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Fakten zur Aufführung 

IDOMENEO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
24. März 2013
(Premiere am 22. Februar 2013)

Theater Lübeck

Points of Honor                      

Musik

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Grandioses Wasserspiel

Die Geschichte der Opera seria Idomeneo von Wolfgang Amadeus Mozart ist eine Geschichte der Wandlung: So wurde die Tragédie en musique Idoménée des Komponisten André Campra 1712 uraufgeführt. Im Libretto von Antoine Danchet ist die gottgewollte Sohnesopferung noch ein Randthema in der Folge des trojanischen Krieges, und Idomeneo bringt seinen Sohn versehentlich um, weil er durch Götterzorn mit Wahnsinn gestraft wurde.

Im Alter von 25 Jahren wurde Mozart von einem Kurfürsten mit der Komposition der Karnevalsoper nach Danchets Libretto beauftragt. Der Librettist Giambattista Varesco, Kaplan am Salzburger Hof, übersetzte das Libretto ins Italienische, dichtete die Arientexte neu und versah die Geschichte mit dem standardisierten Lieto-fine-Schluss der Opera seria: Idamante stirbt nicht, sondern wird neuer König von Kreta.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert ereilt Idomenoe das Schicksal so manch anderer Mozart-Oper: Es ist ein komplett neues Drama zu der schon vorhandenen Musik erfunden worden, weil man der Meinung war, Mozart habe sein musikalisches Talent an minderwertige Textbücher verschwenden müssen. Erst in jüngerer Zeit besinnt man sich auf das Original, so beispielsweise bei der Lübecker Aufführung.

Rosetta Cucchi bedient sich des Prinzips der Einfachheit: Ein Bühnenbild, annähernd gleiche Kostüme in allen drei Akten und eine Handlung, die zwar einerseits hoch symbolisch, aber dennoch gut und schnell erfassbar ist. Der Kerninhalt ihrer Inszenierung ist der Widerstreit zwischen Leidenschaft und Rationalität: Ilia, Tochter des im Kampf um Troja gefallenen Königs Priamos, lebt als Gefangene bei den Kretern und verliebt sich in Idamante, den Sohn des kretischen Königs Idomeneo. Er erwidert die Liebe, soll aber durch die Hand seines Vaters als Menschenopfer dem Meeresgott Neptun geopfert werden. Das ist der Preis dafür, dass die Mannschaft eine stürmische Meeresfahrt überlebt hat. Idamante ist dabei ein willkürliches Opfer, der Vater hat Neptun die erste Person, die er an Land trifft, versprochen. Trotz dieser Umstände lassen sich die Liebenden nicht beirren, auch nicht von Elettra, die in Kreta Zuflucht fand und genau wie Ilia um Idamantes Liebe buhlt.

Der Kampf um Freiheit und eines selbstbestimmten Lebens außerhalb der Maschinerie von gottgewollten Opfern und die Wiederherstellung von Verstand und Gefühl stehen also im Mittelpunkt der Inszenierung.

Hand in Hand mit dieser Idee geht das Bühnenbild, das ein rundes Wasserbecken zeigt, welches mit Spiegeln an die Decke projiziert wird und in dessen Mitte sich eine Lichtsäule befindet. Wunderbar atmosphärisch wird das Licht je nach Szene verändert, oder es steigt Rauch rund um das Becken auf. In dem Wasserbecken werden die rauen Meeresszenen gezeigt, aber auch das nicht selbstbestimmte Leben: Die Regisseurin arbeitet mit „Cyborgs“, also Figuren, die eine Verkopplung von Organismus und Maschine darstellen und aus Science-Fiction-Filmen bekannt sind. Von Claudia Pernigotti in hautenge Gummianzüge gekleidet, ist jedem Protagonisten eine Figur zugeordnet, die sich je nach Situation völlig machtlos im Wasser liegend oder auf irgendeine Art agierend auf dem Trockenen befindet. Die Figuren sind großartig gelungen, ganz in grau erscheinen sie, aber einige von ihnen tragen einen blauen Schleier. So passen sie perfekt in das eher düstere und von Wasser bestimmte Geschehen. Einzig Elettra sticht hervor. Mit wallendem, meterlangem blutroten Schleier und in ein schwarzes Kleid gehüllt, ist sie die Verkörperung des Bösen. Beim Gedanken an Rache wird der Umhang komplett um sie herum ausgebreitet und verdeckt alle anderen Figuren. Dabei ist sie gar nicht so böse, eher wütend auf die Liebenden und darauf, dass sie im Kampf um die Trojaner alleine ist.

Valentina Corradetti verleiht dieser dunklen Schönheit wunderbar viel Kolorit. Der Sopran der Einzelkämpferin ist von Stärke und Klangschönheit durchdrungen, und es erstaunt, dass sie Idamante nicht umgarnen kann. Diese männliche Rolle wurde von Mozart für einen Kastraten geschrieben. In neuer Zeit singt aber meist eine Mezzosopranistin diesen Part, so auch in Lübeck. Wioletta Hebrowska mit ihrem schönen, dunklen Timbre glänzt als kämpfender, willensstarker Königssohn, der sich vom Vater nicht unterkriegen lässt. Hebrowskas Darstellung und Stimme polarisieren auf der Bühne so sehr, dass sie bisweilen die einzige Person auf der Bühne zu sein scheint. Ihr absolut ebenbürtig ist Anne Ellersiek als Ilia. Was für ein kraftvoller, bezaubernder Sopran! Und welch Erscheinung, so weiblich, so verletzlich, so stark, einfach großartig. Daniel Szeili in der Rolle des Idomeneo berauscht das Publikum mit seinem lyrischen, kraftvollen Tenor. Leider entspricht seine Mimik nicht seinem Leid, von dem er singt und das er fühlt. 

Den wunderbar starken Stimmen steht die farbenfrohe Umsetzung der Partitur durch Giuseppe Finzi zur Seite. Mozart hat in dieser Oper viele wunderbare Konzertstücke – Recitativi accompagnati, Arien und Ensembles – zusammengebracht und durch Chorszenen und Instrumentalstücke verbunden. Einige dieser rein instrumental oder formal konzipierten Stücke zeichnen sich dadurch aus, dass nichts traditionell, nichts schematisch ist, was diese Oper so frei und kühn macht. Finzi leitet sein Orchester mit Sorgfalt und Sinnlichkeit durch die Partitur und interpretiert die Musik mitreißend.

Und auch Joseph Feigl leitet seinen Chor, vielmehr seine Chöre, denn manchmal gibt es einen präsenten Chor vorne auf der Bühne und einen Fernchor abseits des Geschehens, sehr präzise durch die kantablen Werke. 

Diese Oper ist ein Geschenk an den Opernbesucher, die Bravorufe für Sänger und Orchester drücken dieses fast unzureichend aus. Zu dieser Inszenierung ist dem Theater Lübeck nur zu gratulieren.

Agnes Beckmann

 





Fotos: Oliver Fantitsch