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Fakten zur Aufführung 

IL TROVATORE
(Giuseppe Verdi)
24. September 2013
(Einmaliges Gastspiel)

Forum Leverkusen


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Die Sache mit dem Haken

Plötzlich schwebt ein einzelner Karabinerhaken an einem Drahtseil vom Bühnenhimmel herab, gleich an der Rampe. Gespannt verfolgt das Publikum das Herabsinken, wie man einer Spinne auf dem Weg vom Toilettenfenster zur Zimmerdecke gebannt mit Blicken folgt. Er schlägt auf dem Bühnenboden auf. Manrico eilt zu der Stelle und verbindet den Haken mit der Fußmatte. Daraufhin wird der Haken wieder ein Stück hochgezogen – und siehe da, das Tipi der Zigeunerin ist entstanden. Selbstverständlich muss der Troubadour den Haken zum Ende der Szene wieder lösen. Was nicht so ganz einfach ist, wenn man gleichzeitig dramatische Partien zu singen hat. Also, eigentlich ist es eine ziemliche Fummelei. Und gelingt dann doch. Was klingt, wie eine Szene aus Loriots Kleinem Opernführer, wird an diesem Abend Wirklichkeit.

Seit langem praktiziert das Forum Leverkusen das, was die Opernhäuser unter ihren finanziellen Kürzungszwängen als großartige Lösung feiern, um weiter Gelder einzusparen. Tatsächlich gelingt es dem Forum auf diese Weise, den Bürgern Leverkusens noch ein kulturelles Programm vom zeitgenössischen Tanz über Operette bis zur Oper zu zeigen. Und viele Bürger nehmen es dankbar an. Gastspiele scheinen – ebenso wie so genannte Kooperationen – eine Win-win-Situation herbeizuführen. Das Haus, das die Produktion herstellt, kann damit mehr Kapital herausschlagen; das Haus, das die Produktion einkauft, braucht nicht so viel Geld auszugeben und kann seinem Publikum trotzdem eine „Premiere“ präsentieren.

Was in der Theorie nach Heilsweg klingt, ist in der Praxis durchaus mit Unwägbarkeiten verbunden. Das Haus, das die Produktion einkauft, ist nämlich auf Gedeih und Verderb auf das angewiesen, was es bekommt. Selbst, wenn die Verantwortlichen dann vor Ort Missstände entdecken, reicht die Zeit oft gar nicht aus, noch für Änderungen zu sorgen. Ein gutes Beispiel dafür liefert das Landestheater Detmold – eigentlich Garant für Qualität – in Leverkusen.

„Im ersten Moment könnte man das Libretto tatsächlich für undramatisch halten, wenn man bedenkt, dass viel von der Handlung nur erzählt wird und nicht auf der Bühne sichtbar ist. Ich halte das eher für eine Stärke des Librettos. Ein zentrales Thema im Stück ist der Krieg. […] Tatsächlich entdecke ich in diesem Stück eine große Klarheit im Umgang mit schwierigen Themen wie Krieg, Tod und Trauma“, sagt Regisseur Dirk Schmeding. Warum er diese Klarheit nicht auf die Bühne gebracht hat, verrät er nicht. Stattdessen entdeckt der Zuschauer einen Wust von Uniformen, darf sich auch eine „Kalaschnikow“ anschauen, gerne auch im Anschlag. Dafür verzichtet der Regisseur in weiten Teilen auf die Personenführung. Größter Gimmick: Es wird auf der Bühne geraucht, was das Zeug hält. Kaum jemand, der nicht eine Zigarre oder eine Zigarette in der Hand hält. Dabei fängt alles recht verheißungsvoll an. Eine „Abendmahlszene“ eröffnet das Drama um den Troubadour. Und als der erste Vorhang fällt, ist halt das Vorspiel beendet. Alsbald aber findet der Zuschauer sich in einer Nummernrevue wieder. In mehr oder minder kurzen Abständen fällt der Vorhang, eine Umbaupause schließt sich an. Susanne Ellinghaus hat sich im Bühnenbild im Wesentlichen auf eine Matte beschränkt, die am hinteren Ende hochgebogen ist. Auf der finden sich je nach Szene verschiedene Requisiten wieder. An der Länge der Umbaupausen gemessen, scheint ein einzelner Bühnenarbeiter dann damit beschäftigt, die Requisiten auszutauschen respektive abzuräumen.

Wer eine Produktion auf künftige Gastspiele einrichtet, hat kaum eine andere Möglichkeit, als sich dem Minimalismus hinzugeben, soll das Bild doch anschließend auf möglichst viele Bühnen passen. Minimalismus ist im Einzelfall als stilistisches Mittel mal ganz geschickt und passt, als Regelfall langweilt er. Nebenbei hat er auch den unangenehmen Effekt, dass die Darsteller auf der Bühne zunehmend auf sich selbst gestellt sind. Mag die Verarmung der Bühne in diesem Fall noch dem einen oder anderen gefallen, überzeugen die Kostüme kaum. Graf Luna ist immer wieder damit beschäftigt, seine Uniformteile an- und auszuziehen, Leonora hat eine Perücke auf, die sich nicht einmal ein Friseur auf dem Lande trauen würde, und Manrico mit Panzerhemd und Gestapomantel ist schlicht altbacken. Zu diesem Paket passen die Übertitel ganz gut. Tot der Rivale und mein muss Leonora werden oder Noch einmal wiederhole, dass mein dein Herz sind ebenso absurde Übertitel wie geübte Praxis. Wer die Oper nicht kennt und sich auf die Übertitel verlässt, ist an diesem Abend verloren. Das Ganze erinnert an Stummfilme, die man nicht mehr sehen will, weil ein Zitat am Anfang einer langen Dialogszene steht, ohne den Rest des Zwiegesprächs zu verraten. Wenn der Regisseur auf seiner Bühne Blendkreuze – also Kreuze aus Neonröhren, die aus dem Bühnenhimmel herunterfallen – einsetzt, hat sich das Lesen der Übertitel ohnehin erübrigt.

Mit den Dialogen ist es auch an diesem Abend so eine Sache. Weil hier jeder machen darf, was er möchte, finden sich die Sängerdarsteller alsbald an der Rampe oder in Ruheposition wieder, um sich nicht so sehr anzustrengen. Allein, es hilft nicht. Marianne Kienbaum-Nasrawi übernimmt die anspruchsvolle Rolle der Leonora. Mit gretchengelber Perücke und allesamt unpassenden Kostümen kann man sich nicht wohlfühlen. Hier passt gar nichts. Alexej Kosarev versucht, dem Manrico ein Spiel abzugewinnen – vergebens. Einen Lichtblick vermittelt Bariton James Tolksdorf, der als Graf Luna mit belegter Stimme beginnt, um ab seiner ersten Arie frei, verständlich und der Rolle adäquat zu singen. Rita-Lucia Schneider kann als Azucena begeistern. Milena Stefanski gefällt als Ines stimmlich; darstellerisch ergibt sich auch für sie keine Perspektive. Der Chor, einstudiert von Marbod Kaiser, enttäuscht auf weiblicher Seite. Spitz und schrill die Einsätze der Damen – und das in den schönsten Chorpassagen, die Verdi geschaffen hat.

Was sich Matthias Wegele allerdings für diesen Abend gedacht hat, erschließt sich ganz und gar nicht. Der musikalische Leiter zeigt den Sängern mit dem Symphonischen Orchester des Landestheaters Detmold mal, was eine Harke ist. Gnadenlos wird hier alles untergebuttert, was irgendwie Laut von sich gibt. Große, zackige Gesten zwingen die einwandfrei spielenden Musiker in ein Volumen, das ansich schon ausreicht, den Saal auszufüllen. Vor allem das Blech sorgt immer wieder dafür, dass die Sänger und gar der Chor keine Chance bekommen, Gehör zu finden. Verdi war weder Militärmusiker noch Karnevalist; insofern sollte Wegele dringend noch einmal seine Interpretation überdenken.

Es ist auch für ein Landestheater Detmold legitim, mit zusätzlichen Gastspielen Geld einzuholen. Dass auf die leichte Schulter zu nehmen, so hat es der heutige Abend gezeigt, funktioniert nicht. Das Leverkusener Publikum, das den Saal des Forums immerhin etwa zur Hälfte gefüllt hat, reagiert mit höflichem Applaus. Aber alles braucht es sich auch nicht bieten zu lassen.

Michael S. Zerban

Kay Metzger, Intendant des Landestheaters Detmold, nimmt zu dieser Besprechung Stellung. Zu Recht weist der Intendant auf die eigentlichen Aufgaben des Landestheaters hin.

Fotos: Klaus Lefebvre