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Fakten zur Aufführung 

PAX 2013
(Mario Schröder/Uwe Scholz)
20. November 2013
(Premiere am 16. November 2013)

Oper Leipzig


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Auf Spurensuche

Mit Pax 2013 steht ein zweiteiliger Ballettabend in Leipzig auf dem Programm, der in mehrfacher Hinsicht Teil der Geschichte ist, aber auch Geschichte schreibt. Alles beginnt vor einundzwanzig Jahren, im Jahre 1992. Der junge Choreograph Uwe Scholz ist neu an der Oper Leipzig und soll dem Ballett frischen Wind verleihen. Intendant ist zu dieser Zeit der Komponist Udo Zimmermann, der wiederum zehn Jahre zuvor ein bedrückendes weltliches Oratorium komponiert hat. Scholz nimmt dieses teil sakrale, teils atonale Werk als Grundlage für seine bahnbrechende Choreographie Pax Questuosa, der klagende Friede. Udo Zimmermanns Komposition liegen Texte zugrunde, die um die Erfahrung und das allzu rasche Vergessen oder Verschweigen von existenziellem Leiden kreisen: Dichtungen von Czesław Miłosz, Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs und Heinrich Böll. In einem 1944 entstandenen Sonett von Rudolf Hagelstange heißt es: Wie kann man singen, wenn aus allen Kehlen/der Angstschrei und die Klage bricht? Diese für das Werk insgesamt programmatischen Verse markieren die Herausforderung, vor der auch die tänzerische Auseinandersetzung mit Pax Questuosa steht: Wie kann eine Choreografie sich mit den Schrecken unserer Existenz beschäftigen, ohne zu verzweifeln oder andererseits bloß schöne Bilder zu entwerfen, die das Vergessen erleichtern? Es ist ein apokalyptisches Werk, der Friede wird am Ende nicht wirklich erreicht. Das Finale, eine großartige Anlehnung an Bachs H-Moll Messe, wird brutalst durch eine Zwölfton-Dissonanz zerstört. Verstörend auch der tänzerische Ausdruck, denn bei Scholz wird die Musik in Figur umgesetzt; Zimmermann und Scholz bilden im Pax Questuosa eine geistige Einheit, eine ganz besondere Symbiose. Und so gelingt dieses Stück zu einem Meisterwerk und begründet den Weltruf von Uwe Scholz. Pax Questuosa beschreibt die Zeit in Leipzig kurz nach der Wende. Es zeigt, wie ein Volk, voller Hoffnung nach der friedlichen Revolution und Wende, immer mehr desillusioniert wird und die harte Realität des Kapitalismus die Angst schürt, dass die Revolution nicht das halten kann, was sie einst versprochen hat. Und so ist Pax Questuosa auch ein Zeitzeugnis einer wichtigen Epoche in der Stadt Leipzig. Und Uwe Scholz, dieser begnadete und visionäre Choreograph, stirbt urplötzlich und viel zu früh im Jahre 2004 und hinterlässt Resignation und Stagnation.

Doch da ist Mario Schröder, Solotänzer unter Scholz und sein ambitioniertester Schüler. Bei der Uraufführung von Pax Questuosa tanzt er die großen Soli, und dieses Werk wird ihn prägen. Nun ist Schröder Leiter des Leipziger Balletts, geht seine eigenen Wege, ohne seine Herkunft zu verleugnen. Scholz ist omnipräsent. Mit der Uraufführung von Blühende Landschaft will Schröder endgültig aus dem Schatten seines großen Vorbildes und Mentors Uwe Scholz treten, um ihm mit der Rekonstruktion von Pax Questuosa gleichzeitig ein Denkmal zu setzen. In Blühende Landschaft, einer ironischen Anspielung an das Zitat von Helmut Kohl kurz nach der Wende, verarbeitet Schröder seine eigene Geschichte und seine sehr persönliche Anschauung zur heutigen globalisierten Welt. Und wieder ist es Udo Zimmermann, dessen musikalische Klangvielfalt fast schon apokalyptisch daher kommt, immer wieder mit Musik von Johann Sebastian Bach zur Ruhe gebracht. Blühende Landschaft ist ein Stück im Spannungsfeld zwischen Utopie und Enttäuschung, Isolation und Gemeinschaft, zwischen virtueller Welt und realer Gegenwart. Die musikalische Basis für die das Stück ist wiederum eine Komposition von Zimmermann. Herausragend sein Cello-Konzert Lieder von einer Insel nach Gedichten unter anderem von Ingeborg Bachmann und Friedrich Hölderlin, kontrastiert mit Kompositionen von Johann Sebastian Bach, dessen H-Moll-Messe ja auch am Schluss von Pax Questuosa anklingt.

Unter dem Titel Pax 2013, der in diesem Jahr größten von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Produktion des Tanzfonds Erbe, geht der zweiteilige Ballettabend über die Bühne. Im ersten Teil, Blühende Landschaft, steht der Tanz als Ausdruck oft konträr zur Musik. Da zittern die Körper wie bei Krampfanfällen, der Anblick wirkt verstörend. Durch Videoinstallationen, die die Sprengung der Leipziger Universitätskirche zeigen, durch die Einblendung der Gedichte, die Zimmermann in diesem ersten Teil vertont hat, sowie der düsteren Lichtregie verkehrt sich die Blühende Landschaft ins Gegenteil. Es ist eine Abrechnung mit den letzten einundzwanzig Jahren, in der eine globalisierte Welt nichts aus Kriegen und Naturkatastrophen gelernt hat, und es ist ein kritischer Blick auf Leipzig und seine Entwicklung. Im zweiten Teil, Pax Questuosa, geht Schröder auf Spurensuche seiner eigenen Geschichte und Entwicklung. Bei allem choreographischem Kontrast und Widerspruch ist doch eine Verbindung zu sehen, die über den Tanz hinausgeht. Von Uwe Scholz zu Mario Schröder, und von Johann Sebastian Bach zu Udo Zimmermann, alle vier Namen untrennbar mit Leipzig verbunden.

Das Ballettensemble zeigt eine ausdrucksstarke, fast bis an die Grenze der Belastbarkeit gehende tänzerische Leistung, zumal einer der Solotänzer wegen einer Verletzung nicht auftreten kann und somit das ganze Ensemble kurzfristig umbesetzt werden muss. Umso höher ist die Leistung zu werten, auch wenn der ästhetische Ausdruck nicht immer vorhanden ist und manches in der Choreographie unverständlich bleibt. Großartig auch der von Alessandro Zuppardo eingestimmte Chor, der die Herausforderung der Zimmermannschen Urgewalt annimmt und deklamatorisch umsetzt. Die Gesangssolisten kommen allerdings mit der nicht wirklich sängerfreundlichen Komposition an ihre natürlichen Grenzen, und die Schwelle zwischen Gesang und Geschrei ist fließend. Insbesondere die beiden Sopranstimmen von Siphiwe McKenzie und Sandra Maxheimer sind an diesem Abend kein Genuss. Der Tenor Michael Putsch ist mit seinem Gesangspart völlig überfordert, während Jürgen Kurth und Derrick Ballard ihren Part gut bewältigen. Doch muss man berücksichtigen, dass Zimmermanns Gesangskomposition die Nähe zur Kakophonie sucht.

Das Gewandhausorchester unter der souveränen Stabführung von Anthony Bramall, der auch dieses Genre gut beherrscht, besticht an diesem Abend vor allem durch seine variablen Klangfärbungen. Besonders die Soloinstrumente zeigen, warum das Gewandhausorchester Leipzig ein Orchester von Weltruf ist.

Das überwiegend studentische Publikum umjubelt natürlich die Tänzer, aber auch Anthony Bramall und das Orchester bekommen ihren verdienten Applaus. Bei der Premiere wurden Komponist Udo Zimmermann und Choreograph Mario Schröder mit Ovationen umjubelt. Für Freunde des modernen Balletts ist Pax 2013 ein Muss. Aber es ist auch ein Teil Vergangenheitsbewältigung der neueren Geschichte Leipzigs, sowohl musikalisch, choreographisch als auch historisch.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Ida Zenna