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Fakten zur Aufführung 

THE TURN OF THE SCREW
(Benjamin Britten)
17. März 2013
(Premiere am 11. Februar 2011)

Oper Köln, Trinitatiskirche


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Hallende Geister

Obwohl die Wahl der Trinitatiskirche als Ausweichspielstätte nach der Premiere vor rund zwei Jahren einheitlich gelobt wurde, kann am Abend der Wiederaufnahme gerade die Örtlichkeit nicht überzeugen. Zu viele Zugeständnisse werden dem Publikum abverlangt, zu unüberlegt sind Platzierung von Bühne, Orchester und Bestuhlung.

Man könnte denken, Regisseur Benjamin Schad sei mit der Inszenierung in diesem beengten Raum vielleicht ein Genie-Streich gelungen, doch muss man feststellen, dass alles, was spannend erscheint, eigentlich Britten und seinem Librettisten zu verdanken ist. Die gruselige Story um die Waisenkinder Miles und Flora, deren nervöser Gouvernante, die nebulösen Verstrickungen um den Tod ihrer Vorgängerin Ms Jessel und des bösen Dieners Quint und die hilflose Gutmütigkeit der Haushälterin Ms Grose, sind in der Oper und ihrer literarischen Vorlage angelegt. Schad addiert ein bisschen symbolisches Papier, Kreidezeichnungen und einen Spiegel, in dem unter anderem – oh, Wunder – die jetzige Gouvernante ihre Vorgängerin das erste Mal sieht. Diese Oper, die aufgrund des spannenden Sujets geradezu nach einer ordentlichen szenischen Umsetzung schreit, bleibt nahezu auf sich allein gestellt. Schade. Da bietet Britten die ganze Hand, und es wird nur der kleine Finger genommen. Die Charaktere bleiben blass, und das leider nicht, weil zumindest zwei davon Geister sind. Die zwiespältig angelegten Rollen werden unreflektiert wiedergegeben. Zwar hat Flora eine schizophrene Wendepuppe und Geist Quint schmeißt ein paar schwarze Federn von der Empore, die wahrscheinlich den angesprochenen „schwarzen Schwan“ und damit den Tod meinen, doch bleiben diese Gimmicks eher eine Ausnahme.

Die Kirche aus dem 19. Jahrhundert bildet einen länglichen, hohen Raum, in dessen Mitte eine Art Bühnenlaufsteg eingefügt ist. Zu beiden Seiten sind die Kirchenbänke mit Blick auf den Laufsteg aufgestellt. Die Seitenschiffe haben eine Empore, die auf einem Säulengang aufgebaut ist. Im linken Seitenschiff ist unter der Empore hinter einem Teil des Publikums ebenerdig das Orchester platziert. Die langgezogene schwarze Bühne von Tobias Flemming arbeitet mit drei wesentlichen Elementen: Die Installation eines halben Flügels und eines Schreibtisches, die im Boden zu verschwinden scheinen, sind jeweils nur von einer Seite des Publikums zu sehen. Darüber baumelt eine riesige Leuchtkugel, die in todesnahen Momenten zum Schwingen gebracht wird. Drittens werden die Enden der Bühne genutzt. Einmal begrenzt eine schmale Spiegelwand die Bühne und gegenüberliegend zunächst eine riesige Leinwand aus Papier, die nach und nach zerrissen wird, und dahinter eine mit Kreide bemalte Tafel. Zudem werden die Räumlichkeiten der Kirche mit einbezogen. Die Kanzel wird zum Spielort, die Seitenschiffe zum Auf- und Abgang, die Emporen zum Turm. Könnte nett sein, hat aber einen entscheidenden Nachteil: Egal, wo man seinen Platz hat, immer hat man das Gefühl, dass man etwas verpasst. Sitzt man zu nah am rechten oder linken Bühnenende oder gar hinten, kann man nicht sehen, was der Spiegel wiedergibt, was sich in der Kanzel, auf der Empore, vor der Tafel abspielt. Natürlich könnte man die Beschränktheit der Ausstattung auf die begrenzten Platzverhältnisse zurückführen, doch ist das keine Ausrede für Einfallslosigkeit und schlechte Planung. Die historisierenden Kostüme von Anett Lausberg können da auch nicht mehr viel begradigen. Zwar zeigt sie ihr Handwerk im Schnitt der Damenbekleidung, doch bleiben die Kostüme langweilig. Gerade in der Kostümierung und besonders dem Make-Up der Geister könnte man mehr erwarten, doch beides scheint sich dem beschränkten Bühnenbild anzuschließen: Das Einzige, was beispielsweise John Heuzenroeder als Sänger des Prologs vom verlockenden Quint unterscheidet, scheint ein grüner Fleck im Gesicht zu sein.

Leider wirkt sich die weitläufige Nutzung der Räumlichkeit auch auf die Akustik aus. Man kommt nicht umhin sich zu fragen, weshalb das Orchester nicht auf einer der Emporen platziert wurde, da die Plätze dort aufgrund der hohen Brüstung so sichteingeschränkt sind, dass die Gäste stehen müssen, um überhaupt etwas zu sehen. Musikalische Gründe für die seltsame Wahl wird es wohl kaum geben, da durch die Nähe des Orchesters zur Emporendecke keine Klangentfaltung stattfinden kann. Im Gegenteil: Knapp ein Viertel des Publikums kriegt die volle Dröhnung mit dem Orchester im Rücken. Entweder ist das Orchester viel zu laut und dementsprechend sind die Sänger kaum zu hören, oder die Sänger sind einfach zu weit weg. Die natürlich hallende Akustik tut ihr Übriges, und man muss sich streckenweise anstrengen, überhaupt mitzukriegen, wer wo gerade singt.

Die musikalische Leitung hat Raimund Laufen, dessen Dirigat man aufgrund von überall angebrachten Bildschirmen besser verfolgen kann als das Bühnengeschehen. Er dirigiert sensibel, und die Musiker des Gürzenich-Orchesters beweisen nicht nur in ihren Gesichtern höchste Konzentration und Leidenschaft. Zwar ist es schön, die Musiker auch mal zu sehen, allerdings bringt es ihnen nicht viel, wenn dadurch ihre Musik nicht ganz genossen werden kann.

Das Sängerensemble, das sich auf der mittigen Bühne wie auf einem Präsentierteller – von der ersten Reihe fast zum Anfassen nah – zeigen muss, kann durch die Bank weg überzeugen. Den Prolog und die Partie des Peter Quint singt John Heuzenroeder. Er intoniert die lockenden Rufe aus dem Jenseits mit tenoraler Leichtigkeit. Schade nur, dass der Hälfte des Publikums sein erster Auftritt als Quint verborgen bleibt. Die zweite männliche Partie bestreitet Juls Serger wie ein Großer und das in seinem Debüt als Miles. Wie die anderen Besetzungen dieser Partie auch, ist er Solist des Knabenchores der Dortmunder Chorakademie und spielt das Waisenkind mit großer Ernsthaftigkeit und hin und wieder charmantem Lachen. Im zentralen Lied Malo berührt er mit entrücktem Blick und reinem Knabensopran, der unschuldigsten Stimme überhaupt. Den Niedlichkeitsbonus kriegt er noch oben drauf. Seine große Schwester Flora wird von der jungen koreanischen Sängerin Ji-Hyun An gesungen, der man erst nach genauem Hinschauen anmerkt, dass sie nur so zart und mädchenhaft wirkt, tatsächlich aber eine ausgebildete, erwachsene Sängerin ist. Eine Idealbesetzung. Mit Helen Donath als Ms Grose wird dem Publikum etwas Besonderes geboten. Es sind mit Sicherheit so einige wegen ihr gekommen, und sie werden nicht enttäuscht. Mit ausdrucksstarker, warmer Stimme und ihrem würdevollen Spiel entzückt sie nicht nur ihre Fans. Ms Jessel wird von der wunderschönen Mezzosopranistin Adriana Bastidas Gamboa gesungen, die mit ebenso schönem Gesang aufwarten kann. Besonders kann Claudia Rohrbach mit ihrer Interpretation der Gouvernante beeindrucken. Sie gibt nicht nur darstellerisch richtig Gas, sondern schafft es auch, die schwierige Partie mit durchgängig hervorragend beherrschtem Sopran vielfältig zu gestalten.

Das Publikum ist nach dem schaurig-traurigen Ende zunächst ganz still, um dann den Sängern und dem Orchester umso lauter zu applaudieren, es werden sogar einige Bravo-Rufe intoniert. Da das Regieteam nicht wie bei einer Premiere anwesend ist, bleibt die Meinung des Publikums über die Inszenierung am heutigen Abend ein Geheimnis.

Alles in allem hat man sich mit der Idee, diese Oper in der Trinitatiskirche zu spielen, übernommen. Die Spielstätte wird der künstlerischen Leistung der Musiker und Sänger nicht gerecht und bietet leider nur Platz, um eine uninspirierte Regie zu enthüllen. Sollte man trotzdem diese relativ unbekannte Oper hören wollen, empfiehlt es sich früh genug zu erscheinen und sich auf die Seite gegenüber des Orchesters zu setzen.

Miriam Rosenbohm





Fotos: Klaus Lefebvre