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Fakten zur Aufführung 

DON PASQUALE
(Gaetano Donizetti)
8. Februar 2014
(Premiere)

Oper Leipzig


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Der Vorgeschmack der Hölle

Wenn heutzutage ein älterer Herr eine junge Dame sucht, hilft das Internet. Zahllose Vermittlungsportale bieten Flirts und anonyme Kontaktanbahnung an, außerhalb jeglicher gesellschaftlicher Konvention. Das war vor über 200 Jahren wesentlich schwieriger. Da standen Status und Herkunft im Vordergrund, doch Kuppler gab es auch damals schon, die meistens ihre eigenen Ziele verfolgten. Dieses Sujet findet man klassischerweise in der Opera buffa. Die berühmteste Vorlage dafür ist wohl Rossinis Barbier von Sevilla. Doch auch in späteren Epochen ist dieses Thema immer wieder Stoff von Opern, sei es Verdis Falstaff oder gar Die schweigsame Frau von Richard Strauss. Alle Opern bedienen das gleiche Grundschema. Alter, aber fideler Herr sucht junge Dame für den Haushalt und fürs Amüsement. Gaetano Donizetti hat da mit seinem Don Pasquale ein ganz besonderes Exemplar geschaffen. Ein älterer, aber sehr reicher Junggeselle denkt auf seine alten Tage doch noch ans Heiraten. Für ihn selbst soll es etwas Junges, Knackiges sein, für seinen Neffen Ernesto, der die mittellose Norina liebt, hat er stattdessen eine lukrative Verbindung mit einer reichen älteren Dame vorgesehen. Als dieser sich weigert, setzt ihn der Onkel kurzerhand vor die Tür.

Doch er hat die Rechnung ohne Norina gemacht. Mit Hilfe von Dr. Malatesta, dem Leibarzt von Pasquale, geht sie, getarnt als unbedarfte Klosterschülerin Sofrina und Schwester des Dr. Malatesta eine Scheinehe mit dem alten Lustgreis ein und macht ihm, kaum ist die Tinte auf dem Ehevertrag getrocknet, das Leben zur Qual. Sie entwickelt sich zu einer vergnügungssüchtigen, verwöhnten und verschwenderischen Furie und präsentiert dem alten Don Pasquale ganz charmant den Vorgeschmack auf die Hölle. Kein Wunder, dass Don Pasquale seine Ehefrau Sofronia schnellstmöglich wieder loswerden möchte. Und jetzt kommt der Intrige zweiter Teil. Durch einen erneuten verschlagenen Schachzug bringen Sofronia und Dr. Malatesta Don Pasquale schließlich dazu, der Heirat von Norina und Ernesto zuzustimmen. Nun enthüllt Sofronia ihre wahre Identität als Norina. Und Don Pasuale ist nur noch erleichtert, der Ehehölle entronnen zu sein. Vereint preisen sie die Moral der Geschicht: Ziemlich dumm ist der, der als Greis noch heiraten will.

Untertitelt ist das Werk, das 1843 in Paris uraufgeführt wurde als Dramma buffo, doch ähnelt es mehr der klassischen Commedia dell’ arte. Don Pasquale ist eine der letzten Opern, die Donizetti kurz vor seinem Tod 1846 verfasste, und entstand als Spätwerk der italienischen Belcanto-Ära, die Donizetti gemeinsam mit Bellini und Rossini geprägt hat. Gaetano Donizetti allerdings ist nicht nur ein Meister des Belcantos, sondern auch ein Komponist mit einem unübertroffenen Gespür für Situationskomik. Und so vereint er in Don Pasquale die Leichtigkeit des musikalischen Gestus und die Typenhaftigkeit der Charaktere. Sie bleiben dabei nie plakativ, sondern werden immer wieder von anrührenden Momenten kontrastiert. So bleibt neben dem Komischen immer auch Platz für das Sentimentale und Ernste.

Die Regisseurin Lindy Hume und Bühnen- und Kostümbildner Dan Potra haben sich für die Umsetzung dieses Stoffes etwas ganz besonderes einfallen lassen. Das Sujet ist zeitlos, man kann es aus den verschiedensten Perspektiven und Epochen betrachten. Im Mittelpunkt steht die eigene, geleugnete Zerbrechlichkeit im Alter gegenüber einer verständnislosen, ja arroganten Jugend mit eigenen Idealen und Konventionen. Somit bietet dieses zeitlose Thema auch einen interessanten Blickwinkel durch die Geschichte. Hume und Potra beginnen das Werk klassisch konventionell irgendwo in der Mitte des 18. Jahrhunderts, doch mit jeder Szene springt die Geschichte zeitlich eine Epoche weiter, bis man am Schlussbild im Summer of Love, der Blütezeit der Hippie-Bewegung Ende der 1960-er Jahre angekommen ist.

Mittels einer Drehbühne wird das Geschehen zeitlich weitergeleitet, ohne dass sich die Bühnenaufbauten wesentlich ändern. Der Zeitsprung wird lediglich durch neue Kostüme, Accessoires und Gestus der Protagonisten verändert. Heraus kommt dabei eine intelligente, ironische Zeitreise mit einer köstlichen Persiflage des immer jungen Themas „Alt sucht jung“. Hume lässt die Charaktere skurril und überzogen darstellen, driftet aber niemals in Klamauk oder Klamotte ab. Don Pasquale ist der notgeile siebzigjährige Greis, der sich noch fit für eine junge Frau fühlt und vor lauter Glückseligkeit die Fallen, in die er blind hineintappt, nicht erkennt. Dr. Malatesta ist der Prototyp des verschlagenen und intriganten Strippenziehers mit charmantem Ausdruck und komödiantischem Stil. Norina, die zunächst nur das einfache Glück mit Ernesto sucht, verwandelt sich in ihrer Scheinidentität als Sofronia von der unbedarften Jungfer zur dominanten Furie bis hin zur freien Liebe propagierenden Flower-Power-Perle. Und Ernesto? Er bleibt schwach, wird gesteuert erst durch den Onkel, dann durch Malatesta, und schließlich auch durch Norina, die ihn zum Schluss dann doch bekommt. All diese Charaktere hat Lindy Hume mit viel Liebe fürs Detail herausgearbeitet und über die normalen Beziehungsgeflechte hinweg ein komödiantisches, aber auch nachdenklich stimmendes Konstrukt geschaffen.

Das gelingt mit dem kongenialen Bühnenbild und den farbenfrohen Kostümen aus zwei Jahrhunderten. Vom gelackten Barock bis zur Flower-Power, eine urkomische Zeitreise mit hoher Geschwindigkeit. Wie ein musikalisches Leitmotiv dienen die Farben der Kostüme der Protagonisten. Don Pasquale erscheint stets in senffarbenen Kostümen, Dr. Malatesta dagegen in einem teuflischen, knalligen Rot. Zartblau das Outfit von Ernesto, und verführerisch und betörend die schwarz-weiße Garderobe von Norina. Mit der passenden Lichtregie und einer immer wieder eingeblendeten Uhr wird die Zeitreise deutlich. Das letzte Bild mit einem alten VW Käfer auf der Bühne, einem Chor, der sich einen Joint rein zieht, ist der augenzwinkernde Schluss dieser komischen Geschichte: „Make Love“.

Dass dieser Abend nicht nur ein Augenschmaus ist, sondern auch sängerisch, schauspielerisch und musikalisch groß gerät, das ist allen Akteuren auf der Bühne und im Graben zu verdanken. José Fardilha verkörpert den plumpen und etwas trotteligen Don Pasquale mit profundem, markantem Bass-Bariton und einer urkomischen, slapstickartigen Interpretation dieser skurrilen Figur.

Mathias Hausmann gibt den intriganten Dr. Malatesta als eitlen Beau mit elegantem und schmeichelndem Bariton und enormer Ausdruckskraft. Herrlich das Duett mit Pasquale im dritten Aufzug: Aspetta, aspetta, cara sposina. Arthur Espiritu überzeugt als Ernesto mit schlankem Belcanto-Tenor und sicheren Höhen. Sein letzter Auftritt auf dem Dach des VW Käfer, Hüfte schwingend mit der Klampfe, seine Romanze Com' è gentil la notte a mezzo  singend: Das ist nicht nur Komik und Lebensfreude pur, sondern ganz große Kunst.

Großartig Anna Virovlansky als Norina alias Sofrina. Mit leichtem Stimmansatz bewältigt sie mühelos die Koloraturen und die dramatischen Höhen; Registerwechsel und Tessitura sind bei ihr nahezu perfekt angelegt. Mit ihrer Auftrittsarie  Quel guardo il cavaliere und der folgenden bekannten Arie So anch'io la virtù magica erobert sie das Leipziger Publikum im Sturm und bekommt großen Szenenapplaus. Auch spielerisch zeigt sie eine enorme Verwandlungskraft. Vom verführerischen Biest zur dominanten Furie bis hin zur Geliebten Ernestos zeigt sie alle Facetten schauspielerischen Könnens. Sejong Chang lässt als Notar Carlotto mit kräftigem Bass aufhorchen. Jens Röhl, Thomas Heidecke und Sybille Busch komplettieren als skurrile Diener das komödiantische Ensemble.

Der Chor der Oper Leipzig, wieder formidabel einstudiert von Alessandro Zuppardo, hat großen Spaß an seinem Auftritt im dritten Akt, musikalisch gelingt die bekannte Szene Che interminabile andirivieni mit italienischer Leichtigkeit. Und an der Flower-Power-Szene im letzten Bild haben alle großen Spaß. Fast meint man, der eine oder andere auf der Bühne gerauchte Joint sei echt.

Anthony Bramall lässt das Gewandhausorchester einen leichten, einen heiteren Donizetti spielen. Und gerade diese Leichtigkeit aus dem Graben auf die Bühne und ins Publikum zu transponieren, das ist eine Spezialität von Bramall. Er wechselt die Tempi, um Emotionen zu wecken, und das passt punktgenau zu der temporeichen Zeitreise der Inszenierung. Schon im Vorspiel wechselt der rasante Zug zum plötzlichen Innehalten. Das Solovioloncello, gespielt von Daniel Pfister, ist herausragend, genauso wie die Solotrompete auf der Bühne, meisterlich gespielt von Andreas George.

Und so schnelllebig auf der Bühne der Ritt durch die Zeit ist, so kurzweilig ist das Stück für das Publikum. Die zweieinhalb Stunden vergehen im Flug, und es gib langanhaltenden Applaus und großen und verdienten Jubel für alle Beteiligten, Regieteam eingeschlossen. Für die Oper Leipzig ist diese Premiere ein ganz besonderer Abend.

Nach den Erfolgen im Wagner-Jahr, insbesondere mit der Walküre und der umjubelten Wiederaufnahme der Elektra hat die Oper Leipzig gezeigt, dass neben den Klassikern wie Verdi und Puccini auch ein Donizetti im Repertoire der Oper nicht nur seine Berechtigung hat, sondern große Kunst ist und hier auch ein anderes Publikum begeistern kann. Leipzig kann nicht nur Wagner, es kann auch wunderbar italienisch. Und dieser Don Pasquale hat das Zeug zum Dauerbrenner.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Tom Schulze