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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
19. April 2014
(Premiere am 25. November 1994)

Royal Opera House Covent Garden London


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Gefühlswelten

Zwanzig Jahre hat Richard Eyres‘ Produktion von La Traviata auf dem Buckel, und ein Ende an der Royal Opera London ist nicht abzusehen. Auch für die nächste Saison ist die Inszenierung wieder eingeplant. Die Einstudierung im Jubiläumsjahr hat Daniel Dooner übernommen, und er hat durch Eyre eine sehr dankbare Vorlage bekommen. Ganz klassisch wird diese Traviata in Szene gesetzt. Doch die optische Aussage kommt nicht von der Regie, sondern durch die Ausstattung von Bob Crowley, der die Bühne und Darsteller opulent ausstattet. Der erste Akt spiegelt den Glanz des Pariser Edelnachtlebens wieder. Auch das zweite Bild des zweiten Aktes, ein Casino im düster-drückenden Gewölbe, ist massentauglich. Die beiden anderen Bilder sind durchaus groß gehalten, strahlen aber eher eine persönliche Schlichtheit aus. Im letzten Bild ist es ein riesiger, leerer Bilderrahmen in einem nicht minder gewaltigen Saal, der den verblassten Stern der Violetta Valery symbolisiert. Ebenso verhält es sich mit ihrer Kleidung: Das große weiße Ballkleid im ersten Akt ist ein Augenschmaus, im dritten Akt ist die Robe schon dunkler gehalten, bevor Violetta im weißen Nachthemd stirbt.

Derart ausstaffiert agiert das Ensemble mit Eifer und Engagement in der ganz traditionellen, aber sehr liebevollen Inszenierung. Besonders das Casino-Bild ist durch eine sehr beschwingte Balletteinlage und einer einfachen wie klugen Choreinbindung sehr effektvoll geraten. In den Soloszenen werden die Requisiten sehr unaufdringlich eingesetzt, um dem Momenten etwas Natürlichkeit zu geben. Insgesamt also eine Produktion, die vor allem darauf abzielt, Touristen wie Einheimische mit Qualität bei Laune zu halten. Außerdem bietet sie die besten Voraussetzungen, wechselnde Sängerbesetzungen gut einzuarbeiten.

Wenn man dann etwas Glück hat, erlebt man ein Sängerfest – wie bei der 461. Aufführung am Karsamstag, der Premiere der Wiederaufnahme. Wie es sich für eine gute La-Traviata–Aufführung gehört, steht die Titelpartie jede Minute der Aufführung im Zentrum des Geschehens. Wenn man Diana Damrau etwas vorhalten kann, dann dass sich ihre Stimme fast zu gesund, eine Spur zu robust für die an Schwindsucht erkrankte Kurtisane anhört. Doch die Damrau nutzt alle Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen – technisch und emotional. Dabei scheut sie auch keine Risiken. Melancholische Piani, freiheitsheischende Koloraturen und strahlende Akuti bekommt man diesem Abend von ihr zu hören. Doch so bewegend ihre großen Momente mit Addio del passato und Ah forse lui auch sind, so ist der Höhepunkt der Aufführung ein anderer. Das lange Duett von Giorgio Germont und Violetta Valery im zweiten Akt entwickelt sich zu einem packenden Moment außerhalb von Zeit und Raum, weil hier zwei Künstler in Höchstform aufeinandertreffen. Dmitri Hvorostovsky wird noch vor seinem ersten Ton mit Auftrittsapplaus begrüßt und rechtfertigt die Vorschusslorbeeren mit einer beeindruckenden Darbietung gefühlvollen Verdi-Gesangs. Beide beginnen die Szene mit eisiger Höflichkeit und legen nach und nach die Gefühle der beiden Charaktere offen. Am Ende des zweiten Aktes darf Hvorostovsky schon ein wenig von der versteckten Herzlichkeit des alten Germons zeigen.

Francesco Demuro als sein Sohn Alfredo mag mit etwas gedrücktem Tenor diese Qualität nicht erreichen, doch auch bei ihm kann man sich über ein glaubhaftes, engagiertes Rollenportrait freuen. Sehr schön ist auch, dass man an der Royal Opera die kleinen Stichwortgeber in bestechender Qualität vernimmt: Nadezhda Karyazina etwa ist eine klangschöne, zudem attraktive Flora, Luis Gomes als Gastone ein Aktivposten. Michel de Souza verkörpert Baron Douphol mit blasierter Arroganz und Sarah Pring singt eine herzliche Annina. Jihoon Kim mag als Doctor Grenvil noch zu jung wirken, aus seiner Stimme spricht aber bereits Kompetenz. Dazu kommt noch der von Renato Balsadonna einstudierte Chor der Royal Opera, der besonders im Casino-Bild so richtig einheizt.

Auch das Orchester der Royal Opera zeigt sich an diesem Abend in bestechender Form und untermalt die Szene immer sängerfreundlich und akkurat. Immer aufs Neue zusammen gefügt werden diese einzelnen Puzzlesteinchen von Dirigent Dan Ettinger zu Bildern verschiedenster Gefühlswelten. Das Vorspiel klingt noch ein wenig zu sehr nach Kitsch-Tränendrüsen. Doch schon bald kommt seine Interpretation so richtig in Fahrt. Forsche Accelerandi, weiche Bögen, leise Melancholie – die Liste der Akzente in Ettingers spannender, belebender Interpretation ist lang.

Der Abend wird vom Publikum kurz, aber frenetisch gefeiert. Vor allem bei Diana Damrau und Dimitri Hvorostovsky sind die Zuschauer kaum zu bremsen. Auch in der Vorstellung hat sich das Publikum immer wieder bemerkbar gemacht. Zuerst mit viel Zwischenapplaus. Dann, pünktlich zum dritten Akt, leidet ein Großteil mit der hustenden Damrau lautstark mit. Einziger Nachteil der Aufführung sind zwei lange Pausen, die wohl dem Umbau geschuldet sind. Trotzdem: Diese Produktion mag noch so alt sein – so bereitet Oper jede Minute unendliche Freude.

Christoph Broermann

Fotos: Catherine Ashmore