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Fakten zur Aufführung 

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)
27. April 2014
(Premiere am 18. April 1998)

Oper Leipzig


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Die Melancholie des Vergänglichen

Wenn ein Opernhaus im Jubiläumsjahr von Richard Strauss auf eine konventionelle sechzehn Jahre alte Inszenierung setzt, dann hat das sicher nicht nur etwas mit Kosteneinsparung zu tun. Die Aussagekraft dieser Inszenierung von Alfred Kirchner hat auch in ihrer Neueinstudierung von Gundula Nowack wenig an Faszination und Emotionen verloren, auch wenn es vordergründig schon mal arg klamautik und derb zur Sache geht.

Im Vordergrund stehen zwei Beziehungsebenen, die durch das kongeniale Zusammenwirken von Richard Strauss mit dem Dichter Hugo von Hofmannsthal musikalisch und textlich verwoben werden. Da ist die reife, sich im besten Alter befindliche Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, und ihr gerade mal siebzehn Jahre alter Geliebter Octavian, der locker ihr Sohn sein könnte. Eine in der heutigen Zeit zwar auch eher ungewöhnliche Beziehung, aber im Wien zu Kaiser Maria Theresias Zeiten ein unerhörter Skandal, zumal es sich bei der Fürstin ja um die Gattin des Feldmarschalls handelt. Und so wird diese Liebschaft auch nur angedeutet. Ein leidenschaftlicher Kuss, ein paar zerwühlte Kissen. Es ist eine eher oberflächliche Beziehung, die der Fürstin schmerzhaft die Verletzlichkeit des Alters vor Augen hält und dem Wissen, dass ihr junger Galan sie bald wegen einer Jüngeren verlassen wird. Das passiert schneller, als ihr lieb ist. Octavian soll als Rosenkavalier für den Baron Ochs auf Lerchenau um die Hand der jungen und liebreizenden Sophie anhalten, und der Moment der Rosenüberreichung wirbelt auch musikalisch die Gefühlswelt der beiden jungen Menschen durcheinander. Der grobschlächtige derbe Ochs hat mit seinem rüpelhaften Charakter natürlich keine Chance bei dem jungen Mädchen. Und so entspannt sich um diese beiden Beziehungen ein komödiantisches Verwirrspiel, mit deftigem Klamauk, aber auch mit einigen wenigen großen und innigen Momenten. Am Ende verzichtet die Fürstin in schmerzhafter Erkenntnis der Realität auf den jungen Geliebten, und das junge Liebespaar kann sein Glück kaum fassen, weil es ihm wie ein Traum vorkommt.

Kirchner hat in seiner Regie genau diese Beziehungsebenen akzentuiert und in den Vordergrund gestellt. Besonders die Fürstin stellt Kirchner als großen und menschlichen Charakter da. Auch Octavian, sonst der stets sprunghafte und ungestüme, ja noch pubertierende Teenager, zeigt hier eine für sein Alter schon weit entwickelte Reife. Selbst Sophie ist nicht nur das kleine Hascherl, das unter die Haube kommen will, sondern eine junge selbstbewusste Dame, die schnell weiß, was sie will. Kirchner hat diese Charaktere liebevoll skizziert. Dafür darf der Ochs der rüpelhafte Grobian sein, und alle weiteren Charaktere werden überspitzt gezeichnet, mit viel Situationskomik und derbem Charme. Das Bühnenbild von Marcel Keller gibt diesem Klamauk den notwendigen Raum. Das erste Bild zeigt das Schlafgemach der Fürstin, an dem schon etwas der Zahn der Zeit genagt hat, in konventioneller Ausstattung. Auch das Palais des Herrn von Faninal im zweiten Akt ist mehr Schein als Sein, da fehlt der letzte Farbanstrich, da möchte jemand gerne etwas mehr sein. Das Wirtshaus im dritten Aufzug ist einfach eingerichtet, und aus den Luken und Fenstern wird Spuk und Schabernack getrieben, um das vermeintliche Rendezvous des Ochs mit dem Mariandl so richtig zu stören. Doch als aller Spuk vorbei ist, verschwinden alle Kulissen bis auf die Stühle und Notenpulte der Bühnenmusiker, und der große offene Raum gibt die emotionale Kulisse für das Schlussterzett mit dem großen Verzicht der Fürstin und dem finalen Liebesduett zwischen Octavian und Sophie. Joachim Herzog hat für diese Inszenierung die bunten, teils opulenten Kostüme im historischen Kontext geschneidert, die neben dem Treiben auf der Bühne ebenfalls ein echter Hingucker sind.

Es ist der Abend der Kathrin Göring, die in der Doppelrolle als Octavian und Mariandl sängerisch und schauspielerisch brilliert und dem jungen Galan eine interessante Ernsthaftigkeit verleiht, um als Mariandl komisch und keck zu agieren. Mit ihrem warmen Mezzosopran, der nicht nur ein breit angelegtes Fundament besitzt, sondern auch wunderbare Spitzentöne erzeugen kann, weiß die Göring zu begeistern. Großartig Manuela Uhl in der Rolle der Feldmarschallin. Ihr jugendlich dramatischer Sopran verfügt einerseits über eine hohe Strahlkraft, andererseits legt sie die Partie mit hoher musikalischer Intelligenz und Differenziertheit an. Ihr Spiel ist von einer großen Grandezza, doch in den innigen, schmerzlichen Momenten zeigt sie auch musikalisch die große Verletzlichkeit dieses Charakters. Ihre Erfahrung mit Werken von Richard Strauss und ihre musikalische Interpretation machen sie zu einer Idealbesetzung für diese Partie. Auch Eun Yee You in der Partie der Sophie zeigt, trotz Ausflugs in dramatischere Partien, dass sie immer noch über die strahlenden Höhen und den Liebreiz in der Stimme verfügt, die für die Gestaltung der Partie so wichtig ist. Im Zusammenspiel mit Kathrin Göring entwickelt sich zudem eine elegische Stimmharmonie.

Jürgen Linn gibt mit seinem markanten Bass-Bariton einen herrlich derben und rüpelhaften Ochs auf Lerchenau, ohne dass der Wiener Schmäh in dieser Rolle zu kurz kommt. Jürgen Kurth als eitler Herr von Faninal überzeugt mit Stimmgewalt und überschäumendem Spiel. Anke Berndt lässt mit hellem und klarem Sopran als Leitmetzerin aufhorchen. Martin Petzold als Valzacchi und Karin Lovelius als Annina sind als intrigantes Paar schon fast eine Luxusbesetzung. Gaston Rivero darf in seinem Kurzauftritt als Sänger seinen ganzen tenoralen Schmelz zum Besten geben. Auch alle anderen Rollen sind sängerisch auf hohem Niveau besetzt.

Musikalisch lässt diese Aufführung fast nichts zu wünschen übrig. Ulf Schirmer führt das Gewandhausorchester mit dem richtigen Gespür für die Schönheit, aber auch die Tücken der Straussschen Musik durch die Partitur. Er schwelgt in Walzerseligkeit, lässt es poltern und krachen, um dann die innigen Momente punktiert herauszuarbeiten. Schirmer ist sicher einer der profiliertesten Strauss-Dirigenten, der in der Lage ist, große symphonische Tondichtung, Walzerklänge und kammermusikalische Intimität gleichermaßen anzubieten, wobei die Sänger bei ihm immer im Vordergrund stehen. Allessandro Zuppardo und Sophie Bauer haben Chor und Kinderchor der Oper Leipzig harmonisch aufeinander abgestimmt.

Das Publikum, während der Aufführung bisweilen etwas zu unruhig, feiert am Schluss mit großer Begeisterung die Aufführung. Insbesondere Kathrin Göring und Manuela Uhl werden zu Recht umjubelt, aber auch Ulf Schirmer und das Gewandhausorchester dürfen den verdienten Lohn entgegen nehmen. Wenn die Melancholie des Vergänglichen auch nach sechzehn Jahren noch so verzaubern kann, braucht man tatsächlich keine Neuinszenierung dieses Werkes in Leipzig, auch nicht zum 150. Geburtstag des Komponisten.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Tom Schulze