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Fakten zur Aufführung 

OLIVER!
(Lionel Bart)
14. Juli 2013
(Premiere am 11. Juli 2013)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Theater Krefeld


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Schräg, engagiert und einfallsreich

Nach dem Erfolg von Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat liegt es nahe, das Rezept der Inszenierung auf ein anderes Stück anzuwenden. Silvia Behnke hat in diesem Jahr das Musical Oliver! von Lionel Bart ausgewählt. Das basiert auf dem Roman Oliver Twist von Charles Dickens und wurde 1960 im Londoner West End uraufgeführt. Allerdings nicht als Jugendveranstaltung. Das holt Behnke mit den Jugendclubs des Theaters Krefeld Mönchengladbach, dem Jugendchor, den Musical-Dancers, dem Kinderchor Crazy Notes der Erlöserkirche Krefeld und der Colosseum-Band nach.

Um ein solches Personalaufkommen auf der Bühne unterzubringen, bedarf es schon sorgfältiger Überlegung. Peter Schmitz baut drei Ebenen hintereinander auf. Mit Schals schafft er ständig neue Räume, die durch vielsagende Requisiten sofort erkennbar werden. Schmitz zeigt, wie man mit vergleichsweise wenigen Mitteln eine Bühnenwelt bauen kann, die dem Zuschauer Orientierung bietet und dabei ständig neue Attraktionen schafft. Die Kostüme hat Ivonne de Blecker der viktorianischen Zeit nachempfunden, eben jener Zeit, in der der Roman spielt. Das ist nun weniger originell, aber ordentliches Handwerk – und das Ensemble hat Spaß daran. Wieder hat Silvia Behnke eine Inszenierung geschaffen, in der auch zahlreiche Choreographien ihren Platz finden. Und so entsteht einmal mehr ein spritziges und überzeugendes Stück. Die Leichtigkeit und jugendliche Spielfreude, die in Joseph so sehr fasziniert haben, sind in Oliver! ein Stück weit zunehmender Professionalisierung gewichen. Hier scheint alles größer, ausgefeilter, disziplinierter, aber auch ernsthafter daher zu kommen. Es stimmt nachdenklich, wenn aus Kindern kleine Erwachsene werden. Vielleicht haben auch die zum ersten Mal mitwirkenden Erwachsenen, Laienschauspieler und Ensemble-Mitglied Christoph Erpenbeck ihren Anteil. Zum Drama werden lässt Behnke das Musical deshalb nicht.

Dabei wird es hinter der Bühne wohl recht dramatisch. Es will den Technikern einfach nicht gelingen, die Probleme mit den Micro-Ports in den Griff zu bekommen. So erlebt das Publikum an einem Abend, was mit dieser Technik alles schief gehen kann. Falsch verortete Töne, dumpfes Gebrabbel statt flotten Musical-Gesangs bis hin zum kurzzeitigen Totalausfall. In der Aufregung wird dann auch noch vergessen, die Kanäle der nicht auf der Bühne befindlichen Darsteller wegzuregeln – und das wiederum sorgt für entsprechende Heiterkeit im Zuschauerraum.

Den jugendlichen Darstellern aber darf man unumschränkt zu ihrer Leistung gratulieren. Allen voran die 23-jährige Aylin Alex, die die Nancy spielt und in Darstellung und Gesang allen erklärt, dass Oliver! nicht das letzte Stück ist, in dem sie mitspielen will. Die ausgesprochen anspruchsvolle Rolle des Oliver nimmt Lennart Vogt wahr, und im Großen und Ganzen gelingt ihm das auch großartig. Filip Lazar spielt Artful Dodger, den Meisterdieb. Und müsste er nicht ständig damit kämpfen, dass ihm ein viel zu großer Hut aufgesetzt worden ist, könnte er sich noch sehr viel besser auf sein Spiel konzentrieren. Das Potenzial ist da. Bill Sikes, die graue Eminenz, der die Situation zunehmend aus den Händen gleitet, erreicht in Oliver Jesbergers Verantwortung die nötige Düsternis und letztlich glaubwürdige Verzweiflung. Erpenbeck findet sich in Mr Fagin in einer Paraderolle wieder und genießt das auch. Auch wenn hier nicht alle 18 Solisten genannt werden können, trägt doch ein jeder seinen Teil zu einem darstellerisch sehr gelungenen Abend teil.

Die Musical-Dancer sind von Silvia Behnke bestens trainiert, die Choreographien eindrucksvoll. Hier ist die gelernte Tänzerin sicher auch noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Da ist noch einiges zu erwarten. Ebenfalls gut einstudiert ist der Chor des Jugendclubs. Und ganz wunderbar präsentiert sich der Kinderchor, der „unter der Fuchtel“ von Christiane Böckeler mit seinen Auftritten die Herzen der Zuschauer erreicht.

Weniger erfreulich gestaltet sich das Spiel der Colosseum-Band, die sich „Unterstützung“ bei der Musikschule Krefeld gesucht hat. Ihr Dirigent und musikalischer Leiter, Rochus Triebs, eigentlich eher ein Mann der ruhigen Töne, treibt die Musiker mit riesiger Geste von Fortissimo zu Fortissimo, ohne sich groß um die ruhigeren Passagen zu kümmern. Das muss mit den – ohnehin „Micro-Port-geschädigten“ – Sängern kollidieren. So schön, dass in einem unvergesslichen Schlussbild alle zueinander finden.

Während sich auf der Bühne und im Graben alle erkennbar bemühen, ihr Äußerstes zu geben, ist das wohl in großen Teilen eher theaterunerfahrene Publikum zu weiten Teilen mit sich selbst beschäftigt. Dass alte Weiber krakelen, kann man sich in den so genannten Lustfilmen der DEFA zur Genüge anschauen. Im Saal sind sie kein Vergnügen, und man fragt sich, woher sie dieses „Recht“ nehmen. Ebenso wie Mütter, die ihren Kindern lautstark erklären, dass es jetzt kein „Playstation“ gibt – und das gern auch lange und ausführlich. Die neue Kultur des „Hoppla, jetzt komm ich – der Rest der Gesellschaft mag sich um sich selber kümmern“ funktioniert im Theater nicht, wenn wir nicht die letzte Magie dieses Ortes zerstören wollen. Immerhin reicht der Respekt dann doch noch, die Akteure auf der Bühne ausgiebig zu feiern. Und das auch im Stehen. Verdient haben es die Jugendlichen allemal.

Michael S. Zerban

Fotos: Matthias Stutte