Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DER UNTERGANG DES HAUSES USHER
(Philip Glass)
30. März 2011
(Premiere: 25. März 2011)

München,
Staatstheater am Gärtnerplatz


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

In der Schwebe

Zu Beginn liegt ein weißes Tuch über allem. Aus dem Off wird ein Brief verlesen. Roderick Usher bittet seinen „einzigen, letzten Freund“ William dringend um einen Besuch.

Musik setzt ein. William kommt durchs Publikum. Er wirkt wie ein sympathischer Sonderling. Das Tuch wird weggezogen. Über eine ausgebleichte, aus Schiffsplanken zusammen gezimmerte Treppe wölbt sich eine gigantische Knochenskulptur. Das Skelett eines urzeitlichen Riesentiers? Das Grundgerüst einer gotischen Kirche? Alles ist fast ständig in Bewegung. Zu dieser mobilen Architektur gehören sechs Tänzer. Sie tanzen Butoh, den japanischen Reflex auf den europäischen Ausdruckstanz. Ihre kleinen, ruckartigen Kopf- und Armbewegungen lenken das Ohr auf die Musik.

Glass’ Oper nach der handlungsarmen Erzählung von Edgar Allan Poe ist „Minimal Music“. Kleinste musikalische Strukturen werden scheinbar in endloser Wiederholung aneinander gereiht, verändern sich dabei aber unmerklich. Lukas Beikircher führt das mit dem Gärtnerplatzorchester prägnant und leidenschaftlich vor.

Bilder, Bewegung und Klänge verbinden sich zu einer intensiven, unwirklichen Atmosphäre, der sich im Publikum niemand entziehen kann. 100 Minuten lang wird nicht gehustet am Gärtnerplatz.

Alles scheint sich in der Schwebe zu befinden zwischen Tag und Traum, Leben und Tod im „Hause Usher“, auch seine Bewohner, etwa der von Hans Kittelmann beängstigend dämonisch verkörperte Arzt. Roderick Usher und seine Schwester Madeline kreisen um sich selbst wie das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic, degeneriert, handlungsunfähig, sterbenskrank. William, der vorzügliche Bariton Gregor Dalal, wird eingesponnen in diese Aura des Verfalls. Seine einzige Waffe sind Worte. Madeline hat dieses Mittel schon nicht mehr zur Verfügung. Sie singt nur noch endlose Vokalisen, selbst noch nach ihrer Beerdigung, bis sie endlich im Sarg stirbt. Ella Tyran macht das großartig und berührend.

Roderick, verkörpert von Harrie van der Plas mit etwas kloßigem, sich geradezu einbrennenden Tenor, legt sich auf ihren Sarg und begrüßt den Tod. William steht hilflos daneben. Aus dem Bühnenhimmel fallen Rosenblätter. Das Bühnenbild rotiert und beginnt zu versinken. Schluss.

Carlos Wagner ist eine fesselnde Inszenierung gelungen. Leider vertraut er nicht durchgängig der Sogkraft von Stoff und Musik. Dann lässt er mit die Handlung illustrierenden Requisiten hantieren, etwa mit realem Bettzeug oder Neonröhren, die vermutlich Poes Irrlichter darstellen sollen. Das irritiert den Zuschauer und wäre zum Verständnis nicht nötig gewesen, zumal die – stark artikulierte - deutsche Fassung gespielt wird und gut zu verstehen ist.

Der Untergang des Hauses Usher ist sicher nicht Glass’ stärkstes Werk für das Musiktheater, bietet aber die Möglichkeit für einen spannenden, ungewöhnlichen Theaterabend – wenn jemandem etwas dazu einfällt wie jetzt in München.

Andreas Falentin

 







 Fotos: © Hermann Posch