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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
29. Oktober 2011
(Premiere am 28. November 2009,
Wiederaufnahme
am 16. Oktober 2011)

Oper Köln


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Lungentuberkulose ist ansteckend

Eine Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf – da darf man mit manch schrägem Regieeinfall rechnen. Hat er aus dem Zuschauerraum eine Station für Lungentuberkulose-Patienten gemacht? Unbeeindruckt vom Bühnengeschehen wird zwei Stunden lang gehustet, was das Zeug hält. Zwischendurch wird geschwatzt (vielleicht werden die Ergebnisse der ärztlichen Visite besprochen?), Türen knallen, verspätete Patienten dringen ungeniert zu ihren Plätzen durch. Nein, hier wird nicht auf die Krankheit der Violetta Valéry angespielt. Es handelt sich um ein ungehobeltes, rücksichtsloses Publikum, dem das Opernpersonal jede Undiszipliniertheit durchgehen lässt.

Auch sonst bleibt es recht arm an Regieeinfällen. Die Drehbühne von Dieter Richter wirkt eher wie ein Durchlauferhitzer, ohne dass rechte Hitze aufkommen will. Ständig drängeln Chor, Statisten oder Solisten durch irgendeinen Ausgang: Was möglicherweise als Lebenslust einer morbiden fin-de-siècle-Gesellschaft gelten soll, wirkt gestelzt. Die Kostüme von Renate Schmitzer erschöpfen sich in Ballkleidern und Fräcken, selbst Violetta steckt in paillettenbehafteter, schwarzer Abendrobe. Was vielleicht dem großen Auftritt dienen mag, aber ganz sicher jeder Originalität entbehrt.

Die Wiederaufnahme der Inszenierung, die gerade mal zwei Jahre her ist, wäre nicht der Rede wert, gäbe es da nicht diese Neubesetzung. Olesya Golovneva, in Köln längst ein Star, übernimmt die Rolle der Violetta, um ihr eine neue Dimension zu verleihen. Die Golovneva kannst du noch so unbewegt an die Rampe stellen – sie wird dich immer noch begeistern. Immer dann, wenn sie Gelegenheit bekommt, ihre schauspielerischen Fähigkeiten einzubringen, prickelt es im Raum. Hochkonzentriert tritt sie auf, mit einer Transparenz, die ihr – ohne pathetisch werden zu wollen – etwas Überirdisches verleiht: Die Stimme von Klarheit und Natürlichkeit geprägt, Koloraturen mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit intoniert.

Mit der übrigen Besetzung sieht es nicht ganz so herausragend aus. Zwar beeindruckt Lado Ataneli mit einem lupenreinen Bariton, verharrt aber allzu oft in rampengerechter Pose. Wohl überzeugt Matthias Klink zumeist in der Rolle des Alfredo, wenn er seinen Tenor in leiseren Tonlagen variabel einbringt; der Darsteller allerdings knickt allzu oft unmotiviert ein. Wenn es im Graben laut wird, ist er ohnehin nicht mehr zu hören. Flora wird von Sandra Janke interpretiert. Die lässt es trotz auffälliger Garderobe an Bühnenpräsenz missen; stimmlich enttäuscht sie an diesem Abend mangels Volumen und verspäteter Differenzierung. Dennis Wilgenhof brummt den Bass des Dottore Grenvil lustlos vor sich hin, Andrea Andorian assistiert als Annina rollengerecht, die übrigen Solisten passen sich ins Gefüge ein.

Andrew Ollivant hat den Chor einstudiert, der an diesem Abend eher statisch-präzis und laut funktioniert. Selbst Strapse unter transparenten Tüll-Kostümen oder schwingende Arme erreichen allenfalls Durchschnitt.

Viel mehr als Routine hat auch Markus Poschner mit dem Gürzenich-Orchester nicht zu bieten. Die „Schlager“ werden publikumswirksam verspielt. In den Tutti bleibt den Sängerinnen und Sängern keine Chance. Da geht der eine oder andere schon mal sang- und klanglos unter, was unter anderem auch den verkleinerten Räumen der Drehbühne geschuldet sein mag.

Eine Traviata ist eine Traviata. Und so entscheiden nicht die feinen Unterschiede über den Erfolg einer Aufführung. Das Publikum applaudiert begeistert, differenziert aber dann sehr wohl nach Einzelleistung. Es bedarf des Einzelauftritts von Golovneva, Ataneli und Poschner, um Zuschauerinnen und Zuschauer von den Stühlen zu reißen. Letztlich war es ein schöner Abend, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Michael S. Zerban