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Fakten zur Aufführung 

SPUREN DER VERIRRTEN
(Philip Glass)
12. April 2013
(Uraufführung)

Landestheater Linz im Neuen Musiktheater am Volksgarten


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Die Suche macht den Sinn

Es wirkt wie eine dramatische Kulisse für den Park: das neue Linzer Musiktheater am Volksgarten. Das derzeit modernste Opernhaus Europas, dass die Sparten Oper, Operette, Ballett und Musical abdecken wird, wurde vom britischen Architekten Terry Pawson so geschickt konzipiert, dass der Park quasi als Vorgarten des Theaters fungiert. Großstädtisch beeindruckend ist das Gebäude mit seiner gerippten Fassade. Noch beeindruckender auch vom ästhetischen Standpunkt ist das Interieur: Zwei großzügige Foyers mit edlen Materialien ausgekleidet, ein in klassischer Hufeisenform gestalteter Zuschauerraum für maximal 1.250 Besucher, wobei niemand mehr als 27 Meter von der Bühne entfernt sitzt und eine Bühne, die alle „Stückeln“ spielt und derzeit zu den technisch modernsten der Welt zählt. 20 Jahre haben der politische Streit und die Planung um das neue Opernhaus gedauert. Stolze 180 Millionen Euro hat es gekostet. Jetzt aber ist es der Stolz der oberösterreichischen Musikwelt, ein neues „Wohnzimmer der Stadt“.

Mit einem wahren Eröffnungsreigen wird es nun eingeweiht. Nach einem hochoffiziellen Festakt findet nun die erste musikalische Produktion, ein Auftragswerk, die Uraufführung einer Oper statt.

Jeder hinterlässt Spuren. Spuren ohne konkreten Ausgangspunkt und ohne konkretes Ziel. Es sind Spuren, die sich überschneiden, Muster zeichnen, sich verirren und uns zu Verirrten werden lassen. „Wo sind wir?“ ist wohl die Kardinalfrage des Werkes, mit der die „Passanten“ Peter Handkes 2006 entstandenes Stück Spuren der Verirrten beschließen. Diese Texte, ohne konkrete Handlung, des aus Kärnten stammenden Schriftstellers hat der Intendant des Landestheaters Linz Rainer Mennicken zu einem Libretto für eine Oper eingerichtet und verdichtet, zu dem Philip Glass die Musik geschrieben hat.

Beklemmend und von provokanter Banalität sind die Sprechtexte, die ein enormes Ausmaß an vergeblicher Sinnsuche darstellen: Sie werden von scheinbar ziellos herumpilgernden Paaren gesungen und von einem Solistentrio, dem „Zuschauer“, dem „Protagonisten“ und dem „Dritten“ eingerahmt. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Abraham und Isaak, Medea und Ödipus, Salome und Herodes, Orpheus und Eurydike, Octavian und die Marschallin aus dem Rosenkavalier: Ein veritables Ikonenkabinett aus Tätern und Opfern der Religions- und Kulturgeschichte marschiert in der zweiten Stückhälfte auf. Und es geht auch um die Sehnsucht nach einer Heimat, nach einem Zuhause, die jedoch in Handkes virtuos zwischen banalem Alltäglichem, auch unerträglichen Plattitüden, aber auch Mythischem jonglierender Text-Welt jedoch immer mehr anachronistisch anmutet. Der britische Regisseur David Pountney verweigert sich allerdings jeglicher tristen Resignation, verfällt in seiner Inszenierung aber auch keinem hohlen Zukunftsoptimismus. Er findet im Zick-Zack der Spuren den roten Faden, hat die sinnsuchenden Szenen mit Schärfe zugespitzt und inszeniert präzise am Puls der Musik. Er lässt auch Klischees durchaus zu. Älplerisches wie Alphornbläser und Zitherspieler, Menschen in Dirndln und Lederhosen, Kühe und Schafe auf Rollen, aber auch ein Krankenhaus-Ballett von Kriegsverletzten in einer völlig surrealistischen, angekramten Szenerie von Robert Israel und phantasievollen Kostümen von Anne Marie Legenstein. Seltsamerweise werden die angepriesenen Möglichkeiten der Drehbühne und die enorme Tiefe der Bühne wenig genutzt. Fulminant euphorisch wird das Finale gezeigt, das alle Verirrten an dem Ort vereint, der den Heimatlosen aller Zeiten als einziger eine Heimat geben kann: das Theater. Da wechseln dann das Orchester auf die Bühne und der Chor in den Orchestergraben.

Ideenreich und wirkungsvoll sind die Tanzszenen von Amir Hosseinpur, bei denen unter den vielen anderen Bram de Beul und Sophie Ribrault solistisch hervorstechen. Lutz Zeidler als „Zuschauer“ und Peter Pertusini als „Protagonist“ agieren ihn ihren Sprechrollen vital, aber nicht immer verständlich. Beim Sängerensemble zeichnet sich in der Hauptpartie des „Dritten“ Christa Ratzenböck darstellerisch und stimmlich mit großer Präsenz und Dominanz sowie bei den zahlreichen kleineren Partien Jacques le Roux, Martin Achrainer und Matthäus Schmidlechner in den unterschiedlichsten Rollen aus. Die vereinigten Chöre des Landestheaters Linz, inklusive Kinder- und Jugendchor und weitere Gastchöre unter der Leitung von Georg Leopold, die auch szenisch immer wieder sehr gefordert werden, singen präzise und homogen.

Nach The Voyage aus 2002, Orphée aus 2007 und Kepler aus 2009 ist es wieder eine Oper von Philip Glass, die am Linzer Landestheater uraufgeführt wird. Glass, der zu den bekanntesten und meistgespielten Komponisten der Gegenwart zählt, hat seine 23. Oper eigens für Linz geschrieben, was sicher auch der Freundschaft mit dem Dirigenten zu verdanken ist.

Auf den Musikstil des amerikanischen Komponisten, der als Erfinder der „Minimalmusic“ gilt, muss man sich einlassen. Man weiß, was einen erwartet, denn sein Komponierstil wurde nicht innovativer und hat sich auch über Jahre kaum weiterentwickelt: Er verwendet stets einfache Dreiklänge und flächige Klangformen, die sich ständig, extrem rhythmusorientiert, beinahe bis zur unerträglichen Monotonie wiederholen und sich dabei nur geringfügig verändern und immer mehr an Filmmusik erinnern. Aber sie können durchaus Wirkung erzielen, wenn sie mit äußerster Präzision gespielt werden. Und da sind sie beim Bruckner-Orchester Linz unter dem mit größter Genauigkeit schlagenden Chefdirigenten Dennis Russell Davies in den besten Händen: Mit schneidender Exaktheit und faszinierenden Klangmischungen wird Glass Musikwelt offenbart.

Das Publikum, unter ihnen der Komponist und der Textdichter, wie auch zahlreiche weitere Prominenz aus der Kulturszene und Politik reagiert uneingeschränkt mit großem Jubel.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Ursula Kaufmann