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Fakten zur Aufführung 

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)
7. Dezember 2013
(Premiere)

Oper Leipzig


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Wotans berührender Abschied

Nach der erfolgreichen Premiere von Das Rheingold im Mai steht nun zum Abschluss des Wagner-Jubiläumsjahres 2013 nach über 40 Jahren wieder die mit Spannung erwartete Neuinszenierung der Walküre auf dem Spielplan. Es wird ein Abend der Premieren, denn bis auf Eva Johansson in der Rolle der Brünnhilde geben alle Hauptdarsteller ihr Rollendebüt an diesem Abend, eine schon sehr ungewöhnliche Konstellation.

Wie schon im Rheingold inszeniert Rosamund Gilmore den ersten Abend der Tetralogie, und sie setzt ihr erfolgreiches Konzept fort und erzählt die Walküre in zwei Handlungsebenen, die psychologisch eng miteinander verflochten sind. War ihr Rheingold der Übergangsmoment vom archaischen zeitlosen Mythos in die Geschichte zu dem Zeitpunkt, in dem die Hoffnung auf die Zukunft gerichtet ist, so wird in der Walküre deutlich, dass das Ende der Götter bevorsteht. Es ist nach dem Drama der Lieblosigkeit, des Neides und der Gier im Rheingold das Drama der Liebe und der psychologischen Beziehungsgeflechte. Da ist der Vater-Tochter-Konflikt zwischen Wotan und Brünnhilde, der Ehezwist zwischen Wotan und Fricka, und natürlich die stürmische inzestuöse Geschwisterliebe zwischen Siegmund und Sieglinde. Diese drei Beziehungen sind miteinander verwoben und verflochten und bedingen die zutiefst menschlichen Agitationen in der Walküre.

Zentralfigur ist Wotan, der nach der Szene mit Fricka resignierend auf das Ende wartet. Da ist kein blasierter Stolz mehr wie noch im Rheingold, sondern reine Verzweiflung. Nicht nur, dass er seinen Sohn Siegmund opfern muss, er verliert auch seine Lieblingstochter Brünnhilde, weil er ein Gefangener seiner eigenen Verträge und Anordnungen ist. Im Abschied von Brünnhilde zeigt sich dieser ganze Schmerz in einer einzigen Geste. Brünnhilde versucht, Wotan zu umarmen, doch er kann diese letzte innige Berührung nicht zulassen und lehnt dann doch sein Haupt an ihr Gesicht. Dieser stille Moment des Innehaltens, großartig begleitet vom Gewandhausorchester, ist der größte und emotionalste Moment in einer spannenden und abwechslungsreichen Geschichte. Gilmore bleibt ihrem choreographischen Erzählstil, der aus dem Rheingold schon bekannt ist, treu und wird dadurch auch vorhersehbarer, was der Spannung aber keinen Abbruch tut. So begleiten, großartig dargestellt, Wotans Raben, Frickas Widder und Siegmunds Wölfe den Handlungsstrang. Sie sind stille Beobachter, ohne ins Handlungsgeschehen einzugreifen, und sind doch omnipräsent. Ja sogar Brünnhildes Pferd Grane wird durch einen Tänzer angedeutet, und auch die gefallenen Helden in Walhall dürfen mitspielen, auch wenn deren Choreographie nicht ganz nachvollziehbar ist.

In der Ausstattung und den Kostümen spielt die Walküre zum Ende des 19. Jahrhunderts, konzeptionell also nach Wagners Tod. Interessant ist die Figur Frickas, die optisch einer jungen Cosima von Bülow ähnelt, die ihren Göttergatten klar in die Knie zwingt. Ob die Ähnlichkeit gewollt ist oder Zufall, dramaturgisch macht das durchaus Sinn. Siegmund und Sieglinde, das liebende Geschwisterpaar, bleiben spielerisch eher blass, weil Gilmore ihre Interaktion doch sehr statisch anlegt. Überhaupt ist wenig Bewegung im Spiel, es ist mehr die Kraft des Ausdruckes, des Blickes, der kleinen Gesten, die berühren. Dass Siegmund am Schluss des zweiten Aufzuges von Hunding erschossen wird, steht zwar nicht in Wagners Regieanweisung, passt aber durchaus in das Gesamtkonzept einer bildreichen Sprache. Ansonsten ist Gilmore eine enge Werktreue zu attestieren, zum finalen Feuerzauber mit ordentlicher Pyrotechnik darf Loge höchst persönlich erscheinen und den Feuerkreis um Brünnhildes Felsen ziehen.

Carl Friedrich Oberle hat wieder die Bühnenbilder geschaffen. Im ersten Aufzug ähnelt Hundings Hütte einem offenen Betonbunker mit Stacheldrahtverhau auf dem Dach, dessen Rückwand sich passend zu Siegmunds Winterstürme wichen dem Wonnemond… öffnet. Im zweiten Aufzug setzt er sein Walhalla-Bild aus dem Rheingold fort, doch wirkt die Götterbehausung schon baufällig, ja ruinös. Im zweiten Bild des Aufzuges bleiben nur die Seitenwände stehen, und das Geschwisterpaar erscheint aus einem zerklüfteten Hintergrund. Im dritten Aufzug dominiert ein zentraler Stahlblock, der Walkürenfelsen, um den mehr als 200 Paar weiße Stiefel als Symbol der gefallenen Helden liegen, die nach Walhall durften. Das erinnert fatal an amerikanische Heldendenkmäler, wo Veteranen ihre Stiefel zur Erinnerung an ihre gefallenen Kameraden drapieren. Ein schon fast einstürzender Bau mit großen Bogenfenstern scheint Walhalls Rückfront zu sein, hier dürfen sich am Schluss die Walküren aufreihen. Die Kostüme von Nicola Reichert sind nicht spektakulär, eher bieder, ganz im Stile des ausklingenden 19. Jahrhunderts. Die Walküren in ihrem Amazonenoutfit sind dagegen ein echter Hingucker. Erwähnenswert auch wieder die Lichtregie von Michael Röger, die, auf den Punkt gesetzt, stimmungsvoll die Musik untermalt.

Musikalisch ist es der Abend der Rollendebüts und großer Stimmen. Eva Johansson mit der Partie der Brünnhilde ist die Einzige, die von der Erfahrung mit der Rolle profitieren kann. Und sie überzeugt mit leuchtenden Höhen und einer Stimme, die eher jugendlich-dramatisch als hochdramatisch klingt, was ihrer Rollenanlage aber entgegen kommt. Und immer wieder erzeugt sie leise Piano-Töne und beweist damit, wie differenziert und lyrisch man diese Partie anlegen kann. Bewegend die finale Szene, in der Wotan von ihr Abschied nimmt. Ganz groß an diesem Abend das Rollendebüt von Markus Marquardt als Wotan. Nach seinem phänomenalen Auftritt als Nabucco zu Beginn des Jahres erfährt Marquardt mit seiner Darbietung ein neues Erfolgserlebnis. Mit ausdrucksstarkem und textverständlichem Bariton, mit kraftvollen Ausbrüchen und sicheren Höhen verkörpert er den zerbrochenen, einsamen Gott. Sein Leb wohl, du kühnes herrliches Kind ist einer der großartigsten Momente an diesem Abend.

Christiane Libor gibt ein umjubeltes Debüt als Sieglinde. Mit sicheren, klaren Höhen und einer warmen Mittellage setzt sie deutliche Akzente, ihre dramatischen Ausbrüche sind höhensicher und ohne Brüche. Ihr ebenbürtig: Guy Mannheim als kraftstrotzender Siegmund. Er hat den Atem, um den zweiten Wälse-Ruf gefühlte zehn Sekunden ohne Wackler auszuhalten, aber er kann es auch lyrisch angehen, wie in den Winterstürmen. Mit einem sehr baritonalen Timbre, aber strahlkräftigen Höhen, schont sich Mannheim zu keinem Zeitpunkt und ist auch von der Stimmanlage der ideale Partner für die Libor. James Moellenhoff überzeugt als finsterer Hunding mit markant schwarzem Bass und aggressivem Habitus, während Kathrin Göring mit ihrem wunderbaren Mezzo und großer Ausdrucksstärke dem Idealbild einer Fricka schon sehr nahe kommt. Die Walküren passen stimmlich leider nicht gut zueinander, da ist zu viel Disharmonie in diesem Oktett, aus dem Katja Beer als Gerhilde und Monica Mascus als Waltraute noch herausragen.

Das Gewandhausorchester überzeugt an diesem Abend erneut durch eine beeindruckende Klangmalerei und durch ein farbenreiches und nuanciertes Spiel. Düster und wuchtig erklingt das Vorspiel zum ersten Aufzug, der peitschende Sturm tobt quasi aus dem Orchestergraben, aber er legt sich auch wieder; und immer wieder gibt es Momente, die fast kammermusikalisch klingen, insbesondere in den großen Cello-Passagen. Etwas unsauber dagegen die Bläser, die manchmal zu scharf akzentuieren, und das Schlagwerk erklingt schon bedrohlich laut. Ulf Schirmer am Pult arbeitet die Leitmotive und die großen Orchesterszenen klar heraus, nimmt das Orchester aber immer wieder zurück, geht ins Piano und begleitet sehr sängerfreundlich. Das Tempo ist insgesamt mäßig moderat, mit gelegentlichen schnellen Anzügen und expressiven Ausbrüchen.

Am Schluss gibt es großen Jubel, minutenlangen Beifall und Bravo-Rufe für die Sänger; Christiane Libor und Guy Mannheim erhalten den größten Applaus. Ulf Schirmer muss an diesem Abend schon eine Menge Buhs wegstecken, vielleicht die Reaktion auf das manchmal verschleppte Tempo und einige zu laute Momente. Dennoch sind diese Buhs, wenn man die Gesamtleistung sieht, nicht berechtigt. Auch das Regieteam um Rosamund Gilmore muss im Vergleich zum Rheingold deutlich mehr Buhs einstecken, nicht jeder im Publikum kann mit dem choreographischen Erzählstil was anfangen.

Ein großartiges Wagner-Jubiläumsjahr an der Oper Leipzig geht dem Ende entgegen, und mit dieser sängerischen Klasse hat sich Leipzig nun endgültig in der Wagner-Liga ganz nach vorne gespielt.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Tom Schulze