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Fakten zur Aufführung 

ROMÉO ET JULIETTE
(Charles Gounod)
17. August 2011 (Premiere)

Liège, Palais des Princes-Evêques

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Audiobeitrag

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie den Audiobeitrag unseres Korrespondenten Michael S. Zerban (3‘40).

 
 

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Leidenschaft im Schlosshof

Im „historischen Herzen“ von Liège – so romantisch bezeichnen die Lütticher Bürger ihre Altstadt – liegt das Palais des Princes-Evêques, ein Bau aus uralten Zeiten. Einstmals Kathedrale, mehrfach geschliffen und wiederaufgebaut, erstrahlt er heute als historisches Gebäude und Justizpalast. Einen passenderen Ort für eine unglückliche Liebesgeschichte, in der es auch um Gerechtigkeit geht, kann man sich wohl kaum vorstellen. Allerdings: Die Akustik des Innenhofs gleicht eher einem Wattebausch denn der einer Opernbühne. Da erscheint die elektronische Verstärkung von Stimmen und Instrumenten zunächst als unabdingliche Voraussetzung, möchte man an diesem schönen Ort eine Open-air-Oper aufführen. Und es soll einer der Höhepunkte des belgischen Musiksommers werden, versprechen die Veranstalter. Der Himmel ist bleigrau und regenschwer. Längst haben die umliegenden Kneipen ihre Terrassentische unter die Markisen zurückgezogen.

Es passiert, was zu befürchten war. Und zwar pünktlich mit dem Auftritt des Veranstalters, Cédric Monnoye, der die Gäste begrüßt, die sich augenblicklich unter einem Meer von Regenschirmen verschanzen, und die Beteiligten der Aufführung vorstellt. Regisseur François de Carpentries, den deutsche Opernfans vor allem aus Produktionen in Krefeld Mönchengladbach und Wuppertal kennen, hat sich eine Mantel- und Degengeschichte ausgedacht, die mit viel Action daherkommt. Es funktioniert und macht Spaß. Selbst als es zu handfesten Fechtereien vor der Bühne kommt, steigert das die Spannung, anstatt ins Groteske abzugleiten. Passend zur Idee des Regisseurs hat Karine van Hercke die Bühne eingerichtet und die Kostüme adaptiert. Im vorderen Drittel gibt es ausreichend Lauf-, Spiel- und Tanzfläche, im linken Drittel ist Raum für einen Block, der als Altar, Sarkophag und Ruhestätte fungiert, im rechten Drittel ist ein zeltähnlicher Bau angeordnet, der dem Orchester ein trockenes Spiel erlaubt und dessen Dach den berühmten Balkon bildet. In diesem Szenario können sich die Akteure in ihren historischen Kostümen großzügig bewegen, so weit das an diesem Abend die regennasse Fläche zulässt.

Beharrlich regnet es, wenn der Chor – den Thierry Vallier vortrefflich einstudiert hat, als Duc glänzt er zugleich stimmlich selbst – die glatte Bühne betritt, und es regnet, wenn er versucht, die Tanzszenen in der Choreographie halbwegs so hinzubekommen, wie er es mit Angela Gonzalez-Sanchez so oft geprobt hat. Die künstliche Beschallung, so ausgewogen sie ist, verträgt sich mit dem Regen nicht. In dem Moment, in dem Fabienne Conrad die Stimme der Juliette erhebt, fällt ihr Mikrofon komplett aus. Sie singt weiter, als sei nichts geschehen. Zwar kommt sie in der Lautstärke gegen den Wattebausch des Hofes nicht ganz an, bleibt aber unglaublich differenziert bis in die Koloraturen hinein. Erst im dritten Akt, nach dem zweiten Kostümwechsel, gelingt es, das technische Problem in den Griff zu bekommen und das ganze Können der Sängerin erstrahlen zu lassen. Sie ist nichts weniger als die Idealbesetzung einer Juliette: leicht und jugendlich in Bewegung und Gesang, leidensfähig wie leidenschaftlich, wenn es um den Geliebten geht. Den Roméo gibt Tenor Mickael Fischi-Spadaccini ohne Fehl und Tadel, überzeugt mit hoher Glaubwürdigkeit, auch wenn die Maske – warum muss ein Roméo bleich geschminkt sein? – irritiert. Herausragend auch Florent Huchet, der als Frère Laurent zeigt, dass ein Bass nicht brummeln muss, sondern durchaus klar und verständlich singen und gerade dadurch beeindrucken kann. Und wenn er demnächst das unmoderne, aber eben nicht historische Brillengestell weglässt, ist er perfekt. Auch die übrigen Akteure überzeugen mit stimmlicher Klarheit, dass man auf die nahezu perfekten Übertitel hätte ohne Weiteres verzichten können. Ob Koen van Agtmael als Capulet, Daniel Galvez-Vallejo in der Rolle des Tybalt oder Lies Vandewege den Stéfano singt, hier bleibt kein Wunsch offen.

Wenn es um die Klarheit in der musikalischen Leistung geht, beeindruckt ebenfalls das Orchester Nuove Musiche unter der Leitung von Yannis Pouspourikas, der mit leichter, aber umso sicherer Hand und großer Geste die Beteiligten durch das feuchtfröhlich-dramatische Geschehen geleitet.

Ein einziges Mal unterbricht die Spielleiterin, die an diesem Abend sicher keine Zeit hat, Luft zu holen, dann doch für einige Minuten. Sie selbst trocknet den Block, auf dem sich das sterbende Liebespaar zur letzten Ruhe bettet, ehe Conrad und Fischi-Spadaccini noch einmal alle Leidenschaft dem Publikum schenken.

Einem Publikum, das es sicher nicht leicht hat, zwei Stunden im Regen auf den Stühlen auszuhalten. Ob das Grund genug sein kann, ständig und permanent zu schwätzen, wenn man schon nicht mitten in der Aufführung seine stilettos über das Kopfsteinpflaster zum Ausgang stöckeln lässt, bleibt dahingestellt. Mit seinem mäßigen Applaus, der zudem rasch verebbt, hat es sich allerdings angesichts einer, ja: grandiosen Aufführung ziemlich blamiert. Bleibt dem Ensemble für die nächsten Vorstellungen in den Schlössern von Cercle de Wallonie und La Hulpe zu wünschen: Mehr Glück mit dem Wetter und dem Publikum.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Idée Fixe/Opernnetz