Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)
22. Februar 2014
(Premiere am 9. Mai 2008)

Oper Leipzig


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Fataler Irrtum

Knapp sechs Jahre nach seiner Premiere steht Puccinis Frühwerk Manon Lescaut in der Inszenierung von Giancarlo del Monaco wieder auf dem Programm der Leipziger Oper. Damals war Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly auch gleichzeitig Generalmusikdirektor der Oper Leipzig und brachte erstmals seit der Turiner Uraufführung von 1893 das Werk in der vollständigen Fassung mit großem Erfolg auf die Bühne. Doch nach Querelen mit der damaligen Leitung der Oper Leipzig, insbesondere dem designierten Chefregisseur Peter Konwitschny, warf Chailly das Handtuch und zog sich aus dem Leipziger Opernbetrieb zurück, um fortan nur noch als Gewandhauskapellmeister tätig zu sein. Die Inszenierung wurde daraufhin vom Spielplan genommen, um jetzt wieder in neuer Besetzung und unter neuer musikalischer Leitung an den damaligen Erfolg anzuknüpfen. Dass das nur teilweise gelingt, hat verschiedene Ursachen, aber einen Namen: Nadja Michael. Die mit großem Presseaufwand angekündigte Rückkehr eines Weltstars zu ihren Leipziger Wurzeln gerät zu einem fatalen Irrtum, denn Nadja Michael ist in der Titelpartie der Manon Lescaut eine krasse Fehlbesetzung. Doch wie konnte es dazu kommen?

Puccinis erster großer Opernerfolg stellt eine außergewöhnliche Frauengestalt von starker Faszination ins Zentrum der Handlung: Manons Liebes­beziehung zu dem mittellosen Chevalier Des Grieux bewegt sich zwischen großer Leidenschaft und tiefer Verzweiflung, denn das unstillbare Bedürfnis der jungen Frau nach Luxus und Abwechslung steht der Liebe zu Des Grieux entgegen. Ein Zwiespalt mit fatalem Ausgang. Die Handlung ist entnommen der „Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut“ von Abbé Antoine-Francois Prévost. Gleich acht Librettisten haben für Puccini diesen Stoff in eine Opernhandlung verdichtet. Chevalier Des Grieux, ein Student, und die 18-jährige Manon Lescaut verlieben sich Hals über Kopf ineinander und beschließen zu fliehen, entgegen dem Vorhaben ihres Vaters, seine Tochter in ein Kloster zu geben. Nach einem kurzen gemeinsamen Zusammenleben in Paris verlässt Manon ihren Geliebten, um sich fortan von dem wesentlich älteren, reichen Geronte di Ravoir aushalten zu lassen. Als es nach einer Weile zu einem Wiedersehen von Des Grieux und Manon im Hause di Ravoirs kommt, bei dem sich beide ihre immer noch vorhandene Liebe gestehen, werden sie von Manons reichem Gönner in flagranti ertappt. Die Polizei verhaftet Manon, die zur Verbannung nach Amerika verurteilt wird. Des Grieux beschließt in einem Akt der Verzweiflung, mit ihr zu gehen. Nach ihrer Ankunft in Übersee irren die beiden Liebenden auf der Flucht durch eine öde Landschaft auf der Suche nach Wasser und einer Bleibe. Manon stirbt in den Armen ihres Geliebten.

Die Frau als schillernde femme fatale zwischen Schönheit und Reichtum, zwischen Verführung und wahrer Liebe: Das war eine der beliebtesten musikalischen Projektionsflächen für die unerfüllten Männerträume des bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Für Altmeister Giancarlo del Monaco ein dankbares Sujet, und so projiziert sich seine Inszenierung auf die Titelfigur der Manon Lescaut und ihre tragische Beziehung zu dem Geliebten Chevalier Des Grieux, zu ihrem Gönner Geronte di Ravoir, aber auch zu ihrem verschlagenen Bruder, dem Sergeant Lescaut. Del Monaco verzichtet weitgehend auf eigene Kommentare, sondern lässt die Handlung aus den Personen heraus sich entwickeln. Er siedelt die Handlung im frühen 20. Jahrhundert an, nur wenig später nach der Entstehungszeit des Werkes. Im ersten Akt arrangiert del Monaco eine heitere Szene vor dem Café du Cinema inklusive Federballspielerinnen und Papierdrachen am Bühnenhimmel, während ein großes Zimmer mit einladendem Bett und Schminktisch im zweiten Akt die Verführerin herausstellen soll. Ein Bahngleis mit deutlichen Assoziationen an die Deportationen zu den Konzentrationslagern im dritten Reich steht in einem deutlichen Kontrast zu der noch gerade zuvor erlebten Dekadenz. Der vierte Akt schließlich zeigt eine Manon, die am Ende ihrer Kräfte ist und in der Einsamkeit und Dürre der amerikanischen Wüste in den Armen ihres geliebten Des Grieux stirbt. Ein Schlussbild, das fast schon an Wagners Tristan erinnert. Die Idee, vor Beginn des zweiten Aktes ein paar Szenen aus dem Stummfilm Manon Lescaut von 1926 in der Regie von Arthur Robison ohne musikalische Untermalung einzublenden, wirkt dagegen etwas deplatziert und sorgt für eine wahrscheinlich so nicht beabsichtigte Heiterkeit im Publikum. Das hätte Sinn gemacht, wenn es konsequent weitere Szenen gegeben hätte, so bei der langen Umbaupause zwischen dem dritten und vierten Akt. Johannes Leiacker hat das Bühnenbild entworfen, das hauptsächlich aus einer Art Rundhorizont mit aufgemaltem Sonnenuntergang besteht und durch unterschiedliche Arrangements und Lichtregie für die Einrichtung dient. Mit Ausnahme des Bühnenbildes im letzten Akt, das lediglich ein großes, farbig beleuchtetes Halbrund darstellt, vor dem sich der tragische Schluss der Oper dann nur noch halbszenisch abspielt, sind die übrigen drei Akte dem Verismo-Stil entsprechend realistisch ausgestattet. Opulent und im Stile der Jahrhundertwende gehalten, sind die farbenreichen Kostüme von Birgit Wentsch.

Groß angekündigt wird das Rollendebüt von Nadja Michael als Manon Lescaut. Die aus Gerichshain bei Leipzig stammende Sängerin kehrt zurück in ihre Heimat und singt erstmals an der Oper Leipzig. Erfolge hat sie gefeiert mit Partien wie Salome oder Lady Macbeth an Opernhäusern wie der Metropolitan Opera New York, der Mailänder Scala, dem Théâtre des Champs-Elysées Paris, dem Royal Opera House Covent Garden, der Lyric Opera Chicago, der Hamburgischen Staatsoper oder der Bayerischen Staatsoper München. Also von der Papierform ein Weltstar an der Oper Leipzig, der noch mehr internationales Flair an den Augustusplatz bringen soll. Michael hat ihre Karriere einst als Mezzosopran begonnen, sang Partien wie Venus, Brangäne oder Kundry. Und im deutschen Fach mag der Wechsel zum dramatischen Sopran ja gelingen, Waltraud Meier als Isolde in Bayreuth hat es vorgemacht. Doch das muss nicht unbedingt für das italienische Fach passen, und schon gar nicht für eine hochdramatische Puccini-Partie wie die der Manon Lescaut, die über eine mächtige und voluminöse Mitte und Höhe, die auch im Fortissimo ohne Schärfe ist, zugleich aber auch über ein leicht ansprechendes Portamento sowie einen melodramatischen Sprechton verfügen sollte. All das lässt Nadja Michael vermissen. Ihr tiefes Timbre verfügt aber auch nicht über eine fundierte Mittellage, da ist kein warmer, erotisierender Klang.

Ihre Stimme klingt von Anfang an spröde, springt nicht an, die Höhen klingen gequält, gepresst, und die dramatischen Ausbrüche werden gestemmt, ja fast schon gebrüllt. Auch mit ihrer letzten großen Arie Sola, perduta, abbandonata kann die Sängerin nicht versöhnen. Für Liebhaber des Werkes ist diese sängerische Darbietung schlicht eine Zumutung. Sie interpretiert die Titelpartie nicht als junges, glutvolles Mädchen voller Leidenschaft, sondern ist mehr die nüchtern und kühl abwägende Frauengestalt, der die emotionale, berührende Gefühlswelt der Manon Lescaut fehlt. Dass sie auch schauspielerisch die Defizite nicht kompensieren kann, außer sich lasziv auf dem Bett im zweiten Akt zu räkeln, ständig den Blickkontakt zum Dirigenten sucht, spricht für ihre Unsicherheit in dieser Partie.

Eine sensationelle Leistung dagegen liefert an diesem Abend Stefano La Colla als Des Grieux ab. Seine stimmliche Darbietung ist großartig, voller Geschmeidigkeit und tenoralem Schmelz. Schon seine erste große Arie, Donna non vidi mai…, berührt ganz tief, die Spitzentöne sind ohne Kraftakt und voller Leichtigkeit erzeugt, und im großen Duett mit Manon am Ende des zweiten Aufzuges wird die stimmliche Diskrepanz zu Nadja Michael immer deutlicher. La Colla ist ein Belcanto-Tenor, wie man ihn heute nur noch selten hört. Seine schöne Stimme besticht durch ein warmes, leicht baritonales Timbre und seine leuchtenden und durchdringenden Höhen setzen sich mühelos und ohne Kraftverlust gegen das Fortissimo im Orchester durch. Auch die anderen Sängerdarsteller können an diesem Abend überzeugen, allen voran Mathias Hausmann als Manons Bruder Lescaut. Mit wohlklingendem Bariton und nuancenreicher Phrasierung gestaltet er diese Partie. James Moellenhoff gibt mit kräftigem Bass und starkem Spiel den aalglatten Geronte. Sebastian Fuchsberger gibt den Edmondo mit lyrischem Tenor, und Martin Petzold kann einmal mehr als Ballettmeister mit tenoralem Schmelz und einer angenehmen Leichtigkeit im Spiel überzeugen. Sejong Chang lässt mit seiner jungen Bass-Stimme als Sergeant aufhorchen.

Der spielfreudige Chor unter der Leitung von Allessandro Zuppardo ist gesanglich gut eingestimmt, doch zeigen sich an den turbulenten Stellen wie dem Schluss des ersten Aktes, der in der Urfassung seinerzeit als unaufführbar galt, im Zusammenspiel mit dem Orchester leichte Unsicherheiten. Das Gewandhausorchester Leipzig spielt einen nüchternen Puccini ohne große Sentimentalität. Anthony Bramall am Pult führt die Musiker zwar mit zügigen Tempi durch die Partitur, doch fehlen die sonst so typischen weiten Bögen und Rubati, und manchmal wirkt der musikalische Fluss etwas zäh. Zwar gibt es neben kammermusikalischen Feinheiten auch immer wieder differenzierte, klangfarbenreichen Phrasierungen, doch springt der letzte leidenschaftliche Funke nicht aus dem Orchestergraben über, es fehlt die glutvolle, ja manchmal auch laszive Puccini-Stimmung, die gerade für die Manon Lescaut so essentiell ist.

Am Schluss gibt es großen Applaus für alle Beteiligten, und insbesondere Stefano La Colla wird zu Recht umjubelt. Auch Nadja Michael erhält große Zustimmung, schließlich hat sie ja auch viele Freunde zu ihrem Debüt eingeladen. Doch nicht alle Zuschauer schließen sich dem an, deutliche Missbilligungen vom Rang sind auch auf der Bühne zu vernehmen. Und die Oper Leipzig hat mit dieser Besetzung weder sich noch der Sängerin einen Gefallen getan. Schade, es hätte ein großartiger Abend werden können, doch w enn man bei Puccini durch den Gesang emotional nicht mehr berührt wird, dann stimmt etwas nicht. Und das ist die eigentliche Tragödie des Abends, und nicht nur ein fataler Irrtum.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Tom Schulze