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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner )
6. April 2012
(Premiere am 8. April 2006)

Oper Leipzig


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Erlösung dem Erlöser - das ist die Frage

Leipzig tut sich schwer im Umgang mit seinem Sohn Richard Wagner. Und die Vorbereitungen auf seinen 200. Geburtstag im kommenden Jahr sind nicht frei von Misstönen und Querelen. Auch die Aufführungen von Wagners Werken in seiner Geburtsstadt werden nicht immer gut angenommen. Dabei muss es sich doch mittlerweile herumgesprochen haben, dass die Oper Leipzig eine Qualität anbietet, die durchaus internationales Format besitzt. So auch am Karfreitag, als der Parsifal in der Inszenierung von Roland Aeschlimann, eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève und der Opéra de Nice, gezeigt wird, in einem gutgefüllten, aber nicht ausverkauftem Haus.

Im Mittelpunkt der Inszenierung steht die Frage nach der Erlösung. Erlösung dem Erlöser? Amfortas, der den Tod als Erlösung von seinen Qualen ersehnt. Kundry, die Vergebung sucht als Erlösung von dem Fluch, weil sie einst den Heiland am Kreuze verlacht hat. Ist Parsifal der Erlöser, der Heilsbringer? Am Schluss der Inszenierung wissen wir es. Kundry ist von ihrer Schuld erlöst und kann in den Armen Amfortas' sterben, der seinerseits von den Qualen der nicht heilenden Wunde erlöst wird und sein übermächtiges Amt als Gralshüter an Parsifal abgibt. Aeschlimann, der sowohl für die Regie als auch für das Bühnenbild verantwortlich ist, zeigt in wunderbar plastischen Bildern den Konflikt von Schuld und Sühne, von Wunde und Verwundeten, von Zeichen und Gezeichneten. Klafft in Amfortas' Brust eine große blutende Wunde, so ist es Klingsors Unterleib, der diese schmerzende Verwundung aufzeigt. Auch wenn die Personenregie manchmal spärlich erscheint, so konzentriert sie sich auf die Gesten und den Ausdruck, insbesondere auf das Leiden. Das haben die Protagonisten des Abends in beeindruckender Weise umgesetzt.

Das Bühnenbild zeigt die intensive Auseinandersetzung Aeschlimanns mit diesem letzten Werk Wagners, das ja ursprünglich ausnahmslos für das Festspielhaus in Bayreuth konzipiert war. Die Umsetzung der Metapher „Zum Raum wird hier die Zeit“ gelingt dem Regisseur in beeindruckender Manier. Der transzendente Spiraltunnel, der aus dem Nichts entsteht, mit einem schwebenden Kubus als Gral, das ist eine wohltuende Annäherung an die Mythologie Wagners. Unterstützt wird er dabei durch das angenehme, weichzeichnerische Lichtdesign von Lukas Kaltenbäck, der dieser Inszenierung damit auch eine spirituelle Atmosphäre verleiht. Das gilt auch für den Schlussmoment im zweiten Aufzug, als sich der überdimensionierte Speer von Klingsor zu Parsifal dreht. Dass der Karfreitagszauber für Aeschlimann nicht nur einen christlichen Ursprung hat, zeigt er im dritten Aufzug, als Kundry dutzende von kleinen Buddha-Statuen enthüllt. Aeschlimann bezieht sich dabei auf eine buddhistische Fabel, in der es ebenfalls um das Thema Erlösung geht. Ein sicher diskussionswürdiger Regieeinfall in einer Parsifal-Inszenierung, die sich aber in dieser Aufführung gut in das Gesamtkonzept einfügt. Die zeitlosen Kostüme und Kundrys verführerische Robe im zweiten Aufzug von Susanne Raschig fügen sich wunderbar in das Geschehen ein; gleiches gilt für die Choreographie der Blumenmädchen, die Lucinda Childs harmonisch ästhetisch angelegt hat.

Musikalisch ist die Aufführung von hohem Niveau, mit einigen kleinen Wermutstropfen. Ulf Schirmer leitet das Gewandhausorchester intensiv, achtet auf differenzierte Phrasierungen und hat Mut zu langen Generalpausen, ohne dass die Spannung darunter leidet. Besonders das Vorspiel ist emotional und berührend zugleich. Das Tempo ist ruhig, aber nicht zu langatmig. Herausragend spielen an diesem Abend die Bläser. Leider neigt Schirmer immer wieder dazu, das Orchester zu einer Lautstärke zu führen, die diesem Werk nicht angemessen ist. Dabei kann er wunderbar ins Piano gehen. Doch zu oft werden die Sänger von der Lautstärke überdeckt, was den Gesamteindruck etwas trübt. Großartig der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor, der besonders die Liebesmahlszene im ersten Aufzug mit großer Intensität gestaltet.

Auch sängerisch ist es ein großer Karfreitagsabend in der Oper Leipzig. Allen voran Tuomas Pursio als Amfortas. Mit seinem strahlenden Bass-Bariton zeigt der Finne die tiefe Leidensfähigkeit und peinigende Qual dieser Rolle. Seine Schmerzen sind fast körperlich zu fühlen, selten hat ein Amfortas auf der Bühne so intensiv gelitten. James Moellenhoff gibt einen soliden Gurnemanz, seine große Erzählung im ersten Aufzug singt er mit balsamischem Bass, doch es fehlen die Phrasierungen, die Bögen, um eine größere Spannung aufzubauen. Das gelingt ihm aber umso eindrucksvoller im dritten Aufzug, als er Parsifals Haupt salbt und ihn zum König krönt.

Stefan Vinke ist seit Jahren in Leipzig ein Garant für eindrucksvolle Wagner-Interpretationen. Der Heldentenor hat alle großen Partien dieses Fachs gesungen, und das ist auch eine Bürde. Vinke gelingt vor allem in den dramatischen Ausbrüchen eine hochemotionale Darstellung. Sein strahlkräftiger Tenor meistert die Höhen ohne Probleme, sein „Amfortas, die Wunde…“ geht durch Mark und Bein. Bei den lyrischen Stellen, die er wunderbar ansetzt, klingt die Stimme manchmal etwas angestrengt, und vielleicht ist Vinke mit seiner Stimme schon über diese Rolle hinaus. Dennoch gibt er einen Parsifal allererster Güte. Auf gleichem Niveau agiert Lioba Braun. Die Mezzosopranistin gibt die Kundry mit einem warmen, verführerisch dunkel gefärbtem Timbre und strahlenden Höhen, und meistert darstellerisch beeindruckend den szenischen Wechsel von der gejagten Furie zur Verführerin bis hin zur liebenden Dienerin. Jürgen Kurth als Klingsor ist ein Urgestein an der Oper Leipzig. Mit großer Intensität und Leidenschaft legt er seine Rolle an; und man verzeiht ihm gerne, dass die Kraft für die dramatischen Ausbrüche nicht mehr ganz reicht. Milcho Borovinov singt den Titurel mit angenehmem schwarzem Bass, und das Altsolo von Kathrin Göring, aus der Höhe schwebend, ist ein wunderbarer Abschluss des ersten Aufzugs. Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen fügen sich stimmlich ohne Abstriche in das Ensemble ein.

Am Schluss reagiert das Publikum mit großer Begeisterung und standing ovations für Sänger, Chor, Orchester und Dirigent. Leipzig hat wieder einmal bewiesen, dass das Werk Richard Wagners elementarer Bestandteil seiner Geburtsstadt ist und sein muss. Es bleibt die Hoffnung, dass auch in Hinblick auf 2013 die Werke Wagners an der Oper Leipzig wieder verstärkt auf dem Spielplan stehen.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Andreas Birkigt