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Fakten zur Aufführung 

DAS LIEBESVERBOT
(Richard Wagner)
29. September 2013
(Premiere)

Oper Leipzig


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Wagner von seiner komischsten Seite

Die Schilderung des „warmen, wahren Lebens“ hatte der junge Richard Wagner bei der Komposition seiner 1836 vollendeten Oper Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo im Sinn. Der Komponist ist gerade einmal 22 Jahre alt, als er in seiner Magdeburger Zeit nach den Feen seine zweite Oper vollendet. Noch ist der Einfluss von Weber, Lortzing und Marschner unüberhörbar. Aber auch italienische Komponisten wie Rossini und Donizetti, Meister der italienischen „Opera buffa“, wirken hier mit ein. Es geht um die freie Liebe, das Bekenntnis zur Liebe jenseits aller gesellschaftlichen Normen und Konventionen – ein für die damalige Zeit äußerst frivoler Stoff. Typisch für Richard Wagner ist schon zu diesem Zeitpunkt seines Schaffens die Arbeit mit Erinnerungs- und Leitmotiven. Zum ersten Mal verwendet Wagner auch das „Dresdner Amen“, das später im Tannhäuser die Pilger begleitet und ein zentrales Leitmotiv im Parsifal darstellt. Und es sind Wagners ureigene Themen, die er später ebenfalls im   Tannhäuser  oder im   Parsifal bearbeitet: Die Frage nach persönlicher Freiheit im Ausleben von Sinnlichkeit und Liebe in einer Welt von enger Moral und Sitte, die Wagner aus eigenem Erleben kennt. Im Mittelpunkt immer wieder die Weiblichkeit im Spannungsfeld zwischen Hure und Heiliger. Und so ist es auch im Liebesverbot: Das freizügige und pralle Leben des Karnevals von Palermo trifft hier auf die moralischen Prinzipien des sittenstrengen Statthalters Friedrich, italienisches Temperament versus deutsche Disziplin. Bezeichnenderweise lässt Wagner den sittenstrengen Statthalter von Sizilien namens Friedrich, der zu Beginn der Handlung Karneval und freie Liebe verbieten lässt, aus Deutschland kommen und weicht damit von Shakespeares Komödie Maß für Maß ab, die dieser Oper zugrunde liegt. Diesem verklemmten Pedanten wird Wagner später in seinen Meistersingern mit der Figur des Beckmesser noch ein weiteres Gesicht geben.

Für helle Aufregung sorgt ein Gesetz, nach dem die Ausübung des Karnevals bei Todesstrafe verboten werden soll, bis Statthalter Friedrich plötzlich über seine eigenen Prinzipien stolpert. Als Ersten trifft das   Liebesverbot  den jungen Edelmann Claudio, den Friedrich für sein freizügiges Verhalten zum Tode verurteilen will. Wie aberwitzig sein Gebot ist, bekommt   Friedrich  am eigenen Leib zu spüren, als ihn Claudios Schwester, die Novizin Isabella, um das Leben ihres Bruders bittet: Erfasst von der Gier, Isabella zu besitzen, verspricht er ihr für die Liebe einer Nacht die Freilassung des Bruders. Zunächst tief verletzt, greift Isabella zu einer List: Zum Stelldichein wird sie die maskierte Mariana schicken, die Gattin, die von Friedrich verstoßen wurde. Im Trubel des eigentlich verbotenen Karnevals wird der Liebhaber Friedrich schließlich vom Volk entdeckt, entlarvt und begnadigt, obwohl für ihn sein eigenes Gesetz gilt. Doch das Volk setzt die Gesetze außer Kraft, was genau im Sinne Wagners während seiner frühen revolutionären Jahre war.

Regisseur Aron Stiehl hat mit seiner Sichtweise des  Liebesverbots Wagners Bezeichnung Große Komische Oper wörtlich genommen und ein aberwitziges und urkomisches Stück kreiert und mit manchmal schon operettenhaften Zügen auf die Bühne gebracht. Doch bei aller Komik driftet Stiehl nie in banale Albernheiten ab, sondern nähert sich dem Werk mit großem Ernst und Respekt. Es sind drei Welten, die miteinander verwoben werden und durch Bühnenbild und Kostüme optisch charakterisiert werden. Da ist erstens der Urwald als Sinnbild der triebhaften Welt, zweitens die Lichtwelt als Symbol für die Reinheit und die Unschuld der Nonne Isabella, und dazwischen eine mittlere Welt voller Kästen und Zahlen, als Symbol für die eingeschachtelte Realität und die Zwangsstörung des Friedrich. Zentraler Mittelpunkt ist der Konflikt zwischen unbeschwerter Lebensfreude, doppelter Moral und Sittenstrenge. Während die normale Welt des Friedrich in der Entstehungsgeschichte des Werkes, also im Biedermeier verortet ist, assoziieren die Kostüme des Volkes, bunt und burlesk geschneidert von Sven Bindseil, einen lustvollen Streifzug von der Steinzeit bis zur Hippiezeit.

Die Partitur selbst ist gekürzt, ohne dass die Dramaturgie, für die Christian Geltinger verantwortlich ist, darunter leidet. Einige Textpassagen werden neu formuliert mit durchaus aktuellen Bezügen, und zwar an den Stellen, wo Wagner alternativ Rezitative und Dialoge verfasst hat, ein Relikt seiner frühen Werke. Jürgen Kirner hat für die zwei Akte und sechs Bilder einen verwandelbaren Grundraum geschaffen mit drei großen Wänden, die abwechselnd den Urwald als Triebwelt im Karneval, die reine Lichtwelt als Zeichen der Reinheit des Klosters und die durchnummerierten Schachteln als Ausdruck der Einengung von Friedrichs Welt symbolisieren.

Doch diese Inszenierung bietet nicht nur optischen Augenschmaus und komisches Theater, es wird vor allem grandios musiziert und gesungen. Herausragend aus dem Ensemble ist Christiane Libor in der Rolle der Novizin Isabella. Vor Beginn der Aufführung noch als leicht indisponiert angekündigt, teilt sie sich die Kräfte für diese schwere und teils dramatische Partie klug ein und übersteht den Abend ohne hörbare Einschränkungen. Ihr jugendlicher, bisweilen auch hochdramatischer Sopran ist von einer unnachahmlichen Leuchtkraft geprägt, die trotz Erkältung immer wieder durchdringt. Die Höhen und dramatischen Ausbrüche werden von ihr ohne Brüche gemeistert, mit klarer Tessitura und wunderschöner Phrasierung. Das Leipziger Publikum darf sich schon jetzt auf ihre Sieglinde im Dezember freuen! Anna Schoeck als Friedrichs verstoßene Ehefrau Mariana bewegt sich sicher zwischen lyrischer Phrasierung und dramatischer Forcierung und harmoniert wunderbar im Duett mit Christiane Libor. Magdalena Hinterdobler in der Rolle der Dorella mit aufreizendem Leopardenkostüm lässt mit ihrem hellen und koketten Sopran aufhorchen, da wächst eine neue junge Wagnerstimme heran.

Tuomas Pursio gibt den Statthalter Friedrich mit markant wohlklingendem Bariton. Seine große Arie im zweiten Akt ist von hoher Intensität und Spannung, bravourös meistert er die dramatischen Passagen und erscheint in Gestus und Habitus wie der junge Beckmesser. Mark Adler meistert die Partie des Luzio mit italienischem tenoralen Schmelz und kraftvollen Höhen, die beim Karnevalslied allerdings etwas eng geführt werden. Daniel Kirch gibt den zum Tode verurteilten Claudio mit leicht dramatischem Heldentenor. In den Höhen forciert er teilweise zu viel, was seiner Stimme nicht immer gut tut. Reinhard Dorn, in der Rolle des Sbirrenchefs Brighella, überzeugt mit markantem, schwarzem Bass und herrlicher, selbstironischer Komik. Maximilian Argmann als Antonio und Jürgen Kurth als tuntiger Angelo sowie Sejong Chang als Transvestit Danieli fügen sich gut in das Gesamtensemble ein, aus dem der Tenor Martin Petzold in der Rolle des Pontio Pilato stimmlich und spielerisch eine besondere Duftnote hinterlässt.

Der Chor der Oper Leipzig, von Alessandro Zuppardo gesanglich auf höchstem Niveau eingestellt, begeistert durch seine große und intensive Spielfreude. Das Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny überzeugt an diesem Abend durch eine beeindruckende Klangmalerei, aus der die Bläser dominant sauber hervorstechen. Es spielt mit einen engagierten, flotten und farbenreichen jungen Wagner. Das schnelle und rhythmische Vorspiel zum ersten Akt fesselt bereits und weckt die Vorfreude auf die folgenden drei Stunden. Foremny wechselt klug die Tempi und begleitet die Sänger, insbesondere in den großen dramatischen Solopassagen und Duetten, mit ausgewiesenem Fingerspitzengefühl.

Das Publikum im fast ausverkauften Leipziger Opernhaus honoriert die dreistündige intensive Aufführung mit starkem Applaus und vielen Bravo-Rufen für das gesamte Ensemble einschließlich Regieteam. Diese herrlich komische Inszenierung ist der Schlussakkord der Kooperation der Oper Leipzig mit den Bayreuther Festspielen im Wagner-Jahr 2013. Dieses Werk und vor allem diese Inszenierung hat das Zeug zum Dauerbrenner und darf durchaus als Einstiegsdroge für zukünftige Wagnerianer konsumiert werden.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Kirsten Nijhof