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Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
13. Oktober 2012
(Premiere)

Oper Leipzig


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Bizarre Tragödie eines Narren

Es ist eine angespannte Atmosphäre in der ausverkauften Oper Leipzig. Zum Saisonauftakt der Spielzeit 2012/13 inszeniert Echo-Klassik-Preisträger Anthony Pilavachi Verdis Rigoletto als moralloses Melodramma und spielt dabei mit der opulenten Dekadenz der Renaissance, einer Zeit, in der Gesetz und Moral scheinbar nicht existieren. Und so ist Pilavachis Rigoletto primär die bizarre Tragödie eines Narren, dessen Vorstellungen von Moral und Ehre nur für seine im Versteck lebende Tochter Gilda gilt, aber nicht für sein übriges Handeln als willfähriger Komplize des Herzogs von Mantua. Rigoletto ist in Verdis Oper der gesellschaftliche Außenseiter, der die primitiven Bedürfnisse des Herzogs von Mantua und seiner Hofgesellschaft befriedigt, indem er ihnen skrupellos junge Frauen adliger Herkunft wie Freiwild serviert. Orgien und Vergewaltigung beherrschen die Szene, während Rigoletto ein Doppeleben führt und seine junge bildhübsche Tochter Gilda von dieser verkommenen Welt abschirmen und schützen will. Die Tragödie nimmt ihren Lauf, als Gilda sich in den Herzog von Mantua – in Gestalt eines jungen Studenten – verliebt und Rigolettos Doppelleben ihm und seiner Tochter zum Verhängnis wird. Gildas Opfertod verhindert Rigolettos Rache und Strafe am Herzog von Mantua und wird zu seiner eigenen Tragödie.

Regisseur Anthony Pilavachi, der in Lübeck mit seiner Ring-Inszenierung und zuletzt vor sechs Wochen mit der Lübecker Premiere des Parsifal für Aufmerksamkeit und kontroverse Diskussionen gesorgt hat, sorgt auch bei dieser Premiere mit seiner eindrucksvollen Personenregie für zündenden Gesprächsstoff. Rigoletto ist nicht der obligate bucklige Narr, sondern ein gehbehinderter Außenseiter der Gesellschaft, der um Anerkennung buhlt und sich so zum willfährigen Helfershelfer des Herzogs anbiedert. Der Herzog wiederum ist ein Beau, ein Frauenverführer und ein dekadenter Herrscher, der sich nimmt, was er will, und vernichtet, was er nicht mehr braucht. Zwischen diesen polarisierenden Extremen ist die Figur der Gilda als einsame, das Leben nicht kennende junge Frau angelegt. Pilavachi zeigt schonungslos die moralischen Abgründe jener Zeit auf und scheut sich nicht, Orgien und Massenvergewaltigung am Hof von Mantua anzudeuten, was ihm in dieser Szene auch einige Buh-Rufe aus dem Publikum einbringt. Doch es ist die Dekadenz dieser Zeit, die hier dargestellt wird; freizügig, aber ohne Effekthascherei. Und so ist es Pilavachis Verdienst, dass diese Inszenierung nachhaltig und überzeugend wirkt. Dies gilt besonders für den Moment, wo sich die Bühne dreht und Rigoletto erkennen muss, dass seine geliebte Gilda vom Herzog verführt worden ist.

Unterstützt wird Pilavachi in seiner Darstellung von Tatjana Ivchina, die wie schon im Lübecker Parsifal für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich ist. Wunderbar arbeitet sie auf der Drehbühne die kalte Atmosphäre am Hofe des Herzogs von Mantua heraus. Der Palast ist ein kerkerartiges Gemäuer, passend zu der kalten und verachtenden Gesellschaft. Unterhalb dieser Ebene befinden sich Rigolettos karge Privaträume, in der Gilda ihr abgeschiedenes Dasein fristet. Das Wohnhaus des Kupplers und Auftragsmörders Sparafucile ist ein heruntergekommenes Bordell, dessen blinkende Doppelherzen am Eingang augenzwinkernd zu sehen sind und die gelungene dunkle und kühle Einheit konterkariert. Ihre Kostüme sind durchweg dunkel angelegt, nur das rote Hemd Rigolettos und das grellgelbe Jackett des Herzogs bieten optischen Kontrast.

Auch die musikalische und sängerische Leistung an diesem Abend ist beeindruckend. Matthias Foremny leitet das Gewandhausorchester Leipzig sicher und begleitet die Sänger in ihren großen Arien. Insbesondere Eun Yee You wird von ihm in ihren Piano-Stellen getragen. Schon die ersten Takte des Vorspiels kündigen die Spannung und die Dramatik des Momentes an, und die Gewandhausmusiker musizieren gewohnt präzise und erzeugen den besonderen Farbenklang Verdis. Ein vereinzelter Buh-Ruf gegen Foremny am Schluss der Vorstellung ist völlig unberechtigt und nicht nachvollziehbar. Allessandro Zuppardo hat den Herrenchor der Oper Leipzig stimmlich hervorragend eingestellt.

Vittorio Vitelli in der Partie des Rigoletto besticht an diesem Abend sowohl durch seinen markanten Bariton als auch durch sein emotionales Spiel. Berührend seine Zärtlichkeit in der Stimme, wenn es um seine Tochter Gilda geht, gleichzeitig aber auch die Verachtung im Ausdruck gegenüber dem Herzog und seiner dekadenten Gesellschaft. Leonardo Capalbo als Herzog von Mantua interpretiert seine Rolle als dekadenter Frauenverführer par excellence. Ist seine Auftrittsarie noch etwas zurückhaltend, überzeugt er dann mit schlanker Stimmführung und sicherer Höhe in La donna é mobile. Eun Yee You legt die Partie der Gilda zart und im Piano liegend an. Auch wenn ihre Stimme im Laufe der Jahre reifer und schwerer geworden ist, beherrscht sie die Tücken dieser Partie. Sicher ihre Höhen und ihre dramatischen Ausbrüche, verletzlich ihr Spiel und berührend die Duette mit Vittorio Vitelli. Für ihre große Arie Caro nome erhält sie zu Recht großen Szenenapplaus.

Die Mezzosopranistin Carolin Masur singt die Partie der Giovanna mit solider Stimmführung, während Jürgen Kurth mit kräftigem Bariton einen hasserfüllten Graf von Monterone gibt. Mit schwarzem Bass und brutaler Ausstrahlung ist James Moellenhoff eine Luxusbesetzung für den Schurken Sparafucile. Dessen Schwester Maddalena wird von der schwedischen Mezzosopranistin Karin Lovelius gegeben. Ihr fehlt etwas die erotische Ausstrahlung im Timbre, das für diese Rolle der Verführerin unabdingbar ist. Der junge Südkoreaner Sejong Chang lässt mit seinem sonoren Bass als Graf Ceprano aufhorchen, und alle weiteren Sänger fügen sich ohne Abstriche harmonisch in ein überzeugendes Sängerensemble ein.

Am Schluss der Vorstellung gibt es großen Jubel für alle Beteiligten und nur vereinzelte Buhs für das Regieteam. Der Oper Leipzig ist mit dieser Produktion ein bemerkenswerter und sicher nachhaltiger Erfolg und Einstieg in die neue Spielzeit gelungen.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Andreas Birkigt