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Fakten zur Aufführung 

LA CLEMENZA DI TITO
(Christoph Willibald Gluck)
3. November 2013
(Premiere)

Erholungshaus, Leverkusen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Rock me, Ritter Gluck

Mit dem Titel La clemenza di Tito verbindet man heute wohl mehr die letzte Oper Mozarts, als eine der weiteren geschätzten 50 Vertonungen des gefragten Librettos Pietro Metastasios. Auch Christoph Willibald Gluck, der vor allem für seine Opernreform bekannt ist, in der er die Loslösung vom starren Modell der Opera seria propagierte, vertonte 1752 den berühmten Stoff als Auftragswerk zum Namenstag des Fürsten Karl III. Dieses Frühwerk, das als seine 16. Oper noch der italienischen Seria verpflichtet ist, beinhaltet jedoch bereits musikalische Neuerungen, die als fast unerhört galten: So heißt es in einer der wenigen bekannten Überlieferungen zur Aufführung dieser Oper in Neapel, dass die Zuhörer vor allem wegen der bis heute berühmten Arie Se mai senti spirarti sul volto einen Guru der Tonkunst zu Rate zogen, da ihnen die Tonsetzung der Arie doch zu gewagt, ja geradezu falsch anmutete. Er soll geantwortet haben: „Ich mag nicht entscheiden, ob das so ganz den Regeln der Komposition gemäss sey; das sag ich Euch aber allen, dass wir alle, bei mir angefangen, uns hoch damit berühmen würden, wenn wir eine solche Stelle gedacht und geschrieben hätten.“ Gluck selbst schien zufrieden, schließlich setzte er die Arie gut 25 Jahre später in seiner Iphigénie en Tauride auf den Text O malheureuse Iphigénie noch einmal ein und verhalf ihr damit zu bis heute andauernder Berühmtheit.

Die heutige konzertante Aufführung dieses unbekannten Werks lockt viele Zuschauer in das schöne ehemalige Erholungshaus in Leverkusen. Sie sind nicht umsonst gekommen, das Konzert wird zum musikalischen Genuss.

Auf der dezent beleuchteten Bühne sitzt das Orchester um ein Cembalo gruppiert, davor stehen die Notenpulte für die Sänger, die jedoch nur zu ihren Auftritten hinter der Bühne hervorkommen. Diese sängerfreundliche Praxis leuchtet im Hinblick auf die Spieldauer und die anstrengenden Dacapo-Arien ein. Den Auf- und Abtritt nutzen die Sänger, um vielleicht doch so etwas wie einen szenischen Hauch auf die Bühne zu bringen. Das Orchester beeindruckt mit sichtlicher Hingabe an die Musik Glucks. Bereits in der Ouvertüre kann man als Zuschauer den Blick auf die hochkonzentrierten und hingebungsvollen Gesichter der einzelnen Musiker genießen. Es scheint überhaupt eine wohlwollende Atmosphäre zwischen allen Künstlern zu herrschen, eine harmonische, fast verschwörerische Übereinkunft. Dreh- und Angelpunkt ist dabei Werner Ehrhardt, der das Orchester l’arte del mondo dynamisch und mit einem Lächeln im Gesicht zu Höchstleistungen antreibt. Bei dem schwungvollen Spiel wird wohl allen Anwesenden klar, dass man gerade die Rockmusik des 18. Jahrhunderts hört. Der Bass entwickelt gerade in den zornerfüllten Arien einen enormen Drive, dass das Publikum kaum stillsitzen kann, es wird gezuckt, mitgewippt und leise auf die Schenkel geklopft. Einziger Wermutstropfen ist die knapp vierstündige Vorstellung, bei der die erste Pause erst nach über zwei Stunden angesetzt ist. Bei einer drei-aktigen Anlage darf man dem Publikum und den Musikern auch mal zwei Pausen gönnen.

Gefordert sind heute Abend vor allem die Sänger, die die anstrengenden und sehr langen Dacapo-Arien mit Koloraturen und Verzierungen anfüllen müssen; diese Aufgabe erfüllen sie mit Bravour und Emotion: Einen Höhepunkt liefert auch darstellerisch die Sopranistin Raffaella Milanesi in der Partie des Sesto, die bei der Uraufführung von dem berühmten Kastraten Cafarelli gesungen wurde. Milanesi ist ein Energiebündel, die mit jeder Faser ihres Körpers die Musik wiedergibt. Sie kann kaum stillstehen, ihre Hände gestikulieren wild, sie steht breitbeinig und ihr Fuß und Knie wippen rhythmisch wie bei einem Rockstar, während ihr Gesicht von den jeweiligen Emotionen der Rolle geprägt ist. Auch wenn sie kurzzeitig an der Seite Platz nimmt, kann sie nicht aus ihrer Rolle, echte Verzweiflung scheint sie zu plagen. Das ist großes Kino für eine konzertante Vorstellung. Dankbar bejubelt das Publikum ihre Darbietung, die von ihrer pointiert arbeitenden und dunkel gefärbten Stimme unterstützt wird. Zweiter Höhepunkt des Abends ist eindeutig der Countertenor von Valer Sabadus als Annio, der den lautesten Szenenapplaus einheimst. Durch alle Lagen hinweg präsent und mit zarten, unglaublichen Höhen lässt er alle die Luft anhalten. Da sitzt jede einzelne Koloratur. Man könnte seinem berührenden Gesang stundenlang zuhören. Auch der zweite Countertenor Flavio Ferri-Benedetti als Publio beeindruckt mit enormem Volumen in seinen zwei Arien, allein die Randtöne sind nicht immer zu 100 Prozent sauber, was aber nicht weiter stört. Die Titelrolle des Tito singt Tenor Rainer Trost mit entsprechender Würde und schönem Timbre. Als tiefste Männerstimme empfindet man seine Herrscherpartie als sehr viril, man vermisst neben den strahlenden Countertenören aber ein wenig Glanz. Arantza Ezenarro zeigt als Servilia mit einem akzentuierten und wohlklingenden, hellen Sopran ihr Können. Als Enttäuschung erweist sich die für Simone Kermes eingesprungene Laura Aikin als Vitellia, für deren Partie eine wirkliche Primadonna vonnöten ist. Gegen die anderen Sänger fällt ihr Gesang ab, zu ungestützt geraten die Koloraturen, zu weich ist ihre Mittellage, zu angestrengt und geschrien die Höhen. Dabei lassen die teilweise sehr schönen Piani Größeres vermuten. Ob es an der mangelnden Vorbereitungszeit lag oder an einer sich anbahnenden Erkältung, das Publikum scheint nichtsdestotrotz zufrieden. In der großen Arie zum Ende des ersten Aktes glänzt neben ihr die Solo-Oboe von Peter Tabori, der seinem Instrument virtuose und für die Oboe so typische enggebündelte Wohlklänge produziert. Durch die Rezitative führt Luca Quintavalle am Cembalo mit fantasievoller Begleitung.

Der Saal des Kulturhauses ist gut besetzt, der Schlussapplaus gerät aber so laut, als wäre die Vorstellung bis auf den letzten Platz ausverkauft. Trotz der langandauernden Vorstellung bleibt das Publikum dauerhaft konzentriert und diszipliniert und lässt am Ende mit Fußtrampeln und zahlreichen Bravo-Rufen seiner Begeisterung Lauf. Dieser konzertanten Aufführung wird eine Weltersteinspielung auf CD folgen, auf die man sich bereits freuen darf.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Hanne Engwald