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Spanisch für Genießer
Robert North, Ballettdirektor und Chefchoreograf am Theater Krefeld Mönchengladbach, hat das Gewesene kurzer Hand außer Acht gelassen und die Carmen neu für das Ballett interpretiert. Gab es bislang immer wieder auch Ballettinszenierungen, beruhten sie doch alle mehr oder weniger auf George Bizets Opernvorlage. North, der nach eigenen Angaben Bizet sehr liebt, hat Musik und Libretto der Oper völlig ignoriert, sich stattdessen auf die auch der Oper zu Grunde liegenden Kurzgeschichte von Prosper Mérimée zurückgezogen und eine neue Musik bei Christopher Benstead in Auftrag gegeben. Das kann funktionieren, muss es aber nicht.
In Krefeld ist so ein wunderbarer, frischer und selten kurzweiliger Abend entstanden. Was braucht ein solcher Abend? Sechs Tische, zwei Treppenelemente und ein spannendes Licht. Das Bühnenbild hat North selbst entwickelt. Mit den Tischen gestaltet er immer wieder neue, fantasievolle Bilder, die Konrad Drechsel in spannungsgeladenes Licht taucht, ohne die Bühne, wie in anderen Inszenierungen so oft erlebt, im Dunkel absaufen zu lassen. Luisa Spinatelli kleidet die Tänzerinnen und Tänzer in Kostüme der Zeit um 1830 in Andalusien, ohne sie mit Folklore zu überfrachten. Benstead hat dazu eine denkbar passende Musik geschaffen: Spannungsreich, voller Verve, mit Anklängen andalusischer Folklore und vor allem ganz viel Flamenco. Dabei verfällt der Komponist nicht in die Sounds, die Touristen in Sevilla glücklich machen, sondern belässt es bei gekonnten Andeutungen. Allein die Musik, von Peter Issig und Fabian Esser wirkungsvoll umgesetzt, reichte aus, kurzweilige anderthalb Stunden verstreichen zu lassen.
Dazu gibt es eine erlesene Choreografie voller Esprit von Robert North. Es überwiegen hervorragende Corps-Szenen mit immer wieder überraschenden Bewegungsabläufen, die in der Mischung konventioneller Ballettelemente mit zeitgenössischen Details eine wunderbare Leichtigkeit erfahren. Elisa Rossignoli gibt die Räuberbraut Carmen, die mit dem Don José von Alessandro Borghesani eine unheilvolle Verbindung eingeht. Was Rossignoli in die Akrobatik des Tanzes hineingibt, fehlt in der Sinnlichkeit. Diese Carmen ist nicht der Vamp mit zahllosen Liebschaften, mit verführerischer Übermacht, sondern eher die grazile Tänzerin, die sich in Andeutungen ergeht, der Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert, ohne zu wahrem Glück zu finden, immer aber in Freiheit. Borghesani muss als Don José derweil eine ganze Reihe von Kämpfen durchstehen, in deren Folge er immer wieder – ungewollt – zum Mörder wird. In letzter Konsequenz auch gegen Carmen. Dabei bleibt es nicht nur beim Tanz. Auch regelrechte Stuntszenen sind gefordert, die Borghesani ebenso überzeugend absolviert, wie er schließlich zum Schafott emporsteigt. Ebenbürtig ist ihm der Picador. Takashi Kondo begeistert das Publikum mit seinem Solo in der Stierkampfarena – ehe er dem Stier in Gestalt von Emmerich Schmollgruber begegnet, der seinem Leben ein Ende setzt.
So schön und schmissig die Corps-Szenen sind, so komisch Jorge Yen als reicher Herr auftritt und so überzeugend die tänzerischen Leistungen der Solisten sind – es bleibt bei der Darstellung. Der Zuschauer darf sich an all dem erfreuen, ohne dass wahre Leidenschaft entsteht. Das mag am jugendlichen Alter des Ensembles liegen oder in der Intention des Choreografen. Dem Publikum gefällt es, so wie es ist. Rhythmischer Beifall hält die Akteure über lange Zeit auf der Bühne, ausnahmsweise mal in einer gekonnten Applausordnung. Robert North und sein Team haben jedenfalls eine Aufführung abgeliefert, die rundherum stimmt und auf dem Heimweg noch ein wohliges Gefühl hinterlässt.
Michael S. Zerban
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