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Fakten zur Aufführung 

DIE VIER JAHRESZEITEN
(Mauro Astolfi)
15. Oktober 2013
(Einmaliges Gastspiel)

Forum Leverkusen


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Sportliche Langeweile im Halbdunkel

In der Tanzwelt gibt es ein Klischee: Es besagt, dass rein klassisch ausgebildete Tänzer über kein sonderlich ausgeprägtes Rhythmusgefühl verfügen. Auch die Musikalität, also das Gespür für Musik, sei bei Vertretern des klassischen Balletts häufig weniger ausgeprägt. Natürlich kann man aus Klischees keine Pauschalaussagen ableiten. Dass es mitunter aber ein schmaler Grat ist, auf dem viele Choreographen wandeln, wenn es um die Musikauswahl für ihre Stücke geht, ist altbekannt. Wo beginnt man bei einer neuen Kreation? Im Plattenschrank oder im Ballettsaal? Sind es zuerst die Bewegungen, die ein Choreograph entwirft und wird danach eine passende musikalische Untermalung gesucht? Oder lässt man sich von einem Musikstück inspirieren und riskiert, zum Sklaven der Klangräume zu werden?

Der italienische Choreograph Mauro Astolfi hat sich bei seiner Interpretation für das Spellbound Contemporary Ballet der Vier Jahreszeiten von 2010 offensichtlich für eine Mischung beider Ansätze entschieden: "Er sucht nicht nach tänzerischer Umsetzung und naiver Bebilderung von Frühling, Sommer, Herbst und Winter", sondern möchte Die Jahreszeiten der Seele auf die Bühne bringen. Für dieses feinsinnige Vorhaben hat er einige Komplizen im Gepäck: Musikalisch ist da Antonio Vivaldi mit seinen Vier Jahreszeiten im ergänzenden Wechsel mit einem Klangteppich des italienischen Komponisten Luca Salvadori. Dieser versucht mit seinen Kompositionen „eine Symbiose zwischen der Musik des Barock und den zeitgenössischen Klängen“ zu erzeugen. In der Biologie bezeichnet der Begriff „Symbiose“ eine Art Vergesellschaftung von zwei unterschiedlichen Lebewesen, die für beide Parteien von Vorteil ist. Die musikalische Symbiose an diesem Abend ist hingegen wenig vorteilhaft: Vivaldis Jahreszeiten-Komposition auf der einen Seite, während auf der anderen Seite basslastige Klänge den Raum fluten und sich ablösen mit Computer-Sounds und verschiedenen Naturgeräuschen. Streckenweise erinnert das an rechtefreie Midi-Klänge, die günstig zu haben waren.

Ein weiterer Komplize ist der Multimediadesigner Enzo Aronica, der die Flächen eines auf der Bühne stehenden Holzhauses nutzt, um Zeitrafferaufnahmen von Naturschauspielen oder Kunstgebilden in den Raum zu werfen. Das Bühnendesign von Esse A. Sistemy hat sich mit dem eben erwähnten Haus auch schon erschöpft. Aber Design, gleichgesetzt mit Minimalismus, ist nichts Neues und ist gerade beim Tanz schlicht gut aufgehoben. Das hier platzierte Haus lässt sich von den Tänzern mit vereinten Kräften auf jede Seite kippen, drehen und bewegen und bietet somit Spielfläche.

Die sechs Tänzerinnen und drei Tänzer der in Rom ansässigen Kompanie sind exzellent ausgebildet, die Kostüme unspektakulär: Die Männer tragen schwarze Rollis, dunkle Hosen und Strümpfe. Die Frauen tragen T-Shirts in gedeckten Farben und kurze schwarze Röcke, später eng anliegende Einteiler, die viel Haut zeigen. Alle Körper sind gezeichnet von einer klassisch-akademischen Ausbildung und gleichzeitig durchfließen sie die zeitgenössische Bewegungssprache ihres künstlerischen Leiters mühelos: Viele schnelle Drehungen, die aus der Achse fallen, aufrechte Pirouetten mit in die Höhe verdrehten Beinen, rasch kreisende Schultern, zackige Bewegungen der Extremitäten, durchweg hohe Beine, große Sprünge in weiten Extensionen. Was hier von den Tänzern 70 Minuten lang durchgehalten wird, ist Höchstleistung und erschöpft sich oft in sportlicher Betätigung. Die Regungen der Seele werden von Astolfi eher herausgeschrien, als im dynamischen Wechsel beschrieben. Das mag stellenweise stimmig sein, an anderer Stelle wirkt es abgedroschen, als in einer kurzen Sommer-Sequenz Tango getanzt wird: Die Innigkeit dieses Paartanzes bleibt auf Äußerlichkeit begrenzt. Zackige Bewegungen, tief ausgreifende Beinpositionen und die obligatorischen Achten werden mit den Füßen gezeichnet. Das Ganze endet – welch Überraschung – bei einem sich über den Boden rollenden Paar.

Dem Lichtdesigner Marco Policastro hätte man da mehr Schreikraft gewünscht. Wie so häufig bei zeitgenössischem Tanz verschwinden die Leistungen der Tänzer in vermeintlich cooler, düsterer und dunkler Minimalbeleuchtung. Gerade in den Momenten, in denen die Tänzer das Haus gemeinsam verrücken, wirkt die Beleuchtung wie Arbeitslicht für Bühnentechniker.

Die abwechselnden Duette und Trios, Soli und Gruppenauftritte der Tänzer in ihrer zackigen Bewegungssprache sind in den Soundinstallationen von Salvadori erträglich. Doch in den Musiksequenzen mit Vivaldis Jahreszeiten sucht man meist vergebens ein mögliches Zwiegespräch mit der fulminanten barocken Musiksprache des Altmeisters und der Bewegungssprache des Choreographen. Es ist schlicht nicht ersichtlich, warum Astolfis Wahl auf dieses Werk fallen musste. Hier scheint die Musik austauschbar, beliebig und wenig tonangebend zu sein. Durch die Choreographie entsteht auch kein Gegenraum zu den triefenden barocken Klängen aus den Lautsprechern. Nein, den Großteil des Abends geht die Choreographie über die Musik schlicht hinweg, und es erhebt sich die Frage, weshalb dem Zuschauer Vivaldis Kassenschlager in diesem Zusammenhang so unendlich abgenutzt in die Ohren dringen muss. Es sind die wenigen Gruppensequenzen, in denen die Kompanie Vivaldis Komposition Paroli bieten kann. Eigentlich war alles versammelt, was einen gelungenen Abend auszeichnet hätte.

Das Publikum ist hingegen dankbar für das Gebotene; die Leistung der neun Tänzerinnen und Tänzer wird mit ausgiebigem Applaus belohnt.

Jasmina Schebesta

 

Fotos:
Cristiano Castaldi/Matteo Carratoni