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Fakten zur Aufführung 

AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY
(Kurt Weill)
3. Mai 2012
(Premiere am 28. April 2012)

Oper Leipzig


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Schonungslose Bestandsaufnahme

Es soll eine paradiesische Stadt sein, dieses Mahagonny, die Witwe Begbick zusammen mit ihren zwielichtigen Begleitern Fatty und Dreieinigkeitsmoses in der Wüste errichtet, um Glücksrittern einen Ort der Gesetzlosigkeit anzubieten. Ein modernes Sodom und Gomorrha. Hier gibt es keine Grenzen für all jene, die bezahlen können, und käuflich ist hier alles. Doch wer nicht mehr zahlen kann, wird nicht gebraucht und verliert im schlimmsten Fall sein Leben, so wie Jim Mahoney. Was im Jahre 1930 bei der Uraufführung in Leipzig noch zu einem tumultartigen Theaterskandal eskaliert ist, scheint heute die Gesellschaft kalt zu lassen. Wer Geld hat, kann sich alles leisten, wer keins hat, wird von der Gesellschaft ausgegrenzt. Somit hat dieses Stück von Kurt Weill in der Kombination mit dem Text von Bertolt Brecht eine verblüffende und gleichzeitig erschreckende, ja sogar abstoßende Aktualität und damit auch eine absolute Daseinsberechtigung auf den Spielplänen großer Opernhäuser.

Leider hat die Oper Leipzig es versäumt, diese Aktualität in deutlicher Brisanz zu zeigen. Stattdessen wird dieses Werk als flott choreografierte Revue präsentiert, in der die einzelnen Nummern und Songs aneinander gereiht werden, ohne dass der Handlungsstrang Tiefgang bekommt oder so etwas wie Emotionen erweckt. Man konsumiert diese Aufführung ähnlich wie einen Videoclip, nur weniges bleibt nachhaltig bestehen. Der Regisseurin Kerstin Polenske kann man allerdings deshalb keinen allzu großen Vorwurf machen, hatte sich die Intendanz der Oper Leipzig doch drei Wochen vor der Premiere von dem eigentlich vorgesehenen Regisseur Tobias Kratzer getrennt. Nun, Polenske kommt vom Ballett, ihr Metier ist die Choreografie, aber nicht die große Personenregie. Und so dürfen die Protagonisten und der Chor brav die Arme und Beine zur Musik bewegen, manches erscheint wie eine Slapstick-Parodie. Das Bühnenbild von Steffen Böttcher trägt auch nicht zu einer näheren Erläuterung bei. Ein einsamer Gerüststeg in der Mitte der Bühne, ein paar bunte Utensilien, das war‘s. Und die paar Video- oder Fotoinstallationen hinterlassen mehr Fragezeichen als Antworten. Die Einspielung von Tagesschausprecher Marc Bator, der den aufziehenden Hurrikan ankündigt, ist ein amüsanter Gag ohne Nachhall. Die Kostüme von Ingo Krügler sind durchweg bunt, grell, aber auch nichtssagend. Und so hat diese Aufführung den Charakter einer improvisierten Inszenierung, die ein bisschen an der Oberfläche der menschlichen Abgründe kratzt, ohne den Mut zu haben, in diesen Strudel tief einzutauchen.

Dafür ist der Oper Leipzig aber etwas ganz besonderes gelungen. Das Stück wird komplett durch hauseigene Kräfte gespielt, und diese Ensembleleistung ist von äußerst bemerkenswerter Qualität. Allen voran Tenor Stefan Vinke in der Rolle des Jim Mahoney. In Leipzig vor allem als Interpret der großen wagnerschen Heldenpartien bekannt, wagt er sich hier auf ein ganz anderes Terrain. Mit großer Strahlkraft meistert er die Partie, ergreifend seine Szene im Gefängnis vor der Hinrichtung. Soula Parassidis gibt die Edelhure Jenny mit laszivem Spiel und wohlklingendem Sopran. Karin Lovelius spielt und singt die Leokadja Begbick mit eiskaltem Habitus. Herrlich komödiantisch Michael Petzold als aalglatter, komplexbeladener Fatty. Jürgen Kurth gibt den Dreieinigkeitsmoses mit fiesem Gestus und starkem Ausdruck. Morgan Smith mit wohltönendem Bariton als Bill und Norman Reinhardt mit schmeichelndem Tenor als Jack lassen aufhorchen, während Matthew Anchel als Joe leider fast nicht zu verstehen ist.

William Lacey lässt dem Gewandhausorchester freien Lauf. Es darf gejazzt und geklimpert werden, die Bläser dürfen die Dissonanzen so richtig laut auskosten, und egal ob Hawaii-Gitarre oder Bandoneon, es klingt mehr nach Unterhaltungsmusik als nach großer Oper, aber auch das muss erst einmal auf diese Art gespielt werden. Die musikalische Interpretation passt aber wieder zum Revue-Ansatz von Kerstin Polenske. Großartig der von Stefan Bilz einstudierte Chor der Oper von Leipzig. Insbesondere die Mädchen von Mahagonny haben  großen Spaß an der Choreografie.

Das Publikum im nur mäßig besetzten Opernhaus reagiert verhalten. Mäßiger Applaus für die Inszenierung und die musikalische Darbietung, aber durchaus Begeisterung für die sängerische Leistung des Abends.

Andreas H. Hölscher

 





Fotos: Andreas Birkigt