Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

RIENZI, DER LETZTE DER TRIBUNEN
(Richard Wagner)
9. März 2013
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Krefeld

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 

Vor der Premiere


Matthias Oldag hat den Rienzi neu inszeniert. Hier äußert er sich über seine Ansichten und Ideen (6'15).

 

zurück       Leserbrief

Wie man eine Oper entmystifiziert

Hitlers Lieblingsoper steht in Krefeld auf dem Programm. Ein Rechtsruck am Niederrhein? Beileibe nicht. Regisseur Matthias Oldag hat sich der Aufgabe angenommen, das Werk von seiner so unglücklichen Rezeptionsgeschichte zu lösen, es zu kürzen und nach aktuellen Bezügen zu suchen. Nach sensationellen Aufführungserfolgen kurz nach der Entstehung des Werkes, fiel Rienzi kaum hundert Jahre später dem Erweckungserlebnis eines 17-Jährigen zum Opfer – „In jener Stunde begann es“, wird Adolf Hitler später sagen. „Die schwungvolle Rienzi-Ouvertüre wurde zur heimlichen Hymne des ‚Dritten Reiches‘, allbekannt als Einleitung der Nürnberger Parteitage“, erinnert die Historikerin Brigitte Hamann. Heilschor, Marsch- und andere martialische Musikpassagen erledigen das Übrige, die Oper nach dem Zweiten Weltkrieg von den Spielplänen zu fegen.

Dabei hat der Plot durchaus nicht nur Parallelen zum Fanatiker Hitler, wenn diese auch vielleicht offensichtlicher sind als bei anderen Machthabern. Volkstribun Rienzi befreit „das Volk“ aus der Unterdrückung der herrschenden Sippen. Als diese einen missglückten Anschlag gegen ihn verüben, lässt er Gnade vor Recht ergehen und bewahrt die nobili vor der Enthauptung. Die wenden sich erneut gegen ihn und werden nun vernichtend geschlagen. Weil Rienzi im Anschluss an diesen Sieg jedes Maß verliert, erhebt sich das Volk gegen ihn und vernichtet ihn.

Oldag wirkt in seiner Inszenierung jeder Assoziation zum „Dritten Reich“ bewusst entgegen. Für den Regisseur sind die aktuellen Bezüge wichtiger. Und so tauchen im stark verkürzten Bühnenbild von Thomas Gruber auf der Rückwand zunächst Zeitungsausschnitte auf, die von Befreiungsversuchen unterdrückter Völker der Gegenwart berichten. Die Bühne selbst ist als Schräge angelegt, die von einem rot eingefärbten Graben quer durchzogen wird. Mit diesem Grundentwurf spielt Gruber, indem er mal die Rückwand verändert, mal die Requisiten auf der Bühne austauscht oder auch einen Gazevorhang vor der Bühne fallen lässt, um eine Projektionsfläche für Videos zu haben. Oder auch verfremdende Aufnahmen vom Bühnengeschehen. Wer das als Spielerei betrachtet, wird spätestens bei Kriegsbeginn mit den nobili eines Besseren belehrt. Dann sorgt Peter Issig dafür, dass Kriegsbilder der Gegenwart gezeigt werden, bevorzugt die amerikanischer Kriegseinsätze. Später sind die Folgen von Kriegen für die Menschen zu sehen und immer wieder die Aufnahmen des Heilsbringers Rienzi, der sein Volk in Reden einschwört. Bei so viel Realitätsbezug ist es ein netter Regieeinfall, auch mal die Chordirektorin Maria Benyumova auf die Bühne zu bringen und sie den Chor dirigieren zu lassen. Selbstverständlich im „Arbeitsanzug“ des Dirigenten. So wie Henrike Bromber sich bei den Kostümen auch sonst um Bekleidung eines zeitlosen Jetzt bemüht. Vielleicht nicht wahnsinnig originell, aber immer typisierend. Und so trägt Bromber dazu bei, eine stimmige Aufführung zu gewährleisten, wie auch Holger Klede das Licht wirkungsvoll einrichtet.

Wenn Sängerinnen aufrecht stehend davon singen, dass sie sich gerade dem Tribun zu Füßen geworfen haben, kommt das zwar immer wieder vor, wird aber dadurch nicht richtiger. Das ist schlicht Schlamperei in der Regie – und passiert in dieser Inszenierung glücklicherweise nur einmal. Ansonsten bieten die SängerdarstellerInnen an diesem Abend in erster Linie eindrucksvolle Leistungen. Im Vordergrund stehen Eva Maria Günschmann in der Hosenrolle des Adriano di Colonna und Tenor Carsten Süss in der Titelrolle. Günschmann gefällt mit ihrem Mezzosopran durchgängig und vor allem deshalb, weil sie ihren Gesang mit einer intensiven Darstellung des Adriano koppelt. Süss zeigt leichte Anlaufschwierigkeiten, fängt sich aber und zeigt insbesondere in der zweiten Hälfte die ganze Breite seines Könnens. Darstellerisch überzeugt er von Anfang an. Anders als Anne Preuß in der Rolle seiner Schwester Irene. Zwar noch schauspielerisch weitestgehend überzeugend, enttäuscht sie gesanglich. In den kleineren Gesangseinlagen der ersten Hälfte ist sie kaum zu hören, also spart sie sich wohl für die zweite Hälfte auf, so die einhellige Meinung in der Pause. Aber auch dann erfüllt sie nicht die Erwartungen. Im Volumen zu klein, in die Höhen presst sie sich mit gewaltigem Kraftaufwand. Das alles gut sicht- und hörbar. In der Rolle des Steffano Colonna überzeugt Hayk Dèinyan voll und ganz, ebenso wie sein Mitstreiter Andrew Nolen, der den nobile Paolo Orsini gibt. Kardinal Orvieto bleibt im ersten Auftritt noch etwas unscheinbar, aber in der zweiten Hälfte trumpft Matthias Wippich in dieser Rolle dann ganz groß auf. Walter Planté, in Krefeld und Mönchengladbach dürfte sein Spitzname „Sichere Bank“ lauten, bringt einen Baroncelli erster Güte. Auch Thomas Peter spielt und singt den Cecco routiniert und einwandfrei.

Bei Rienzi stehen fast siebzig Leute aus Chor und Extrachor des Theaters Krefeld und Mönchengladbach auf der Bühne. Für die Chorleiterin Benyumova offenbar kein größeres Problem. Sie hat Frauen und Männer sorgfältig einstudiert, so dass diese sich zwanglos in das Spielgeschehen einbinden lassen, ohne dass es einen Moment an der gesanglichen Leistung mangelt. Insbesondere im Schlussteil, wenn der Chor im Mittelpunkt steht, präsentiert er sich großartig.

GMD Mihkel Kütson und die Niederrheinischen Sinfoniker arbeiten sich erstmalig am Rienzi ab. Die Prämisse Oldags, alles anders zu machen, um den Rienzi zu „befreien“, erweist sich hier als Stolperfalle. Noten sind Noten, und eine Ouvertüre dem Klang eines Nürnberger Parteitags zu entledigen, funktioniert nicht. Der Versuch geht schief, aber was soll’s? Im Verlauf liefert das Orchester ordentliche Leistungen ab. Die Akzente werden gesetzt, ohne die Sänger zu übertönen. Im Finale lässt der vollkommen unbelastete Dirigent dann alle Hemmungen fallen und einen Wagner-Sound erklingen, der monumentaler nicht sein könnte. Und bitte schön – wir waren alle nicht zu Gast bei den Nürnberger Parteitagen – Wagner muss man so spielen, damit er seine volle Wirkung entfaltet.

Es gibt viele bravi und Riesenbeifall an diesem Abend. Für die Sänger, den Chor, das Orchester und das Leitungsteam. Günschmann und Süss dürfen sich in einem Meer des Beifalls baden. Matthias Oldag hat sein Ziel erreicht: Der Rienzi ist für andere Deutungen wieder offen. Gratulation. Und letztlich muss nach nahezu 68 Jahren die Frage erlaubt sein, wie lange wir uns eigentlich von den Deutungen des Nationalsozialismus gefangen nehmen lassen müssen. Diese Diktatur war aus historischer Sicht ein – ekelhafter – Splitter. Aber vielleicht sollten wir uns auch trauen zu sagen: Mehr auch nicht. Dieser Abend war ein Schritt in die richtige Richtung.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Matthias Stutte