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Fakten zur Aufführung 

RE-PLAY, THE SWAN
(Jörg Ritzenhoff)
28. April 2013
(Gastspiel)

Tanz NRW 13, Fabrik Heeder, Krefeld


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Wiederholung als Prinzip

Es verdirbt einem den Appetit und ist eine Respektlosigkeit gegenüber den Zuschauerinnen und Zuschauern, sie vor verschlossenen Türen warten zu lassen. Eine Unsitte, die häufiger in der so genannten freien Szene vorkommt, dadurch aber nicht besser wird. Zehn Minuten in einem kalten, zugigen Foyer warten zu müssen, hebt die Stimmung ebenso wenig wie die Aussicht auf „freie Platzwahl“. Prompt stürmen die üblichen Verdächtigen nach vorn, um gleich reihenweise Plätze „frei zu halten“. Wenn dann noch eine zehnminütige Ansprache über die Verdienste der Stadt und des Sponsors folgen, ist man angekommen im vierten Festival „Tanz NRW“. Und es braucht ein wenig Überwindung, den aufkeimenden Unmut zu überwinden und sich auf die künstlerische Darstellung zu konzentrieren.

Licht aus. Am Rand der Studiobühne ist lautes Schuhklappern zu hören. Na gut, schließlich hat schon Schläpfer seine Tänzerinnen in Gummistiefeln auf die Bühne geschickt. Ruhe. Scheinwerfer glimmen blau und weiß auf und tauchen die Bühne in ein kaltes Licht, das Marc Brodeur sehr behutsam einsetzt und wechselt, meist aber immerhin so hell lässt, dass man das Geschehen sehen kann und nicht erahnen muss. In der rechten vorderen Ecke sitzen vier Damen in buntbedruckten Kimonos und Wedges. Das sind jene Schuhe mit Keilabsätzen, die so gefährlich für die schlanken Fesseln zarter Frauenfüße aussehen. Die künstlich-gezierte Pose und der starre Blick ist allen vieren zu eigen, verleiht den Damen ein roboterähnliches Aussehen. In der Bühnenmitte liegt eine Tänzerin in Kreuzigungsposition mit dem Kopf zum Publikum. In der linken hinteren Ecke seiner Bühne hat Gilvan Coelho de Oliveira eine Kugel mit Drahtgeflechten und teilweiser, weißer Stoffbespannung installiert, die sich als Diskothek entpuppt, wenn sich die Tänzerin aus ihrer Kreuzigung erhebt und zur Kugel bewegt, um Jörg Ritzenhoffs Klanginstallation in Gang zu setzen. Eine Mischung aus dem permanenten Kratzen einer abgelaufenen Langspielplatte, sphärischen Computersounds und Anklängen aus dem Thema des Sterbenden Schwans.

Regisseurin und Choreografin Rafaële Giovanola erhebt das Prinzip der Wiederholung als „grundlegende Reflexionsfigur der zeitgenössischen Kultur und die vielleicht wichtigste kompositorische Verfahrensweise seit der klassischen Moderne“ zur Handlungsmaxime ihrer Inszenierung von RE-PLAY, The Swan. Dabei werden einzelne Versatzstücke sowohl des Tanzes als auch der Musik – und der spärlich gesprochenen Worte – in immer neue Zusammenhänge gebracht. Die sich daraus ergebende Abstraktion wird durch teils mechanisierte Bewegungsabläufe im Tanz unterstrichen. Giovanola knüpft daran Fragen nach Zeiterfahrung, Realität und Darstellbarkeit von Ereignissen. Ob sich dem Zuschauer das so erschließt, darf bezweifelt werden. Die einzige Reaktion, die dem Publikum abzutrotzen ist, ist Kichern an gewollt oder ungewollt komischen Stellen. Man mag sich auch fragen, ob eine einstündige Tanzaufführung am späten Sonntagnachmittag mit einem bombastischen philosophischen Überbau versehen werden muss. Dass das Prinzip der Wiederholung mitunter viel eher ermüdend denn erkenntnisreich ist, wissen wir nicht erst, seitdem es Video-Installationen in Museen gibt. Immerhin halten sich symbolhafte Videos bei dieser Aufführung in – eher missglückten – Grenzen.

Im Vordergrund bleibt glücklicherweise der Tanz. Eine raumgreifende Choreografie macht Spaß, ist übersichtlich strukturiert und gibt jeder einzelnen Tänzerin Platz sich auszuleben, ehe die fünf wieder zu einer Gruppe zusammenfinden. Katrin Banse, Fa-Hsuan Chen, Laure Dupont, Weronika Pelczynska und Inma Rubio gelingt es, das Publikum zu fesseln, indem roboterhafte Bewegungen mit konvulsivischen Zuckungen wechseln und Zitate bis zu Verfremdungen des Sterbenden Schwans von Anna Pavlova in immer neuen Kombinationen gezeigt werden.

Am Ende einer packenden Aufführung bleibt der Eindruck von der Morbidität der Stereotype in einer Gesellschaft, in der Wiederholungen zu Stillstand und Tod führen. Also doch. Umso unverständlicher das Publikum, das nicht nur ausgesprochen halbherzig eine intensive, tänzerische Leistung beklatscht, sondern es dann auch noch bei einem „Vorhang“ belässt.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Klaus Fröhlich