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Fakten zur Aufführung 

TRACES
(Les 7 Doigts de la Main)
6. August 2013
(Gastspiel)

BB Promotion in der Kölner Philharmonie


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Zirkus von heute

Erst vor kurzem lief im Radio ein Bericht darüber, dass Tiere im Zirkus ein hartes Dasein fristen. Für die meisten, oft exotischen, Tiere, ist es zum Beispiel eine Qual, im Wanderzirkus arbeiten und sich ständig in neue Umgebungen eingewöhnen zu müssen. Stereotypien und andere Verhaltensauffälligkeiten sind die Folge. Und dennoch scheint das Publikum immer noch nachzuwachsen, das seine traditionellen Vorstellungen von Zirkus in der Manege verwirklicht sehen möchte. Dabei gibt es schon so lange andere, moderne Formen der Zirkus-Unterhaltung, die völlig ohne Tiere auskommen und vor allen Dingen eines sind: Aufregend.

Ein gutes Beispiel ist die 2002 in Montreal, Kanada, gegründete Compagnie Les 7 Doigts de la Main. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt „die Zirkuskunst auf eine menschliche Ebene zu bringen“. Hier steht das Individuum mit all seinen Widersprüchlichkeiten im Mittelpunkt. Dabei wird die große Zirkustradition von Pailletten, Leotards und Tiereinsatz beiseitegeschoben, und es werden neue, junge, modernere Formen der Darstellung gesucht. Auf der Suche nach einer zeitgenössischen Ausdrucksform werden verschiedene Genres auf der Bühne gemischt. Derzeit mitzuerleben in der Philharmonie Köln, wo mit dem Stück Traces das 26. Kölner Sommerfestival seinen Abschluss findet.

Traces, zu Deutsch: Spuren, versteht sich als Performance, die „mit solch einer Kraft zu verstehen gibt, dass es gilt, ein Lebenszeichen zu geben“. Sieben Darsteller, sechs Männer und eine Frau, nutzen verschiedene Ausdrucksformen wie Akrobatik, Gesang, Parcours, Skatboarding und Theaterspiel, um diese Spuren zu hinterlassen. Gypsy Snider und Shana Carroll, zwei Gründungsmitglieder von Les 7 Doigts de la Main, haben in dieser zweiten von derzeit insgesamt acht Produktionen Regie geführt. Sie binden die akrobatischen Höchstleistungen ihrer Performer in kleine Spielszenen ein.

Direkt zu Beginn des Abends wirbeln alle Performer kreuz und quer über die Bühne der Philharmonie und geben Kostproben ihres artistischen Könnens: Radschläge, Salti, Luftsprünge. Bei allem Respekt vor dem Dargebotenen, die Zuschauer lassen sich nur langsam in das Bühnengeschehen hineinziehen. Manon Desmarais steckt die Darsteller in schlichte dunkle Hosen und weiße Shirts. Das Licht von Nol van Genuchten lässt da schon mehr Show-Assoziationen aufkommen. Im zweiten Bild wird ein altes Studio-Mikrofon an einem langen Kabel von der Decke gelassen. Alle Performer ergreifen es der Reihe nach und geben ihren Namen, Größe, Gewicht, Geburtsdatum und einige Eigenschaften zu Protokoll. Auch wenn keiner der Darsteller aus dem deutschsprachigen Raum stammt, sprechen sie alle deutsch. Alle Angaben werden mitgeschrieben und auf einer Leinwand im Hintergrund projiziert. Das Ziel der Regie ist ab hier erreicht: die Zuschauer können sich mit den Performern identifizieren. Alle sieben Artisten sprühen vor Energie. Da ist zu allererst Valérie Beno ît-Charbonneau, die zusammen mit dem nach eigenen Angaben „tolpatschigen“ Hünen Mason Ames ein „Hand-to-Hand“-Akrobatik-Duett präsentiert, das Sogwirkung hat. Später zeigt Beno ît-Charbonneau in einer akrobatisch-clownesken Versuchsanordnung, welche Positionen man einnehmen kann, um in einem alten Ohrensessel ein Buch zu lesen. Mathieu Cloutier begeistert mit seinem Können auf Rollschuhen. LJ Marles fasziniert mit Luft-Artistik und lässt das Publikum bei seinen vielen Sprüngen mitfiebern. Florian Zumkehr balanciert auf verschiedenen Anordnungen von Stühlen und bekommt direkt im Anschluss, mit sehr viel Charme und Ironie, von seinen Kollegen eine Gitarre samt Mikrofon vorgesetzt. Es ist beeindruckend, wie schnell die Darsteller das Fach wechseln können und vom Akrobatik-Künstler zum Sänger werden, Gitarre oder Klavier spielen. Besonders überzeugend präsentiert sich Bradley Henderson als einzige Original-Besetzung von Traces sowohl in den verschiedenen Luft-Sprüngen, am Single Wheel als auch auf dem Skatebord. Die Choreographen holen bei dieser Szene mit viel Witz und Ideenreichtum das Skateboard von den Straßen und Plätzen dieser Welt auf die Bühne. Da dient das Brett als Requisite für Show-Reihen und Kunststücke, aber die Darsteller legen sich auch auf die Skateboards, um wie Superman über die Bühne zu fegen oder wie eine Meerjungfrau durch das Wasser zu gleiten. Bilder, die zwar einfach in ihrer Umsetzung sind, ihre theatrale Wirkung jedoch voll auskosten. Zuletzt sei noch Lukas Boutin genannt, der einen erkrankten Kollegen ersetzt. Auch er kann das Publikum mitreißen.

Die Bühne ist ganz im Dienste der verschiedenen akrobatischen Elemente eingerichtet: Im Mittelpunkt, etwas nach hinten versetzt, sind zwei horizontale Stangen installiert. Im Hintergrund eine Leinwand, auf die verschiedene Kameras die eingefangenen Bilder werfen. Eine Stuhlreihe direkt davor bietet den Performern Platz, wenn sie für einen Moment nicht im Einsatz sind. Auf der rechten Seite befindet sich ein Flügel in rustikaler Holzverkleidung. Verschiedene Requisiten, Elemente wie Ringe oder Matten, werden von den Performern selbst rasch auf der Bühne installiert und wieder abgebaut. Als Rahmen dienen verschiedene Stofffetzen, die eine Höhlenatmosphäre aufkommen lassen.

Das Publikum ist an diesem Abend erwartungshungrig: Kurz nach acht fragen nicht nur die Kleinsten im Publikum, wann es denn endlich losgeht. Mit Beginn der Show sind alle Zuschaueraugen gebannt auf die Bühne gerichtet und jede kleinste Leistung wird mit Applaus goutiert. Die Spannung bleibt den gesamten Abend aufrecht. So gibt es zum Schluss stehende Ovationen für Traces, und es bleibt nur ein Wehrmutstropfen: Die für Zirkusvorstellungen einstmals typischen Zugaben – sie fallen aus.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Sascha Vaughan