Rosina in knackigen, pinkfarbenen Hotpants: Was ist das schon gegen die Soldaten, die als stilisierte Orangen auftreten? Oder den Chor, der in bunten Hemden und silberfarbenen Schlaghosen mit dazugehörigen Langhaarperücken an die schlimmsten modischen Verfehlungen der Pop-Geschichte erinnert? Da muss jemand ziemlich durchgeknallt sein, um auf solche Ideen zu kommen. Wenn man allerdings erlebt, was auf der Bühne während einer einzigen Aufführung an allen nur erdenklichen Drogenformen konsumiert wird, wird nicht nur klar, warum Marcellina mit einem Dauerniesen zu kämpfen hat. Dennoch bleibt die Aufführung jugendfrei; es werden keine Kostproben an das Publikum ausgegeben. Aber die brauchst du in dieser Inszenierung auch nicht. Du sitzt da und staunst wie ein kleines Kind, was auf einer einzigen Bühne alles in so kurzer Zeit passieren kann, grinst über das ganze Gesicht und findest Oper großartig.

Das kann einerseits gelingen, weil von Götz absolut schlüssig inszeniert, und vor allem auch, weil er ein formidables Team auf die Bretter geschickt hat, um weder Klamauk noch einen Schwank, sondern einfach einen Riesenspaß zu veranstalten. Bei dieser Rosina versteht man sogleich, warum sie alten Säcken wie jungen Männern den Kopf verdreht hat, noch ehe sie den Mund öffnet. Wenn Idealbesetzung Hale Soner allerdings ihren Sopran leuchten und glänzen lässt, sind nicht nur die Männer im Saal verzückt. Dazu zeigt sie ein schauspielerisches Talent, das bei Sängerdarstellerinnen durchaus nicht selbstverständlich ist. Aber damit fügt sie sich gut in die Reihe hervorragender Einzelleistungen ein. Herausragendes komödiantisches Talent beweist Gocha Abuladze, bei dem es letztlich reicht, die Augenbraue nach oben - nach ganz weit oben - zu heben, um beim Publikum für fröhliches Kichern zu sorgen. Dass er durchaus mehr drauf hat, beweist er beispielsweise, wenn er am Seil schwingend seinen wunderbaren Bariton zum Besten gibt. Wie viele Barbiere musste man ertragen, ehe man endlich diesen Abuladze erleben darf! Oder wie wäre es mit einem grandiosen Bass? Nicht ganz so sportlich wie der Figaro, aber mit einer Stimme, die so klar und rund und federleicht ertönt, wenn er längst in der Schuhsohle singt, erfreut Johannes Stermann das Publikum als Basilio. Den Mangel an Beweglichkeit gleicht der mit dem Dauerkonsum von Riesen-Joints und pinkfarbener Haarpracht aus.

Vorübergehend muss er auch mal in die Verkleidung von Basilios Schüler schlüpfen - und diese Stimme vergisst man nicht mehr: Manuel Günther ist der Jungstar am Stadttheater und begeistert nicht nur mit jugendlich frischem Tenor als Graf Almaviva, sondern auch mit Spielfreude und Engagement. Man kann Almaviva sicher auf viele Arten interpretieren. In Magdeburg kann man sich jetzt anschauen, wie es am besten geht. Im Theater jedenfalls gibt es wohl keinen, der nicht davon überzeugt ist, dass Günther gerade auf dem Weg ist, die Stufen zum Sprungbrett zur ganz großen Karriere empor zu klettern. Der Bartolo dieser Inszenierung, Martin-Jan Nijhof, würde das vermutlich eher mit einem Fahrrad bewältigen wollen. Braucht er aber nicht. Sein ausgereiftes Talent stellt er hier in Stimme und Darstellung herrlich unprätentiös zur Schau. Auch Ute Bachmaier bewältigt ihre komödiantisch überaus anspruchsvolle Rolle mit scheinbarer Leichtigkeit und Authentizität. Zwei Stunden rennt sie schnupfend oder niesend oder dem Niesreiz in letzter Sekunde entgehend über die Bühne, um anschließend die schöne Arie der Marcellina herzerfrischend vorzutragen. Manos Kia als Fiorello, Wolfgang Klose als Ambrogio und Roland Fenes als Offizier runden das herrlich turbulente Geschehen ab.

Wunderbar auch der von Martin Wagner vortrefflich einstudierte Chor, der mit sichtlicher Freude seine schauspielerischen Aufgaben als Musik-Band übernimmt. Man kann Rossini unter Drogen genießen, mitunter reicht es aber auch, wenn die Protagonisten genug davon bekommen. Dann findet der Regisseur auch leichter den Mut, selbst Hand an die Musik zu legen. Gut, wenn er dann einen Musikalischen Leiter wie Michael Balke zur Seite hat, der nicht nur bereit ist, das Feuerwerk an Ideen mit zu zünden, sondern auch die richtigen Zündschnüre zur rechten Zeit entfacht. Das gelingt dem jungen Balke, wie es scheint, mit leichter Hand. Im Graben sitzen die Feuerwerker des Abends von der Magdeburgischen Philharmonie, die den rechten Funken finden, ohne die Akteure auf der Bühne zu übertönen. Und am Hammerklavier macht Tamás Molnár ohnehin jeden Spaß mit.

Das Publikum, das schon während der Aufführung seine Begeisterung nicht verborgen hält, zeigt am Ende dem Ensemble, wie ein Feuerwerk auf der anderen Seite des Grabens aussieht. Die ganze Skala vom Johlen, Pfeifen, Füßetrampeln, Dauerklatschen bis zu stehenden Ovationen erzählt dem Bühnenteam vor allem eines: Hier ist gerade ein wirklich großer Abend gelungen. Pace e gioia. Und nächstes Jahr treffen wir alle uns ganz sicher in San Francisco wieder - mit Blumen im Haar.

Michael S. Zerban

 







Fotos: Nilz Böhme