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Fakten zur Aufführung 

DIE DREIGROSCHENOPER
(Kurt Weill)
11. Januar 2014
(Premiere am 31. Dezember 2013)

Schauspiel Leipzig

Points of Honor                      

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Gesang

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Buchstäbliche Drei-Groschen-Oper

Es ist ein erstes Ausrufezeichen, das das Schauspiel Leipzig unter der neuen Intendanz von Enrico Lübbe setzt. Erstmals kommt es zu einer Kooperation der drei großen Leipziger Kulturbetriebe Schauspiel, Oper und Gewandhaus. Und was eignet sich da besser als der Klassiker Die Dreigroschenoper, dem Theaterstück von Bertolt Brecht und der Musik von Kurt Weill. Aufgeführt vom Ensemble des Schauspiel Leipzigs, begleitet von Musikern des Gewandhausorchesters unter der Leitung von Anthony Bramall, dem stellvertretenden Generalmusikdirektor der Oper Leipzig. Und dieses Zusammenwirken ist ein gegenseitiges Befruchten. Die Schauspieler können ihre Vielfältigkeit auch im Gesang zum Ausdruck bringen, die Wagner- und Verdi-versierten Musiker haben sichtbar Freude an der Weillschen Straßenmusik, und Bramall findet zu den Wurzeln seiner Jugend zurück, als er erste Bekanntschaft mit dem Werk gemacht hat.

Die Geschichte aus dem Milieu ist bekannt. Im Vordergrund steht der verhängnisvolle Streit zwischen Herrn Peachum und Macheath, genannt Mäckie Messer. Der Streit hat einen einfachen Grund. Macheath heiratet die schöne Polly Peachum, natürlich ohne die Zustimmung der Eltern. Die lassen den Gangster kurzerhand wegsperren, nachdem die Straßenhuren ihn verraten haben. Allerdings haben sie die Rechnung ohne Polizeichef Tiger-Brown gemacht. Der ist ein alter Freund von Macheath und versucht, ihn so lange es geht zu schützen. Der gemeinsam vorgetragene Kanonensong ist eine Reminiszenz an die gemeinsame Zeit beim Militär. Doch nach weiteren Besuchen bei den Huren und eine Erpressung später wird der Gangster doch noch zum Tode verurteilt und hält unter dem Galgen seine berühmt-berüchtigte Rechtfertigungsrede mit der nach wie vor aktuellen Frage: Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Das macht Macheath zum Sympathieträger, und folglich begnadigt man den Verurteilten mittels eines reitenden Boten der Königin: Damit ihr wenigstens in der Oper seht – Wie einmal Gnade vor Recht ergeht. Da wird die Parodie zur Persiflage.

Regisseur Phillip Tiedemann hat sich in der Vergangenheit durchaus einen Namen als Brecht-Experte gemacht. Seine Dreigroschenoper gelingt als gesellschaftskritisches, plakatives Figurenspiel mit aktuellem Bezug und nimmt doch Anleihen an die zeitgenössische Aufführungspraxis Ende der zwanziger Jahre in Berlin. So sitzen die Musiker auf der Hinterbühne, und die Szenenüberschriften des Stückes werden per Megaphon in den Saal gerufen. Was bei Brecht als Ironie gedacht war, inszeniert Tiedemann pur – die Verhältnisse sind eben so. Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm und leistet sich Moral. Auf der einen Seite der Herr Peachum mit seinem Franchise-Unternehmen: Betteln erlaubt nur mit einer Lizenz von Peachum. Andererseits der nicht unsympathische Herr Macheath mit seiner Gang von einfältigen Ganoven, Killern und Erpressern. Reiche Leute, beide. Und auf der Leipziger Bühne sind beide keine Außenseiter, sondern markante Typen, die reale Verhältnisse einer realen Unterwelt beleuchten. Aus Ironie wird Sarkasmus, am Schluss sogar Fatalismus.

Bühnenbild und Kostüme hat Norbert Bellen geschaffen. Das gesamte Bühnenbild besteht aus 19 Buchstaben in riesigen Lettern, sie skizzieren am Anfang den Titel – Die Dreigroschenoper. Die ganze Spielfläche ist voller Buchstaben, doch sie stürzen um, werden hin- und hergeschoben, ersetzen Requisite. Sie sind Traualtar, Schreibtisch, Gefängniszelle, Galgen. Das hohe C wird einfach umgelegt zur Liebesschaukel, mit etwas Licht und Nebel kommt sogar Romantik in diesem ach so coolen und unromantischen Stück auf. Kleinere szenische Gags dürfen natürlich nicht fehlen. So bezahlt Macheath das Bestechungsgeld an den Gefängniswärter zeitgemäß per Kreditkarte. Die Gesichter der meisten Protagonisten sind übertrieben fahl und grell geschminkt, sie wirken wie Puppen oder lebende Leichen, die Kostüme passen zum proletarischen Charme der Zwanziger.

Großartig die schauspielerische Leistung an diesem Abend, aber auch die sängerische Qualität der Protagonisten ist achtbar, natürlich nicht mit einem klassisch ausgebildeten Opernsänger zu vergleichen. Aber das macht nichts, passt der manchmal etwas schrille, manchmal ordinäre Straßengesang doch hervorragend zu Brechts antikapitalistischem Stück mit der Weillschen Vertonung. So gibt Dirk Lange den Macheath mit viel Sympathie und Witz, gar kein blutrünstiger Messerstecher Mäckie. Anna Keil zieht die Verwandlung von der naiven Gangsterbraut Polly zur abgezockten Geschäftsfrau gnadenlos durch. Ihre Darbietung der „Seeräuber-Jenny“ ist eines der musikalischen Highlights des Abends, sie überzeugt auch mit sicheren und klaren Höhen. Großartig Andreas Herrmann als umtriebiger, aalglatter und gerissener Chefbettler Peachum, die Verkörperung des gierigen Kapitalisten mit Frack, Zylinder und Trillerpfeife, der in seiner Schurkenhaftigkeit dem Mäckie in nichts nach steht. Henriette Cejpek als Frau Peachum gibt die abgezockte Intrigantin, die letztendlich Mäckie Messer an den Galgen liefert. Bernd-Michael Maier stellt den Polizeichef Tiger-Brown als Schwächling dar, der sein Fähnchen nach dem Wind richtet. Beeindruckend auch der Auftritt von Ellen Hellwig als Spelunken-Jenny mit Grazie und Stil.

Die Musik Kurt Weills scheint den Musikern des Gewandhausorchesters so vertraut, als würden sie das jeden Abend spielen. Die Lieder, Moritaten und Balladen, sie strömen von der Hinterbühne und werden zu Ohrwürmern und Hits. Jazz, Salon, Tango, Rummelklang, die ganze Palette der Musikstile erklingt hier auf eine einzigartige Art und Weise. Anthony Bramall am Pult des Gewandhausorchesters hat sichtbaren Spaß an dieser Form der Darbietung. Sein Weill ist kraftstrotzend, jazzig und manchmal provozierend direkt, aber vor allem werkgetreu mit partiturgerechter Besetzung ohne zusätzliche Arrangements. Somit ist die musikalische Darbietung auch ein besonderer Moment dieser Aufführung.

Am Schluss gibt es großen und langanhaltenden Beifall für das gesamte Ensemble. Man kann nur hoffen, dass dieses Kooperationsmodell der drei großen Leipziger Kulturbetriebe keine Eintagsfliege ist und weitere gemeinsame Projekte folgen.

Andreas H. Hölscher

 





Fotos: Rolf Arnold