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Fakten zur Aufführung 

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
(Richard Wagner)
13. April 2013
(Premiere am 9. Oktober 2010)

Oper Leipzig


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Die Zerrissenheit des Schusterpoeten

Es ist Richard Wagners Oper Die  Meistersinger von Nürnberg in der Inszenierung von Joachim Herz,  die am 9. Oktober 1960 zur feierlichen Wiedereröffnung des Opernhauses Leipzig am Augustusplatz nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg auf dem Spielplan steht. Zur Feier des 50. Jahrestages der Einweihung des neuen Opernhauses am 9. Oktober 2010 steht Wagners einzige komische Oper erneut auf dem Spielplan. Regisseur Jochen Biganzoli nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, diesen Jahrestag in seine Inszenierung einzubeziehen, und dabei Zeitsprünge von der Entstehungsgeschichte des Werkes bis zur aktuellen Gegenwart mit einem kritischen Gesellschaftsbild zu verbinden, in dessen Mittelpunkt die Zerrissenheit und das letztendliche Scheitern von Hans Sachs stehen.

Am Ende des Tages ist er ein Verlierer, der dem Neuen gegenüber zwar zunächst aufgeschlossen ist, sich dann jedoch selbst in seiner eigenen Zerrissenheit verfängt und die von ihm geliebte Eva an einen Jüngeren verliert. Hans Sachs, der so gerne die Sehnsüchte und Bedürfnisse einer irrationalen Gesellschaft in geordnete Bahnen lenken möchte, macht sich am Schluss als verzweifelter Bewahrer der Ordnung mit letzten Kräften nur noch lächerlich. Er bricht mit einem Herzanfall zusammen, wird von den Massen verlacht und unter freudigem Winken von Rettungskräften von der Bühne getragen. Ein wahrhaft tragischer Abgang. Doch wie konnte es soweit kommen? Aufschluss gibt die Festwiesenszene, die in dieser Inszenierung als Albtraum des Hans Sachs dargestellt wird.

Während des lyrischen Quintetts, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint, wird das Bühnenbild auf die Seitenbühne geschoben, Sachs steht einsam im Bühnennebel, wird mit Trompetenklängen brutal gefoltert, während Kisten mit Komponisten-Büsten vom Bühnenboden herabschweben, die schon als kleine Büsten auf dem Übungsklavier im ersten Aufzug zu sehen waren. Es sind die großen Meister, die in Leipzig gewirkt haben. Johann Sebastian Bach, Robert Schumann, Felix Mendelssohn-Bartholdy und natürlich Richard Wagner. Sachs selbst wird zu einer Signierstunde geleitet – „Hans Sachs – Mein Leben“– dann auf ein Podest gestellt und zunächst mit einer blau-gelben, dann mit einer Hakenkreuzfahne umwickelt. Ein Ziegenbock umtanzt ihn, verwandelt sich in Adolf Hitler und enttarnt sich als Sixtus Beckmesser. Am Ende dieses Albtraumes ist Hans Sachs erschöpft, schläft ein und wird erst vom durchdringenden Wach-auf!-Chor geweckt, zur finalen Tragödie zweier Charaktere, Sachs und Beckmesser.

Beckmesser selbst steht Sachs intellektuell in nichts nach und scheint omnipräsent. So dirigiert er den Eingangschoral und träumt in der Pantomime in der Schusterstube von einer Eva, die ihn liebt, die ihm das Preislied in die Hand drückt und die ihn leidenschaftlich küsst. Das Scheitern von Hans Sachs und seinem Widerpart Sixtus Beckmesser steht hingegen im Kontext einer sich wandelnden Gesellschaft. Zunächst besingt man noch feierlich in harmonisch-freundlichem Miteinander die Ankunft eines Nürnberg-Modells. Dann wandeln sich die Wände des schlichten, grasgrünen Bühnenbildes von Helmut Brade in eine Ansammlung von Verboten und Verhaltensregeln. Derart reglementiert, entwickeln die Menschen Aggressionen, die in eine üble Schlägerei mündet. Anschließend versammelt man sich unter Fackellicht und hört den Nachtwächter wie in einem Lager über einen Lautsprecher. Eine bedrohliche, gar nicht heimelige Atmosphäre. Mit einem in FDJ- Kostümen getanzten Sportballett und dem dazu skandierten Ulbricht-Zitat Jeder Mann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport präsentiert sich zu Beginn der Festwiese ein harmlos anmutender Sozialismus.

Doch am Schluss ist die Gesellschaft, in große Abendrobe gekleidet, in der Gegenwart angekommen. Spruchbänder zeigen das Datum 9.10.2010, der Jubiläumstag, und Papierschnitzel mit aufgedruckter „50“ werden vom Rang ins Parkett gestreut. Ein bühnenbreiter Spiegel lässt den Zuschauer im hell erleuchteten Saal zu einem Teil des Bühnengeschehens werden und illustriert gleichzeitig das Scheitern von Hans Sachs. Der Erneuerer alter Regeln kämpft am Schluss für den Erhalt derselben, und bricht nach seiner letzten großen Wutrede Verachtet mir die Meister nicht entkräftet zusammen. Die Gesellschaft hat ihren Halt wiedergefunden, ist zurückgekehrt in die Sicherheit einer reglementierten Existenz. Das Gemüt ist gekühlt, Beckmesser ist kein Mitglied mehr dieser Gesellschaft. Es bleibt aber fraglich, ob Eva und Stolzing in eine glückliche, gemeinsame Zukunft gehen werden.

Regisseur Jochen Biganzoli hat mit dieser Produktion ein beeindruckendes Gesellschaftsbild skizziert und gleichzeitig die einzelnen Charaktere subtil beleuchtet. Die Kostüme von Heike Neugebauer sind am ehesten in einem 1960-er Jahre Look gehalten und zeigen den Kontext zur Wiedereröffnung des Hauses vor 50 Jahren. Die Lichtregie von Manfred Voss betont besonders die Traumphantasien von Sachs und Beckmesser.

Daniel Kirch singt die Partie des Walther von Stolzing mit großer Eleganz und edlem Tenor, der mit einem geschmeidigen baritonalen Timbre ausgestattet ist und trotzdem Strahlkraft in den Höhen versprüht. Er setzt mit seiner ausdrucksstarken Stimme einen schönen Kontrast zu dem momentanen Trend, Wagner schlank und leicht zu singen. Christiane Libor, vor der Aufführung noch als akut erkältet angekündigt, lässt von ihrer Indisposition fast nichts merken. Ihre Eva ist lyrisch angelegt, mit starken, manchmal schon fast hochdramatischen Ausbrüchen, aber reinen und ungebrochenen Spitzentönen.

Jan-Hendrik Rootering, kurzfristig für Wolfgang Brendel als Hans Sachs eingesprungen, gibt mit seinem hohen Bass einen altersweisen, analytischen Hans Sachs. Während Brendel in zurückliegenden Aufführungen als emotionaler Bauchmensch begeistert hat, legt Rootering den Schwerpunkt seiner Rollendarbietung mehr in eine kopfgesteuerte Interpretation. Nur in seiner Schlussansprache brechen die Emotionen aus ihm hervor. Während er den Fliedermonolog im zweiten Aufzug sehr lyrisch singt, gelingt der Wahnmonolog im dritten Aufzug als charismatischer Ausbruch.

Das stimmliche Ereignis des Abends ist jedoch Dan Karlström als David. Sein heller, hochkultivierter Tenor besitzt Durchschlagskraft und lyrische Qualitäten zugleich und versprüht dabei Spielwitz und Charme. Karlström hat sich besonders in dieser Partie in den letzten drei Jahren famos weiterentwickelt und ist damit eine feste Größe an der Oper Leipzig geworden. Ihm zur Seite überzeugt Karin Lovelius als Magdalene mit dramatischem Mezzo-Sopran und einem manchmal etwas zu starken Vibrato. Alle fünf Stimmen, so unterschiedlich sie in ihrer Ausprägung angelegt sind, mischen sich im Quintett im dritten Aufzug zu einer anrührenden und lautmalerisch begeisternden Harmonie.

Tom Erik Lie, ebenfalls kurzfristig eingesprungen, gibt den Sixtus Beckmesser mit wohltönendem Bariton und couragiertem Spiel, überzeugt als pedantischer Verlierer und verleiht der Rolle damit Sympathie. James Moellenhoff lässt gewohnt stimmgewaltig seinen Bass als Veit Pogner erklingen. Differenziert und mit ausdrucksvollem Bariton singt Stephen Bronk den Fritz Kothner. Die übrigen Meister, unter denen Martin Petzold als Kunz Vogelgesang und Jürgen Kurth als Konrad Nachtigall herausragen, singen ihre Partien individuell charakterisierend auf hohem Niveau.

Die Chöre der Oper Leipzig sind von Alessandro Zuppardo und Sophie Bauer hervorragend eingestimmt und gefallen durch große Harmonie und Spielfreude. Ihr Wach auf! im dritten Aufzug geht durch Mark und Bein. Das Gewandhausorchester begeistert an diesem Abend durch eine beeindruckende Klangmalerei, aus der die Bläser dominant sauber hervorstechen. Ist das Vorspiel zum ersten Aufzug kraftvoll und dynamisch, so erklingt das Vorspiel zum dritten Aufzug zart und verletzlich. Ulf Schirmer führt die Orchestermusiker mit klarem Gestus durch die Partie. Er arbeitet Farbnuancen heraus, wechselt klug die Tempi und trägt die Sänger, besonders im großen Quintett. Schirmer und das Gewandhausorchester haben endgültig zueinander gefunden und sind eine Klangsymbiose eingegangen.

Am Schluss gibt es großen Jubel und standing ovation für alle Beteiligten aus dem Publikum. Das Vorspiel zu den Wagnerfesttagen im Mai ist erklungen. Schade nur, dass diese Inszenierung danach vom Spielplan verschwinden soll.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Andreas Birkigt