Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

BLUES BROTHERS
(Matthias Gehrt)
31. März 2012
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Theater Krefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 

Die Waisen aus Chicago




Das Theater Krefeld Mönchengladbach versucht sich an einem spektakulären Stoff: Es holt die Blues Brothers in eigener Inszenierung an den Niederrhein. Bei der Premiere am 31. März hat sich gezeigt, dass die Seidenweber die Coolness auf die Bühne bringen, die Generationen begeistert hat (6'26).

 

zurück       Leserbrief

I'm a soulman

Der Film traf den Nerv erst einer, in Agonie verfallenden Generation, dann den jeder nachfolgenden Jugend. Die Blues Brothers treiben 1980 die in Watte gepackte, gelangweilte und allmählich vertrocknende Jugend in die Kinos  und erweckten sie wieder zum Leben. An vielen ist das damals vorbeigegangen, sie haben es erst sehr viel später begriffen, dass das einer der ganz wenigen Lichtblicke in der betonierten Geisteswüste der Bundesrepublik jener Zeit ist. Die in dieser Epoche entstandenen Kinder wissen ja sechzehn Jahre lang nicht einmal, dass wir in einer Demokratie leben. Weil es einen dicken König gibt, der alles aussitzt. Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es ein hübsches Märchen. Ein weitaus hübscheres Märchen kommt da aus Amerika in die Kinos. Zwei wirklich und wahrhaftig coole Typen versuchen, gegen alle Widerstände, auf legalem Weg 5.000 Dollar aufzutreiben, um ein Waisenhaus zu retten. Solch einen Film, in dem 75 Autos demoliert werden, von denen einzelne noch bis zu 60 Mal eingesetzt werden, kann man nicht auf die Bühne bringen. Und wenn, dann kann die Skepsis gegenüber eines solchen Unterfangens gar nicht groß genug sein.

Gerade das mag für Regisseure einen besonderen Reiz darstellen, und so hat es schon einige Versuche gegeben, ein Lebensgefühl zu imitieren, weil andersrum Hair ja schließlich auch mal erfolgreich verfilmt wurde. Ausgerechnet in der „Provinz“, im niederrheinischen Krefeld, hat sich jetzt der Schauspieldirektor Matthias Gehrt auch einmal als Regisseur daran versucht. Er hat eine neue Bühnenfassung geschrieben, in der er den Stoff auf die theatralischen Mittel im besten Sinne reduzieren will. Keine Caddys auf der Bühne, keine wilden Verfolgungsjagden durch Einkaufszentren, hat er gesagt. Alles gelogen. Er hat es lediglich auf die Möglichkeiten der Bühne transformiert. Und damit ein Stück geschaffen, das das Publikum vom ersten Moment an begeistert. Und schon, wenn der Caddy funkgesteuert als Modellauto auf die Bühne fährt, ist klar: Das hier wird was ganz Besonderes.

Die Bühne von Gabriele Trinczek bildet ein Theater ab. Brandmauern im Hintergrund bieten im Vordergrund viel Platz und sind variabel. Da wird schon mal ein Gitter heruntergelassen und versinnbildlicht einen Knast. Ein andermal schieben die Wände auseinander und geben Platz für Videoprojektionen. Immer wieder variiert der Hintergrund nahezu unmerklich und wird so niemals langweilig. Geht Hand in Hand mit gefühlt tausend Regieeinfällen, von denen die meisten sitzen. Aber schließlich ist im Genre auch Slapstick zulässig – wenn es denn in Maßen bleibt. Der wichtigste Regieeinfall: Gehrt konzentriert sich auf die Musik. Und findet damit seinen direkten Zugang zum Publikum. Hinzukommen die überwiegend filmtypischen Kostüme von Petra Wilke und ein unglaublich einfühlsames Licht von Gaetan de Blecker und Kollegen. Wenn niemand mehr bemerkt, dass es eine Beleuchtung gibt, ist es das perfekte Licht.

Um Missverständnisse auszuschließen: In dieser Aufführung gibt es vor allem Fieber. Das Premierenfieber grassiert hier als unangenehme Epidemie. Verpasste Einsätze, Versprecher, schlechte bis unverständliche Tonqualität in den Sprechpassagen, Patzer beim Licht, es gibt an diesem Abend kaum etwas, das ausgelassen wird. Aber wen interessiert das? Wohl selten hat es so eine kurzweilige zweistündige Aufführung gegeben wie in Krefeld.

Adrian Linke als Elwood Blues und Paul Steinbach als sein Bruder Jake entwickeln ihre Rollen aus eigener Sicht, um in den entscheidenden (Tanz-)Passagen auf das filmische Vorbild zurückzugreifen und genau damit das Publikum zu euphorisieren. Marianne Kittel sorgt als Jakes Freundin zunächst für Verwirrung und komische Momente. Wenn Unchain my heart aber in der Mezzosopran-Stimmlage gesungen wird, vermisst man Whisky und Zigarette in der Stimme doch mehr, als einem lieb ist. Bruno Winzen tritt gleich in mehreren Rollen auf, gefällt aber vor allem in seiner Parodie von Ray Charles und wenn er den Blues singt, wie es sich gehört. Esther Keil brilliert als Pinguin, unter anderem, wenn sie in der Höhe schwebend die Zeit vorantreibt, und zeigt ihre komödiantische Begabung als Claire. Wenn ein Anwärter auf eine Bukowski-Rolle gesucht würde, müsste man unbedingt auf Joachim Henschke zurückgreifen. Ja, bei Henschke fällt einem ein, warum es eigentlich noch keine Bukowski-Biografie als Theaterstück gibt. Die müsste er spielen. Die Cops gefallen, indem sie die Komödie spielen, ohne sie allzu sehr zu übertreiben. Die Tanzchoreographien in der Einstudierung von Ralph Frey werden in den Folgevorstellungen sicher noch an Präzision gewinnen, überzeugen aber hier schon in der Spielfreude.

Willy Haselbek bringt mit seiner Band auch im Off noch einen Sound zu Stande, der nicht nur an das Original heranreicht, sondern es in klugen Arrangements für die Bühne in Krefeld noch übertrifft.

Nach den letzten Akkorden hält es das Publikum nicht mehr auf den Stühlen. Stadionreife Ovationen erfüllen den Saal. Auch nach der vierten Zugabe wird noch rhythmisch geklatscht. Mit dem, was heute Abend passiert ist, wird Gehrt Maßstäbe setzen. Diese Interpretation hat das Zeug, den Kult um die Blues Brothers fortzusetzen.

Michael S. Zerban







Fotos: Matthias Stutte