Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DREI FARBEN: TANZ
(Douglas Lee, William Forsythe
und Alexander Ekman)
12. Dezember 2013
(Gastspiel)

Forum Leverkusen


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Ballett zwischen Traum und Trauma

Tanzkunst vom Feinsten demonstriert das Ballett des Dortmunder Theaters mit drei Stücken renommierter, wenn auch teils sehr junger Choreografen, die der kleinen, jedoch seit zehn Jahren von Xin Peng Wang überaus erfolgreich geleiteten Compagnie das Letzte abverlangen. Auch wenn die Stücke so kurz und vor allem kurzweilig ablaufen wie der schlichte Titel erwarten lässt: Drei Farben: Tanz: Der Abend dürfte zum tänzerisch Anspruchsvollsten gehören, was sich ein Ballettensemble zumuten kann. Auch das Publikum im Leverkusener Kulturforum lässt sich von der kreativen Energie der Tänzer und der drei Arbeiten anstecken und reagiert mit entsprechend begeistertem Beifall.

Ein Abend, der aus drei Perspektiven den Bewegungskanon des klassischen Balletts aufgreift, teils spielerisch, teils brutal, jedoch immer distanziert und ohne die Bewunderung für die große Tradition zu verleugnen. Kein Geringerer als William Forsythe bildet mit dem kürzesten, aber konzentriertesten und filigransten Stück den Mittelpunkt des Programms. The Vertiginous Thrill of Exactitude – Der Schwindel erregende Schauder der Genauigkeit – folgt exakt dem Schlusssatz aus Schuberts Großer Sinfonie in C-Dur. In atemberaubendem Tempo exerzieren drei Paare klassische Bewegungsmuster und verlagern dabei ständig die Schwerpunkte, so dass sie stets am Rande des Scheiterns, Stolperns oder gar Sturzes entlang schrammen. Eine extrem anstrengende Arbeit, die das Dortmunder Ballett mit vorbildlicher Perfektion und schier grenzenloser Kondition vom ersten bis zum letzten Takt bravourös durchsteht. Ruhepunkte gibt es nicht. Die niedlich wippenden Teller-Tutus wirken angesichts der quasi inhumanen Bewegungsmaschinerie wie ein zynischer Kontrapunkt. Dennoch verliert der Tanz nicht an spielerischer Leichtigkeit, so dass Forsythes Arbeit als eins der virtuosesten Tanzstücke der letzten Zeit in die Ballettgeschichte eingehen dürfte. Und zugleich als eine Arbeit, die unter der freundlich hellen Oberfläche die Brutalität des Geschäfts ungewöhnlich drastisch vor Augen führt.

Bleibt die Bühne bei Forsythe leer, bieten zum Auftakt des Abends vier Klaviere Orientierungsmarken und zugleich Spielflächen für die Uraufführung von Douglas Lees PianoPiece zur Klaviermusik von Jurriaan Andriessen. Klänge von einer minimalistisch rotierenden Mobilität, die der junge Engländer Douglas Lee in fantasievolle, teils verspielte, teils dunkel verhüllte Bewegungsabläufe gießt. Die Figuren wirken wie fremdgesteuerte Marionetten und schaffen eine bizarre Distanz zu den Assoziationen an klassischen Mustern und Vorlagen. Die Klaviere werden beklettert, beschlichen, dienen als Höhle und Gebirgshöhen. Mehrere pas de deux zwingen die Tänzer in dieser Umgebung zu affenartiger Geschmeidigkeit. Douglas treibt die Tänzer nicht wie Forsythe in den überdrehten Wahnsinn, er verwandelt sie in Wesen, die dem Tierreich oder anderen Welten zu entstammen scheinen.

Kritische Distanz zum klassischen Tanz wahrt auch der junge schwedische Choreograf Alexander Ekman. Der Titel seiner Kreation, Cacti – Kakteen – spricht für sich. Wenn am Ende des faszinierend originellen Stücks die Tänzer mit leibhaftigen Kakteen spielen und ein bedrohliches Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz zu den stacheligen Pflanzen entwickeln, mobilisieren die Tänzer noch einmal ihre volle Konzentration. Anfangs zeigt sich die Welt noch in starr gefügter Ordnung. Die etwa 20 Tänzer verharren auf kleinen Holzpodesten, agieren nur mit Kopf und Händen zu Streichquartettklängen von Schubert und Beethoven, die allerdings schnell ins Stocken geraten. Die nähmaschinenhaft exakte Präzision wird, wie in Chaplins Modern Times, von Wackelkontakten aus der Balance geworfen. Auch die zunächst ordentlich gestaffelten Podeste verwandeln sich in Wände und Mauern, die abgrenzen und auf die Menschen einzustürzen drohen. Das alles inszeniert Ekman mit feinen ironischen Finessen und einer Forsythe ebenbürtigen Virtuosität. Hoch musikalisch, von unerschöpflicher Fantasie erfüllt und auf extrem hohem tänzerischem Niveau.

Drei thematisch glänzend aufeinander abgestimmte Stücke, die auf unterschiedliche Weise mit klassischen Traditionen abrechnen, ohne sie existenziell in Frage zu stellen. Und wer so grandios mit klassischen und modernen Bewegungsabläufen umgehen kann wie das Dortmunder Ballett, braucht selbst den Vergleich mit Martin Schläpfers hoch gelobtem Rheinopern-Ballett nicht zu scheuen.

Pedro Obiera

 

Fotos: Bettina Stöß