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Fakten zur Aufführung 

FUTURE 6
(Eric Gauthier)
25. März 2014
(Gastspiel)

Forum Leverkusen


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Vom Tanz, der auch das Publikum begeistert

Selten ist die Zeit bis zur Pause so kurz gewesen, wie an diesem Abend im ausverkauften Leverkusener Forum. Bereits zum fünften Mal ist Gauthier Dance, die Dance Company am Theaterhaus Stuttgart, zu Gast. Und das Publikum besteht gefühlt zu vier Fünfteln aus Gästen, die schon die ersten vier Aufführungen gesehen haben. Eric Gauthier gründete Gauthier Dance vor sieben Jahren mit dem Anspruch, neue Publika durch Zuschauernähe und Senkung der Schwellenangst vor Kunstgenuss zu erreichen. Das ist dem Tänzer, Choreografen und Musiker über alle Maßen gelungen. Heute stellt er in Leverkusen das abendfüllende Programm Future 6 vor, das aus sechs Stücken besteht und im Januar vergangenen Jahres am Theaterhaus Stuttgart seine Premiere feierte.

Schon mit dem ersten Stück, Burning Bridges, das Jiři Bubeniček choreografiert hat, zeigt die Compagnie, wie sie ihre internationalen Erfolge begründet: Zeitgenössischer Tanz mit Elementen des Klassischen Balletts auf höchstem Niveau, gepaart mit originellen Einfällen, intelligentem Humor und einer Bühne, die so hell erleuchtet ist, dass man die Tänzer erkennt. Auf der Bühne zwei Stühle, zwei übergroße „Barhocker“, ein Tisch mit drei Beinen. Um den Tisch herum, scheinbar ungeordnet, sind die Bestandteile des vierten Beines verteilt. Jeder Versuch, die Teile wieder zu einem Ganzen zu fügen, scheitert. In diesem Tisch manifestiert sich die langjährige Beziehung, die trotz eines fehlenden Eckpfeilers scheinbar stabil bleibt. Jeder Versuch allerdings, das vierte Bein wieder herzustellen, scheitert. Was tragisch klingt, könnte im Kontext auch eher der augenzwinkernde Hinweis darauf sein, dass eine Beziehung nicht zwingend perfekt sein muss, um zu funktionieren.

Sehr gut funktioniert indes die Beziehung des Compagnie-Chefs mit seinem Publikum, wenn er sich auf den Rand des Orchestergrabens setzt, sein Publikum begrüßt und ihm erklärt, was es an diesem Abend erwartet. So soll Musiktheater sein: Kein schlechtes Gewissen, weil ich eigentlich hätte vorher das Programmheft hätte studieren müssen, dass ich erst am Abend käuflich erwerben kann; stattdessen eine gekonnte Einführung, die in kurzen Worten erläutert, was mich erwartet – im Saal, nicht etwa vor der Türe, auf humorvolle Art und Weise, nicht etwa in den gedrechselten Worten des Dramaturgen, der sein „Insider-Wissen“ womöglich auch noch kundtun möchte.

Gauthier Dance traut sich, bekannte Musik zu verwenden, wenn auch, das darf man erwarten, in eigenen Arrangements. In Cherry Pink and Apple Blossom White zeigt Choreograf Itzik Galili, wie man den Mambo Number five tanzt, wenn er das Publikum begeistern soll. Zehn Wochen lang war das Stück von Pérez Prado 1951 auf Platz eins der US-Charts, jetzt dient es als Grundlage für das großartige, süffige Duett von Anneleen Dedroog und Sebastian Kloborg, das auch akrobatische Einlagen nicht auslässt.

Vielleicht noch bekannter sind auch die Musiken für Melasangre: Fever und Guantamera sind hier in hinreißenden Interpretationen zu erleben. Die Choreografie von Cayetano Soto zeigt, dass es nicht immer verschwurbelte, sphärische Klänge braucht, um intensiv zeitgenössischen Tanz zu vermitteln. Das Publikum jedenfalls ist fasziniert, was man aus solchen Musiken tänzerisch entwickeln kann.

Ein bisschen sphärisch wird es dann doch, wenn Eric Gauthier in Takuto beweist, dass die wuchtigen japanischen Trommeln ihren eindrucksvollen Klang mit den richtigen Bewegungsabläufen dazu noch um ein Vielfaches verstärken können. Das Kaleidoskop fernöstlicher Klänge und brachialer Tänze zieht dich vollkommen in seinen dumpfen Bann.

Fast schon eine Erleichterung ist das Solo Eric Gauthiers nach einer Choreografie seines früheren Chefs Marco Goecke. Federleicht bewegt der Tänzer sich mit flirrenden, flatterhaften Bewegungen über die Bühne. Warum das Stück I found a Fox heißt, erschließt sich nicht. Nach diesem Genuss würde man eher auf ein The Fox found Me schließen. Aber wen interessiert das wirklich nach einer solch genialen Darbietung?

Den gelungenen Abschluss der Darbietung, die viel zu schnell vorüber ist – man hätte da durchaus wenigstens noch eine Nacht dranhängen können – bildet der Boléro, eine Choreografie von Stephan Toss aus dem Jahr 1999. Seitdem Maurice Ravel das Stück 1928 komponiert hat, ist es unendlich oft vertanzt, verfilmt, orchestral gespielt worden. Und hat bis heute nichts von seiner unglaublichen erotischen Ausstrahlung verloren. Toss findet eine Erotik ganz eigener Art. Er lässt ein Kaffeekränzchen älterer Damen wieder zur Jugend zurückfinden. Bis die Senioren sich versammelt haben, gibt es Kleines Fräulein, einen Augenblick und Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt in einer Interpretation von Max Raabe und dem Palastorchester. Die eintreffenden Damen sind eindeutig von den Exaltiertheiten und Wehwehchen des Alters gezeichnet. Erst zu den Klängen Ravels werden sie mindestens wieder so jung wie Bo Derek im Film von 1984. Ganz so freizügig wird es an diesem Abend nicht. Braucht es auch nicht. Wenn es den Begriff des erotischen Humors im allerfeinsten Sinne noch nicht gibt – für dieses Stück müsste er geschaffen werden.

Das Publikum dieses Abends ist überraschenderweise im Durchschnitt doch eher dem fortgeschrittenen Alter zuzurechnen. Für Leverkusen ist das ungewöhnlich. Das hindert aber niemanden, am Ende des Programms aufzuspringen und seine Begeisterung mit Johlen zu verkünden. Wie traurig, dass die zehn Tänzerinnen und Tänzer um Eric Gauthier ihren Fans so schnell zum Abschied zuwinken. Mit Future 6 hat die Compagnie ein Programm vorgestellt, das eindeutig zum Besten gehört, was man im ersten Quartal dieses Jahres sehen konnte. Da hat Leverkusen – mal wieder – ein feines Näschen für die wirklich guten Dinge gezeigt. Ingolstadt und Fürth dürfen sich im April auf das Programm freuen.

Für das Leverkusener Publikum mag indes der Hinweis hilfreich sein, dass man die Parkgebühren für das Auto vor Verlassen des Parkhauses zahlen muss. Das erspart den übrigen Besuchern viel Wartezeit vor der Schranke, die sich auch dann nicht öffnet, wenn man eine unbezahlte Parkkarte wiederholt in den Schlitz schiebt.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Regina Brocke