Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE FEEN
(Richard Wagner)
16. Februar 2013
(Premiere)

Oper Leipzig


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Macht der Bilder und Töne

Nun ist auch das Richard-Wagner-Jahr 2013 in Leipzig eröffnet, mit dem selten gespielten Jugendwerk Die Feen, einer Kooperation mit den Bayreuther Festspielen. Als Wagner der Leipziger Operndirektion in den 1830-ern Die Feen zur Uraufführung anbot, lehnte diese ab. Erst 1888, fünf Jahre nach Wagners Tod, wurde die Oper in München uraufgeführt. Diese Premiere ist nun die weltweit einzige der ersten vollendeten Oper des zwanzigjährigen Richard Wagner im Jubiläumsjahr in seiner Geburtsstadt Leipzig in einer szenischen Fassung. Wagner schrieb es nach Carlo Gozzis Märchenspiel La donna serpente – Die Frau als Schlange. Die märchenhafte Handlung, angesiedelt zwischen Menschen- und Feenreich, erinnert entfernt an den Sommernachtstraum, aber auch an den Orpheus-Mythos: König Arindal liebt die schöne Fee Ada. Damit er sie erringen kann, muss er sich schweren Prüfungen unterziehen und ihr sein vollstes Vertrauen schenken. Ada verbietet ihm, sie nach Namen und Herkunft zu fragen. Als er das Verbot übertritt, verliert er sie und verfällt in eine tiefe Depression. Erst nach unendlichen Mühen kann Arindal die Geliebte zurückgewinnen.

Musikalisch stehen Die Feen in der Tradition der deutschen romantischen Oper, beeinflusst von Werken wie Carl Maria von Webers Euryanthe und Heinrich Marschners Der Vampyr. Aber auch der Einfluss von Beethovens Fidelio ist neben anderen musikalischen Vorbildern wie Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumann und E.T.A. Hoffmann unüberhörbar. Schon in diesem frühen Werk taucht Wagners späteres Hauptthema auf: die Erlösung durch die Liebe. Auch einzelne Motive – das Frageverbot und die Forderung unbedingten Vertrauens – kehren später im Lohengrin wieder, wenn auch in Details spätere Errungenschaften vorweggenommen scheinen wie die A-cappella-Passage des dritten Aktes, die an die entsprechende Stelle im zweiten Aufzug des Tannhäuser erinnert. Schon in der Ouvertüre erklingt deutlich ein Motiv, das später fast notengleich im großen Duett Holländer – Senta im zweiten Akt verwendet wird. Der junge Richard Wagner hat sich an diesem fast vier Stunden dauernden Weg musikalisch richtig ausgetobt. Unterschiedliche, teilweise inhomogene Musikstile, noch komplett durchkomponierte Rezitative und Arien, die von den Sängern nahezu Unmögliches verlangen, haben dazu geführt, dass dieses Werk, von dem Wagner sich selbst sehr früh distanziert hat, so gut wie keinen Zugang mehr zum heutigen Opernrepertoire gefunden hat. Umso bemerkenswerter der Ansatz der Leipziger Oper, sich bewusst dafür zu entscheiden, um die Anfänge des großen Komponisten dort zu zeigen, wo er geboren wurde.

Das franko-kanadische Inszenierungsteam Doucet & Barbe zeigt das Stück als opulentes und psychologisch interessantes, sinnliches Erlebnis menschlicher Fantasie. Regisseur Renaud Doucet setzt ganz auf die Fantasie der Bilder, die durch die Kraft der Musik angeregt wird. Nach einem Familienessen mit seiner Frau, den Söhnen, ihren Frauen und seinen beiden Schwägerinnen geht der Vater an einem Samstagabend nach nebenan ins Wohnzimmer, um am Radio die Live-Übertragung der selten gespielten Oper Die Feen aus der Oper Leipzig anzuhören. Und es erfolgt sogar, für die Zuschauer deutlich hörbar, die Anmoderation der Live-Übertragung, denn diese Aufführung wird tatsächlich von mehreren Kultursendern live übertragen.

Und nun entwickelt sich das, was vielen Musikenthusiasten und Opernfreunden beim Zuhören auf der Couch sicher schon einmal passiert ist. Die durch die Musik vermittelten Gefühle versetzen den geneigten Zuhörer in die Lage, sich völlig selbstvergessen in die Charaktere hineinzudenken. Und so verwandelt sich der biedere Hausmann und Opernfreund vor dem Radio in Arindal, dem König von Tramond, durchlebt die vielen Abenteuer und Prüfungen, während seine Frau, völlig desinteressiert, den Tisch laut klappernd abräumt und sich ins Fitnessstudio verabschiedet. Die Wohnung verwandelt sich in der Fantasie des zuhörenden Musikfreundes, der den Text der Opernübertragung in einem Booklet mitliest, zu einem großen Spielplatz der verschiedenen Orte und Handlungsstränge der Geschichte, bis am Schluss der Oper das Ehepaar wieder vereint auf der Couch sitzt. Doucet hat diesen Gedankengang konsequent und schlüssig durchgezogen, mit einem pointierten Augenzwinkern für den Wagner-Kult. Wenn am Schluss der Feenkönig in der Gestalt Richard Wagners mit einem großem Schmetterlingsflügel wie ein Deus ex Machina einschwebt, und Arindal zur Erlösung die Partitur der Oper Die Feen überreicht, so ist die Grenze zum Kitsch leicht erreicht. Dennoch ist Doucet bei seiner Linie geblieben und hat dem Zuschauer ein farbenprächtiges Märchen geboten.

André Barbe hat mit seinen bunten und fantasievollen Bühnenbildern und Kostümen auch ein opulentes Menü für das Auge kreiert, mit stetig wechselnden Bildern. Immer wieder gibt es den Wechsel zwischen der modernen Welt des Opernzuhörers am Radio, der romantischen Zeit Richard Wagners zur Zeit der Entstehung des Werkes und dem frühen Mittelalter, das Wagner nachhaltig inspiriert hat. So scheint der zweite Aufzug in Bühnenbild und Kostümen auch eine Reminiszenz an Wagners Tannhäuser und der Wartburg zu sein, wie es heute im modernen Regietheater sicher nicht mehr dargestellt wird.

Für die Sänger ist dieser Abend eine große Herausforderung. Christiane Libor in der Rolle der Fee Ada ist die hervorragende Sängerpersönlichkeit des Abends. Ihre Partie, ein Zwischending zwischen Senta und Beethovens Leonore, meistert sie mit Bravour. Ihr ins Hochdramatische gehender klarer Sopran bewältigt die dramatischen Ausbrüche und Spitzentöne mit scheinbarer Leichtigkeit. Für ihre große Soloarie im zweiten Aufzug erhält sie zu Recht großen und langanhaltenden Szenenapplaus. Heldentenor Arnold Bezuyen als König Arindal hat da in den kräftezehrenden Höhen schon deutlich mehr Schwierigkeiten, allerdings hat Wagner in seinen jungen Jahren nicht tenorfreundlich komponiert, die Partie ist durchaus mit der des Tannhäuser zu vergleichen, mit mehr Höhe und Dramatik. Wunderbar gestaltet er den Wechsel zwischen dem Opernliebhaber vorm Radio und der Gefühlswelt des König von Tramond.

Die Sopranistin Viktorija Kaminskaite als Fee Zemina und die Mezzosopranistin Jean Broekhuizen als Fee Farzana ergänzen sich in Spiel und Gesang wunderbar, sind die Intrigantinnen und Motor der Inszenierung, haben stets die Fäden in der Hand.

Eun Yee You als Arindals Schwester Lora besticht durch ihren italienisch geprägten Sopran, hat aber in manchen Passagen große Mühen, über das große Forte des Orchesters zu kommen. Detlef Roth als ihr Geliebter Morald gefällt mit markantem und textverständlichen Bariton und kräftigem Spiel. Der Bassist Milcho Borovinov als Arindals Diener Gernot und die Sopranistin Jennifer Port als seine Geliebte Drolla gefallen als Buffo-Paar, das Einzige, das Wagner jemals geschrieben hat. Hier hat er sich eindeutig an Mozart orientiert. Das herrlich komische Duett im zweiten Aufzug erhält, für eine Wagner-Oper absolut ungewöhnlich, Szenenapplaus. Der Tenor Guy Mannheim als Gunther reüssiert mit Spritzigkeit und Spielfreude. Igor Durlovski als Feenkönig hat seinen großen Auftritt zum Schluss in der einschwebenden Gestalt Richard Wagners, und überzeugt dabei mit schöntönendem Bass, insbesondere in der Passage als Zauberer Groma, wenn nur seine Stimme zu hören ist.

Ulf Schirmer leitet das Gewandhausorchester gewohnt kräftig und wuchtig. Manchmal wäre etwas mehr Differenziertheit, insbesondere bei den Bläsern, wohltuend gewesen. Leider ist die Lautstärke des Orchesters manchmal zu einseitig ausgeprägt, was die Aufgabe der Sänger nicht gerade erleichtert. Dennoch hat das Orchester die vielen Stilschwankungen und Tempowechsel gut ausbalanciert. Der Chor der Oper Leipzig unter Alessandro Zuppardo ist stimmlich bestens eingestellt und zeigt eine große Spielfreude.

Nach knapp vier Stunden ist klar: Dieses Frühwerk Richard Wagners, einst in Leipzig verschmäht, wird nun umjubelt. Es gibt großen Applaus für alle Beteiligten, unter denen der Jubel für Christiane Libor verdientermaßen herausragt. Auch das Regieteam wird umjubelt, vereinzelte Buhs können sich nicht durchsetzen. Leipzig hat mit dieser Inszenierung einen märchenhaften Abend gestaltet, der Wagner-Freunden ein besonderes Erlebnis bereitet hat, nämlich zu den Wurzeln des Komponisten zurückzukehren. Und trotz der Länge des Werkes ist es gut geeignet, Operneinsteiger und Wagner-Verweigerer gemeinsam für dieses Genre zu begeistern. Die Geburtsstadt Wagners hat ihr Jubiläumsjahr mit einem bemerkenswerten Erfolg eröffnet.  

Andreas H. Hölscher





Fotos: Kirsten Nijhof