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Fakten zur Aufführung 

LE VILLI/SUOR ANGELICA
(Giacomo Puccini)
5. Juni 2011 (Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach

Points of Honor                      

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Gesang

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Audiobeitrag

Wenn Sie auf die erste Taste von links klicken, hören Sie den Audiobeitrag unseres Korrespondenten Michael S. Zerban mit der Regisseurin Beverly Blankenship.

 
 

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Die Grausamkeit der Kirche

Brandaktuell will Regisseurin Beverly Blankenship Puccinis Erstlingswerk Le Villi in – erstmaliger – Kombination mit Suor Angelica inszenieren. Zu viel haben Frauen in der Vergangenheit unter den Folgen einer unglücklichen Liebe gelitten und wurden von Gesellschaft und Kirche sanktioniert, wenn dieser Liebe gar ein uneheliches Kind entsprang. Blankenship möchte das Leid dieser Frauen in kirchlichen Einrichtungen brandmarken und verlegt die beiden Handlungen in eine „kirchliche Institution für gefallene Mädchen und gefährdete Frauen“. Dass in jüngster Zeit die Misshandlungen in kirchlichen Einrichtungen allmählich an das Licht der Öffentlichkeit geraten, will die Regisseurin mit ihrer Inszenierung unterstützen. Ein hoch ambitionierter Ansatz, der in der Umsetzung scheitert.

Christian Floeren schafft mit weißtransparenten, verschiebbaren Stellwänden auf der Bühne einen Innen- und Außenraum. Warum im Hintergrund Monitore im Zuschauerraum kaum erkennbare Schwarzweiß-Bilder zeigen, erschließt sich nicht. Mit ihren Kostümen, die eher konservativ die Putzkolonnen der Statisterie, „Insassen“ in verschiedenen Rangordnungen, Nonnen und geistliche Würdenträger erkennbar machen, kontrastiert Susanne Hubrich die Modernität des Bühnenbildes. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, wenn denn die unterschiedlichen Rollen erkennbar blieben. So ist das Publikum lange damit beschäftigt zu enträtseln, wer eigentlich wer ist.

Seltsam blutleer sind die Choreographien von Teresa Rotemberg. Die große Walzerszene in Le Villi reicht über das Niveau eines Schützenfestes nicht hinaus. Hier wird Puccinis Musik geschmäht. Die ekstatischen, weltentrückten Tänze der Villi, der Bräute, die vor der Hochzeit gestorben sind, erinnern bei Rotemberg mehr an das Huhu im schweizerischen Fasching. Blutreich hingegen die Inszenierung. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, mit Theaterblut zu spritzen und sich verschwenderisch damit zu beschmieren. Auch irritieren immer wieder brachiale Regieeinfälle; wenn beispielsweise schwere Tische umgeworfen werden, um Ausbrüche zu unterstreichen, geschieht das mit einer Explosivität und Brutalität, die eher überspannt als folgerichtig wirken. Während auf der rechten Seite der Bühne brav gesungen wird, darf man auf der linken Seite erahnen, dass sich ein Würdenträger der Kirche gerade von einer „Insassin“ oral befriedigen lässt – wohlverstanden hinter einer Wand aus aufgestapelten Textilstücken. Erst als die Gepeinigte aus dem Versteck wieder auftaucht und sich angewidert den Mund abwischt, wird dem Zuschauer bewusst, was er bereits ahnte. Das ist halbherzig und geht in der ständigen Bewegung auf der Bühne beinahe unter.

Sängerinnen und Sänger sind auf das Äußerste gefordert. In den extremsten Stellungen sollen sie ihre Stimmen zur Geltung bringen. So ist auch das Ergebnis dieses Abends durchaus gemischt. Während Tenor Kairschan Scholdybajew dem Roberto, der aus dem Dorf auszieht, um zu erben und dabei die geliebte und geschwängerte Anna zurücklässt, die nötige Glaubhaftigkeit in den verschiedenen Situationen seiner Gefühlswallungen vermittelt, enttäuscht Janet Bartolova als Anna in den unsauber gesungenen Tiefen und erreicht die geforderten Höhen nur unter starkem Vibrato und dem Verlust der Klarheit in der Sprache. Guglielmo ist Annas Vater und allzeit besorgt, was Igor Gavrilovs Bariton mit wenig differenzierter, steifer Stimmgebung nur unzulänglich vermitteln kann. Wie anders dagegen Dara Hobbs als Suor Angelica, die mit leuchtendem, klar fokussiertem und enorm durchschlagskräftigem Sopran dem Abend endlich den nötigen Glanz verleiht, sich leidenschaftlich hingibt und beim „Salveme“ einen ihrer beiden absoluten Höhepunkte erreicht. Katharina Ihlefeld als Äbtissin wirkt gut einstudiert, ohne dem Zuschauer etwas zu vermitteln, und auch Eva-Maria Günschmann kommt in ihrer Rolle der Fürstin, zu künstlich gealtert, nicht gegen Hobbs an.

Der Chor in der Einstudierung von Maria Benyumowa ist zwar nicht immer verortbar, überzeugt aber durch Präzision und Intensität. Neben Dara Hobbs‘ stimmlicher Leistung begeistern uneingeschränkt die Niederrheinischen Sinfoniker unter der fabelhaften, souveränen Leitung von Graham Jackson mit süffigem Ton und packendem Zugriff. Die musikalische Reife des erst 26-jährigen Puccini in seinem Erstlingswerk wird so zur vollen Blüte gebracht, das Geschehen auf der Bühne vorangetrieben, ohne die Stimmen an die Wand zu spielen, aber auch, ohne nur einen Ton zu verschenken.

Die Aufführung endet mit einer vollbusigen, selbstverständlich blutüberströmten „Christa“ – wie soll man es sprachlich korrekt ausdrücken? – am Lichtkreuz. Ein Schlussakkord, der in der Inszenierung schlüssig ist, aber eben deshalb verpufft. Die Kirche als Spender des Grauens, übrigens nicht nur für Frauen, darf man, da hat Blankenship vollkommen Recht, nicht übergehen. Das Mäntelchen des Schweigens ist hier so wenig angebracht wie die Kollekte in der Kirche. Die Verfehlungen mit Blutrunst und Gewaltexplosionen zu überhöhen, scheint aber angesichts der tatsächlichen, viel subtileren und damit grausameren Methoden der Wirklichkeit abseits des gewünschten Effekts. Die Wirklichkeit wirklich darzustellen, wäre eindringlicher gewesen. Das Publikum jedenfalls quittiert den Auftritt der Regisseurin bei allgemein durchschnittlichem Beifall mit Buh-Rufen. Das allerdings wird den ambitionierten Ansprüchen der Regisseurin auch wieder nicht gerecht.

Michael S. Zerban

 











 
Fotos: Matthias Stutte