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Fakten zur Aufführung 

ORPHEUS UND EURYDIKE
(Christoph Willibald Gluck)
10. Dezember 2012
(Einmaliges Gastspiel)

Forum Leverkusen


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Mythos auf Droge

Was macht ein Regisseur, wenn ihm die Handlung des Originalstücks zu dünn erscheint und die Bewegung auf der Bühne zu dürftig? Er macht sich Gedanken. Dann ändert er die Handlung, lässt den Protagonisten Drogen einwerfen und fügt zusätzliche Personen ein. Und wenn er das vernünftig entwickelt, kann dabei ein wunderbarer Opernbesuch herauskommen. Bei der Ko-Produktion der Kammeroper Prag mit dem Opernhaus Liberec, die an einem einzigen Abend zu Gast im Forum Leverkusen ist, heißt der Regisseur Martin Otava. Für seine Inszenierung von Glucks Orpheus und Eurydike wählt er als Grundlage die Wiener Fassung von 1762. Bei ihm sieht das dann so aus: Orpheus verzweifelt am Tod seiner Eurydike, also will er aus dem Leben scheiden. Das Gift, das er zu diesem Zweck nimmt, ruft Halluzinationen hervor, und er gerät in einen Zustand zwischen Leben und Tod. Amor erscheint ihm und erzählt, wie er Eurydike wiederbekommt. Bei Orpheus wirkt das Gift, und er legt sich auf das Sofa, auf dem plötzlich sein Doppelgänger sitzt. Außerdem erscheint in seinem Zimmer die Pforte zur Unterwelt. Während er unter Krämpfen leidet, erkennt er in seinem Doppelgänger sich selbst und begreift, dass seine Seele ihn gleich verlässt. Als der Held sein Bewusstsein verliert, ereignet sich die bekannte Reise in die Unterwelt. An deren Ende kommt Orpheus noch einmal zu Bewusstsein, erkennt, dass es sich ausschließlich um Halluzinationen gehandelt hat und stirbt. Das alles geschieht schlüssig in einem einzigen Bühnenbild, das Jan Zavarský hervorragend für kleinere Bühnen konzipiert hat. Zu beiden Seiten schließen jeweils drei „Marmorsäulen“ das Bild, dessen Handlungsebenen durch eine futuristisch wirkende Scheinbrücke erweitert werden. Wichtig an der Brücke ist ohnehin nur der Aufgang, so dass sich die handelnden Personen an verschiedene Orte begeben können. In der Bühnenmitte ist noch Platz für einen weißen Teppich und ein großes, weißes Sofa. Nach hinten schließt eine schwarze Wand ab, die sich nach Bedarf öffnet und so einen weiteren Raum schafft, zum Beispiel um den dann stehenden Gedenksockel ohne Skulptur zu zeigen, der in der ersten Szene noch mit einem Abbild der Eurydike in der Bühnenmitte stand. Eurydike ist denn auch die einzige Person, die in einem der Antike ähnelnden Gewande spielt. Für die übrigen Kostüme hat Aleš Valášek Neuzeitliches gewählt. Die Dienerin Orpheus‘ erscheint im Servierkostümchen, aber das ist auch die einzige Fantasielosigkeit, die Valášek sich leistet. Der Chor, der gleichzeitig als Statisterie fungiert, wechselt je nach Einsatz die Kleidung von bunten Partykostümen zu weißen Larven der Unterwelt. Orpheus trägt vorausschauend schwarzen Anzug mit weißem Hemd, und sein Alter ego so wie Amor tragen das strahlende Weiß der Unschuld.

In einem solch bis ins Detail ausgereiften Rahmen lässt es sich gut spielen. Leslie Anne Cook in der Hosenrolle des Orpheus singt etwas belegt, aber wunderbar ausformuliert und mit dem dramatischen Tiefgang, der das Publikum von der ersten Sekunde an fesselt. Amor wird von Petra Havránková göttlich-keck interpretiert. Herrlich auch, wenn sie in ihren stillen Momenten nicht etwa unbeteiligt in der Gegend herumschaut, sondern aufmerksam und mit gestischem und mimischem Kommentar beispielsweise den Worten Orpheus‘ lauscht. Sängerisch besonders eindrucksvoll präsentiert Lívia Obručnik-Vénosová eine wunderbar glaubwürdige Eurydike, deren Sopran in allen Lagen leicht und glänzend, in den Höhen hell und klar erstrahlt. Gar nichts zu sagen hat Šárka Brodaczová, die das Alter ego Orpheus‘ darstellt. Federleicht, eben seelenhaft, begleitet sie Orpheus und Eurydike auf ihrer letzten Reise. Die Solisten haben ebenso wie der Chor zu tanzen, und es ist sehr angenehm anzuschauen, dass sie das auch können und nicht nur andeuten.

Eben dieser Chor der Schäfer und Nymphen, der Furien und Larven der Unterwelt, der Heroen und Heroinen des Elysiums, der Gefolgsleute des Orpheus, besticht in der Einstudierung von Martin Veselý mit gesanglicher Präzision, aber auch mit großer Spielfreude.

Martin Doubravsky führt sein kleines Orchester mit unglaublichem Einsatz durch die Partitur, deren Seiten er immer wieder hörbar umschlägt. Heraus kommt dabei ein wunderbar berückender, authentischer Klang, der das Geschehen auf der Bühne stets begleitet, ohne die Stimmen zu beeinträchtigen. So bleibt den Stimmen Raum für ein lupenreines Italienisch, das auf den Übertiteln in ein sehr schönes Deutsch übertragen wird. Bei den Rezitativen bleibt die Anzeigetafel leer, und auch das ist überaus angenehm.

So erlebt das Publikum einen ideenreichen, in sich geschlossenen, faszinierenden und erbauenden Abend, den so schnell keiner vergessen wird. Und wenn es an dieser Aufführung Kritik zu üben gilt, dann an den Leverkusener Bürgerinnen und Bürger, die ein solches Angebot offenbar nicht zu würdigen wissen und nur in denkbar kleiner Zahl erschienen sind. Die anwesenden Gäste jedenfalls genießen den Abend und bedanken sich mit herzlichem und lang anhaltendem Applaus.

Michael S. Zerban





Fotos: Karel Kubát