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Fakten zur Aufführung 

DER ZWERG/
EINE FLORENTINISCHE TRAGÖDIE

(Alexander von Zemlinsky)
18. April 2014
(Premiere)

Theater Lübeck


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Einfach stimmig

Ein Pärchen sitzt eng aneinander geschmiegt am vorderen Bühnenrand – zumindest solange, bis sie ihn brüsk von sich wegstößt. Er setzt sich daraufhin an den Flügel und beginnt zu komponieren. Er ist der Autor der Oper, Alexander von Zemlinsky, sie die schöne Alma Schindler, zukünftige Mahler. Mit diesem Szenario während des Vorspiels beginnt Bernd Reiner Krieger seine Inszenierung von Der Zwerg, ein autobiografisch angehauchtes Werk. Der Komponist wird selbst zum Zwerg, zum Außenseiter, den die schöne Infantin zu ihrem 18. Geburtstag bekommt. Alle wissen, dass er missgestaltet ist – nur er selbst nicht. Der Zwerg hält sich für einen strahlend schönen Ritter, der die Prinzessin begehrt und vermeintlich auch von ihr geliebt wird. Sie treibt ein böses Spiel mit ihm, an dessen Ende unweigerlich der Blick in den Spiegel und damit sein Tod steht.

Nur eineinhalb Jahre nach der leidenschaftlichen Beziehung zu Zemlinsky lernt Alma Schindler Gustav Mahler kennen und heiratet ihn kurze Zeit später. Zurück bleibt ein verwirrter Komponist am Klavier, der sich zu immer neuen Wendungen in der Partitur hinreißen lässt – ein kluger Geniestreich von Krieger, mit dem er den zweiten Einakter des Abends, Eine florentinische Tragödie, zu ihrem Ende kommen lässt.

Beide Opern sind dabei in eine düstere Welt getaucht, für die Roy Spahn verantwortlich zeichnet. Inmitten einer Umgebung aus dunklem Holz findet in Der Zwerg ein Jahrmarkt der Absonderlichkeiten statt: Biedere Zofen konkurrieren mit überbunten, als Schmetterlinge, Käfer und andere Gartentiere verkleidete Mädchen um die Herrschaft über den Geschenketisch der Infantin und seine Ordnung. Mit liebevollen Details und perfekt abgestimmtem Kopfschmuck macht Spahn die Kostüme zu einem Höhepunkt der Aufführung.

Am Premierenabend ist die Besetzung des Zwerges leider geteilt: Aufgrund einer Atemwegserkrankung kann Fulvio Oberto die Hauptfigur nur spielen, als Sänger tritt Erik Fenton auf. Trotz wenig Vorbereitungszeit meistert er seinen Gesangspart wunderbar, mit (bisweilen zu) kräftigem Tenor unterstützt er den darstellerisch starken Oberto sicher auf der Bühne. Oberto gibt die Verwandlung von dem recht selbstbewussten „Ritter“ in den ganz und gar verletzten, am Boden sich windenden Hofnarren mit viel Leidenschaft und Empathie. In starkem Kontrast dazu tritt die beim Hofstaat beliebte Infantin auf, die nach dem Tod des Zwerges nur ein „geschenkt und schon verdorben“ murmelt. Noa Danon zeigt sich von ihrer kühlen Seite und gibt die 18-jährige Infantin mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Verachtung der äußeren Gestalt, aber auch Respekt für die künstlerische Begabung des Zwerges. Ihr klangschöner Sopran hätte sich in den emotionalen Szenen allerdings noch mehr steigern dürfen. Mit herrlichem Timbre überzeugt Evmorfia Metaxaki als Ghita, Lieblingszofe der Infantin, und mit viel Witz Teras Konoshchenko als Haushofmeister Don Estoban.

In dem intimen Kammerspiel Eine florentinische Tragödie begeistert Gerard Quinn als Kaufmann Simone. Er, der in seinem eigenen Haus betrogene Ehemann, verwandelt sich im Lauf von einer Stunde in einen selbstbewussten, starken Mann, der sich vor dem Liebhaber nicht mehr fürchtet und ihn in einem Duell besiegt. Seine Siegesprämie: die neu gewonnene Liebe seiner Frau. Dabei lässt er seinen Worten und seiner Figur den nötigen Spielraum, um Andeutungen zum zu erwartenden Ende des Abends möglichst lange wie einen bloßen Aussagesatz, nicht wie eine Drohung, im Raum stehen zu lasen. Wioletta Hebrowska in der Rolle der Ehefrau Bianca lässt gut erkennen, dass ihr an der langweiligen Ehe das leidenschaftliche Element und die Stärke ihres Partners gefehlt haben. Kaum liegt der Liebhaber, schließt sie bewundernd ihre Arme um Simone, den Kämpfer. Ihr variabel-leidenschaftlicher Mezzo passt wunderbar zu dieser Rolle. Als Liebhaber zeigt Wolfgang Schwaninger sein Können: Er präsentiert einen genial hochmütigen Prinzen von Florenz, der sich nicht träumen lässt, dass er am Ende der Gehörnte ist. Mit schön schmelzendem Tenor kann er leider nur Bianca verzaubern – und das noch nicht einmal lange.

Nicht nur in der Titelpartie, auch im Orchester muss sich das Theater Lübeck flexibel zeigen: Für den erkrankten Generalmusikdirektor Ryusuke Numajiri tritt sein Stellvertreter und Kapellmeister Andreas Wolf ans Dirigierpult – und meistert die Partituren mit Bravour. Anfangs zwar etwas zu laut, findet er nach einiger Zeit die richtige Balance zwischen Orchester- und Singstimmen und lässt besonders die Streicher mit vielen Spannungsbögen die Stimmungen, von Wut über Eifersucht bis zu unausgesprochener Rache, untermalen.

Joseph Feigl hat den Chor des Theater Lübecks perfekt einstudiert, überhaupt ist diese Aufführung absolut stimmig, das beweist auch der lang anhaltende Schlussapplaus für die Darsteller, das Orchester und das Regieteam. Wer sich für die Werke Zemlinskys begeistert, wird seine wahre Freude an der Inszenierung in Lübeck haben.

Agnes Beckmann

Fotos: Jochen Quast