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Fakten zur Aufführung 

DIE VERWIRRUNGEN DES ZÖGLINGS TÖRLEß
(Henrik Albrecht)
16. Mai 2012
(Premiere)

Literaturoper Köln,
Freies Werkstatt Theater Köln

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Intellektuelles Mobbing

Wie macht man aus einem komplexen Roman eine Bühnenfassung, die der literarischen Vorlage gerecht wird? Robert Musils früher Roman zeigt beim Lesen eine derartige Vielschichtigkeit, dass man sich kaum vorstellen kann, wie daraus eine Oper, geschweige denn eine Literaturoper, werden kann. Andreas Durban hat es gewagt. Reduziert auf eineinhalb Stunden stimmt der Handlungsstrang weitgehend. Auch die philosophischen Diskurse werden zumindest angerissen, aber nicht ausschweifend behandelt. Die Kürzungen geraten dabei nachvollziehbar, aber kaum merkbar. Dabei hilft es dem Zuhörer, dass die Oper nicht durchgängig gesungen wird, sondern sich fast singspielartig gesprochener Text und gesungenes Wort abwechseln. Zwar merkt der Kenner der literarischen Vorlage, dass an einigen Stellen Textergänzungen vorgenommen worden sind, doch zum Vorantreiben der dramaturgischen Stringenz sind diese nötig und passen erstaunlich gut. Besonders die Lehrerszenen gewinnen für diese Bühnenfassung dazu.

Die Geschichte des Internatsschülers Törleß, der mit zwei Mitschülern in den Sog der Macht über einen wehrlosen Kameraden hineingezogen wird, scheint sehr aktuell. In den Nachrichten hört man immer wieder von ignoranten Lehrern, psychischer und physischer Gewalt unter Schülern, sogar von sexuellem Missbrauch und Folter in der Schule. Dementsprechend wird die Inszenierung Durbans in eine unbestimmte Zeit versetzt, die sowohl durch moderne als auch traditionelle Elemente und Requisiten umgesetzt wird. Verantwortlich für Kostüme und Bühnenbild ist Birgit Pardun. Die Schülerinnen und Schüler tragen weiße Schuluniformen mit roter Krawatte, während die Lehrer altmodisch mit staubigen Talaren oder karierten Sakkos bleiben. Mit geringen Mitteln wird auf der kleinen Bühne große Wirkung erzielt: Bildprojektionen rufen genau die richtige Stimmung ab, sei es eine antike Marmorstatue während der Lateinstunde, ein Puppenkopf oder ein zerschnittener Arm mit der Aufschrift „My Daddy fucked me and I loved it“. Auf der Bühne geht es zwar zeitweise spartanisch zu, aber dafür machen die Darsteller umso mehr aus der gegebenen Situation.

Die Sänger sind Studenten der Kölner Hochschule für Musik und Tanz und bieten vor allem herausragende darstellerische Qualitäten. Törleß wird von Lorenz Rommelspacher verkörpert. Er hat einen besonderen, differenzierten Ausdruck und sehr gute Artikulation. Und: Er ähnelt nicht nur äußerlich, sondern auch in seiner Spielweise verblüffend dem jungen Toby Maguire aus Gottes Werk und Teufels Beitrag. Seine Stimme verfügt über ein großes Volumen, wirkt teilweise aber noch nicht ausgereift. Da überzeugen seine darstellerischen Qualitäten mehr. Anna Herbst als Basini überzeugt dagegen auch sängerisch vollkommen. Ihre Rollenidentifikation mit dem verzweifelten Jungen gelingt im Verlauf des Stückes zunehmend und auch der Zuschauer sieht nicht mehr die junge Sängerin mit dem blonden geflochtenen Zopf, sondern den gequälten Jungen aus armem Elternhause. Und ihr Gesang berührt ebenso wie ihr emotional echtes Spiel. Alexander Schmitt schafft es, Beineberg mit einem diabolischen Blick auszustatten und doch verletzlich zu bleiben. Dabei hat er seine Stimme gut im Griff. Beim Gesang manchmal etwas leise, aber mit körperlichem Einsatz und starkem Auftreten glänzt Katharina Penner als Reiting. Ein besonderes Highlight ist Schauspielerin Carole Schmitt, die in die Rolle der autoritären Männer schlüpft. Sie gibt sowohl den wohlwollenden, etwas abwesenden Vater Törleß als auch verschiedene Lehrerfiguren charakteristisch und monologisiert mühelos, wobei sie mit androgynem Charme nur so um sich schmeißt. Die nachdenkliche tränennahe Mutter, die verrückte Dorfprostituierte Bozena und besonders genial der tiefsinnige Mathematiklehrer, der virtuos mit einem Rollstuhl über die Bühne tanzt, werden von Alexandra Benz dargestellt. Dabei ist sehr gut gelöst, dass Mutter und Prostituierte von derselben Person gespielt werden, da Törleß beide gegen seinen Willen miteinander verbindet. Alexandra Benz zeigt sowohl in Gesang als auch im Spiel große Variabilität. Über die anfängliche Verwirrung, dass Geschlecht von Protagonisten und Darstellern nicht unbedingt übereinstimmen, kann man nach kurzer Eingewöhnungsphase hinwegsehen und dem auch die eine oder andere eigene Interpretation abgewinnen.

Die ausdrucksstarke Musik von Henrik Albrecht wird von Georg Leisse gekonnt abwechselnd oder gleichzeitig am Klavier und Harmonium gespielt. Emotional aufgeladene Melodien und synkopische Rhythmen prägen die Musik und schaffen eine stimmungsmachende Begleitung.

Die Romanadaption gelingt trotz erster Bedenken und ist kein Stück langweilig. Man kann das Charakteristische des Originals trotz der notwendigen Eingriffe spüren. Das Publikum bleibt bei dieser Uraufführung am Ball und applaudiert aufrichtig allen Beteiligten. Diese Literaturoper ist nicht nur etwas für literarisch Interessierte und eingefleischte Opernfans, sondern bietet einen durchweg kreativen und starken Theaterabend.

Miriam Rosenbohm





Fotos: Horst Schmeck