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Fakten zur Aufführung 

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)
4. Mai 2013
(Premiere)

Oper Leipzig


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Wagners Göttliche Komödie

Richard Wagners großes Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen ist eng mit seiner Geburtsstadt Leipzig verbunden. So fand hier 1878/1879 die erste szenische Aufführung des Ringes außerhalb von Bayreuth statt, und letztmalig hatte der Ring in Leipzig von 1973 - 1976 Premiere, eine epochale Inszenierung von Joachim Herz, die als sogenannter Jahrhundertring in Konkurrenz stand zu Patrice Chéreaus gleichnamiger legendärer Bayreuther Inszenierung. Genau 40 Jahre später, kurz vor den Feierlichkeiten zu Wagners 200. Geburtstag, hebt sich wieder der Vorhang zum Vorabend der Tetralogie, dem Rheingold. Und mit dieser Premiere beginnt auch das ambitionierte Leipziger Ring-Projekt, das in den kommenden drei Jahren die weiteren Werke des Ringes vorsieht und 2016 mit der Premiere der Götterdämmerung seinem krönenden Abschluss entgegen sieht.

Im Vorabend zu Richard Wagners Ring-Tetralogie werden im Rheingold die zentralen Themen des Gesamtwerkes angesprochen. Liebe und Macht schließen sich aus, das ist die Erkenntnis, die am Anfang dieses Zyklus’ steht. Und musikalisch ist es das tiefe Es der Streicher, das zurückführt zur Geburt der Welt, zum idealtypischen Urzustand.

Doch mit Alberichs Raub des Rheingolds und seinem fatalen Fluch, Wotans größenwahnsinniger Idee einer Götterburg als Symbol längst verlorener Autorität, der Überlistung Alberichs durch Loge und schließlich Fafners Brudermord an Fasolt entwickelt sich ein Handlungsstrang, der unweigerlich zum Ende führt und auch durch Erda nicht mehr beeinflussbar ist.

Den kompletten Ring inszeniert Rosamund Gilmore, die sich erstmalig mit diesem Werk in Leipzig beschäftigt. Gilmore möchte sich frei machen von den vielen Interpretationsversuchen des Werkes in den letzten Jahrzehnten, sie möchte eine Geschichte erzählen, in der das menschliche, aber auch das psychologische Element im Vordergrund stehen. Ihre Götter sind Menschen mit göttlichen Accessoires, durchaus archetypisch, aber fehlbar und beeinflussbar. Und sie möchte die komödiantischen Elemente, die es im Rheingold ja durchaus gibt, den zerstörerischen Handlungen gegenüberstellen. Ihr Rheingold ist der Übergangsmoment vom archaischen zeitlosen Mythos in die Geschichte zu dem Zeitpunkt, in dem die Hoffnung auf die Zukunft gerichtet ist. Angesiedelt von der Ausstattung und den Kostümen ist das Rheingold zur Zeit seiner Entstehungsgeschichte, also zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, doch das Konzept ist zeitgeschichtlich nach vorne gerichtet, und die Götterdämmerung wird dann in der aktuellen Gegenwart spielen.

Gilmore bedient sich in ihrer Erzählung eines choreographischen Ansatzes und hält sich dabei sehr dicht an den Text. Zwölf Tänzer, auch als mythische Elemente bezeichnet, sind omnipräsent auf der Bühne und illustrieren, beobachten und begleiten das Geschehen. Sie sind der zentrale Mittelpunkt dieser Inszenierung. Sie sind Helfershelfer der Protagonisten, stellen in der Verwandlungsszene im dritten Bild Riesenwurm und Kröte dar, sind die geknechteten Nibelungen, erscheinen als Wotans Raben oder als Nornen in der Erda-Szene, ein gelungener Verweis auf die drohende Götterdämmerung, und bewegen während der offenen Wechsel zwischen den einzelnen Bildern grazil die wenigen Requisiten hin und her. Ihre elastischen Körperhüllen lassen viel Spielraum für Verwandlung, Phantasie und Mythos zu. Gilmore, die über eine klassische Ballettausbildung verfügt, hat die Choreographie ganz der Musik untergeordnet. Die wogende Welle, das Charakteristikum im Rheingold, wird von den Tänzern aufgenommen und setzt sich über das gesamte Werk fort.

Die Götter werden in ihrer Erzählung als blasierte marode Gesellschaft dargestellt, hinter deren mythischer Fassade menschliche Eigenschaften zum Vorschein kommen: Liebe und Hass; Neid, Gier und Machthunger.  So erinnert Wotans erster Auftritt eher an einen römischen Imperator, der sich selbstverliebt und eitel in seinem Glanze sonnt, während seine Gemahlin als Grand Dame auftritt und unwillkürlich Assoziationen an Cosima Wagner hervorruft. Freia ist ein naives Püppchen, Froh und Donner sind arrogant wirkende Nebenfiguren, die nicht wirklich ins Geschehen eingreifen können. Ganz anders Loge, der Strippenzieher, der mit intrigantem Spiel das Heft des Handelns in der Hand hält und der Außenseiter ist, von den Göttern mehr geduldet als akzeptiert. Wotan aber verwandelt sich im Laufe des Geschehens, er spürt um seine wankende Macht. Genial ist die Erda-Szene. Erda erscheint mit den seilspinnenden Nornen, die schon auf die Götterdämmerung hinweisen. Und schon fast liebevoll berührt Wotan den Bauch der hochschwangeren Erda, ein erster Hinweis auf Brünnhilde und die Walküren, die Wotan mit Erda noch zeugen wird.

Auch in der anderen mythischen Ebene gibt es bunte Kontraste. So geizen die Rheintöchter nicht mit ihren optischen Reizen und bringen Alberich, den lüsternen und notgeilen Chef der Nibelungen, mit lasziven Gesten fast um den Verstand. Seine Entsagung der Liebe und der Raub des Goldes verwandelt die Komödie in ein Drama, an dessen Ende der Untergang der Götter und die Hoffnung auf eine neue Welt stehen. Rosamund Gilmore schafft es in diesen 2 Stunden und 40 Minuten, die Geschichte spannend und intensiv zu erzählen, ohne dramaturgische Brüche und ohne belehrenden Zeigefinger, dabei ganz dicht am Werk.

Unterstützt wird sie dabei von Carl Friedrich Oberle, der für das Rheingold einen einzigen Bühnenraum geschaffen hat. Passend zum Erzählstil symbolisiert dieser Raum den Übergang der Zeit. Im Mittelpunkt stehen ein großes Treppenhaus, das die Zeit des Transits markiert, ein großes Becken in der Mitte, im ersten Bild mit Wasser gefüllt und dann wie eine Bühne auf der Bühne die Handlungsabläufe zentralisiert; sowie ein großer Bogen, der durch unterschiedliche Beleuchtung die verschiedenen Ebenen und Beziehungen charakterisiert und sich zum Einzug der Götter in Walhall am Schluss in einen leuchtenden Regenbogen verwandelt. Hier hat die Lichtregie von Michael Röger ihren ganz großen Moment. Die Kostüme von Nicola Reichert sind phantasievoll an die Entstehungsgeschichte des Werkes adaptiert und verleihen den einzelnen Figuren ihren besonderen individuellen Charakter.

Das gesamte Ensemble hat den Erzählstil Gilmunds übernommen und bewegt sich mit großer Spielfreude und Intensität. Und musikalisch offenbart dieser Abend große Momente und Überraschungen. Allen voran Thomas Mohr als Loge. Mit einer Stimme, die schon fast Heldentenorcharakter hat, und übersprühender Spielfreude ist er sängerisch und spielerisch der Dominator dieser Aufführung und hat mit seiner musikalischen Interpretation dieser Figur einen neuen Maßstab gesetzt. Überragend auch Jürgen Linn als Alberich. Sein markanter Bass-Bariton ist geprägt von Durchschlagskraft und sehr textverständlicher Deklamation. Sein Fluch zu Beginn des vierten Bildes, tief durchdringend, ist der musikalische Höhepunkt des Abends. Sein Spiel, zunächst komödiantisch hinter den Rheintöchtern gierend, dann abgrundtief böse als Nibelungenfürst, zeigt alle schauspielerischen Facetten, die diese Rolle fordert. Auch Dan Karlström als Mime überzeugt einmal mehr als Charaktertenor mit dynamischem Spiel.

Tuomas Pursio gibt ein beachtenswertes Rollendebüt als Rheingold-Wotan, aber er wird sicher noch mehr im Laufe der Zeit in diese Rolle hineinwachsen. Seinem relativ hoch angelegten Bariton fehlen noch das Fundament in der Tiefe und die natürliche dominante Ausstrahlung, die diese Partie so einzigartig macht. Karin Lovelius überzeugt als elegante Gemahlin Fricka mit Grand-Dame-Attitude und dramatischem Mezzo-Sopran. Michael Kraus gibt den Donner mit kräftigem Bariton, James Allen Smith als Froh lässt mit jungem Eleven-Tenor aufhorchen, und Sandra Trattnigg gibt die Freia mit klarem, jugendlich-dramatischem Sopran.

Stephan Klemm singt den Fasolt mit schon fast balsamischem Bass und verleiht dem verliebten Riesen dadurch eine schon fast menschliche Note, während James Moellenhoff gewohnt stimmgewaltig seinen Bass als Brudermörder Fafner erklingen lässt. Differenziert und mit ausdrucksvollem, warmem Mezzosopran singt Nicole Piccolomini die Partie der Erda. Eun Yee You als Woglinde, Kathrin Göring als Wellgunde und Sandra Janke als Flosshilde harmonieren stimmlich und spielerisch als verführerisches Rheintöchter-Trio.

Das Gewandhausorchester begeistert an diesem Abend durch eine beeindruckende Klangmalerei und durch ein farbenreiches und nuanciertes Spiel. Dunkel und düster erklingt der Es-Dur Akkord zu Beginn aus dem Orchestergraben, doch die Farben wechseln schnell. Der Übergang zum zweiten Bild ist schon fast symphonisch zart, die Nibelungen-Szenen dagegen im überschäumenden Forte schon brutal, der Einzug der Götter in Walhall wiederum majestätisch und erhaben. Ulf Schirmer führt die Orchestermusiker mit klarem Gestus durch die Partie. Er arbeitet Farbnuancen heraus, wechselt klug die Tempi und arbeitet besonders die Leitmotive und symphonischen Elemente klar heraus. Die in der Partitur vorgesehenen 18 Ambosse hat Schirmer in den beiden Verwandlungsszenen durch eine gesampelte und digitalisierte Aufnahme von Originalambossen durch zwei Pianisten einspielen lassen und damit einen Klang erzeugt, der dem Original sehr nahe kommt und so in dieser Form selten zu hören ist.

Am Schluss gibt es großen Jubel, minutenlangen Beifall und Bravo-Rufe für alle Beteiligten. Besonders Ulf Schirmer, Thomas Mohr, Jürgen Linn und Dan Karlström dürfen sich an der Publikumsgunst erfreuen. Auch das Regieteam um Rosamund Gilmore wird bejubelt, einige wenige Buhs gehen da im großen Beifallreigen unter.

Der Auftakt zu den Festlichkeiten zu Wagners 200. Geburtstag am 22. Mai ist gelungen, und man darf schon jetzt sehr gespannt sein, wie Gilmore und die Oper Leipzig das Ring-Projekt bis zur Götterdämmerung im Jahre 2016 weiter entwickeln werden.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Tom Schulze