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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
17. Mai 2012
(Premiere)

Oper Köln

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Radikale Hoffnungslosigkeit

Es riecht nach Weihrauch, wenn man die neue Spielstätte der Oper Köln am Dom im blauen Zelt betritt. Vor den Augen der Zuschauer liegt schon die Kirche, die Paul Zoller für die gesamte Aufführung entworfen hat. Der kalte, schwarze Marmor kontrastiert mit dem roten Vorhang, der hinten in der Mitte als Aus- und Eingang dient. Rechts vorne neben dem Altar sind die Bänke durch herabstürzende Deckenteile nur noch ein Trümmerhaufen. Und schon läuft die Handlung. Der großartige Tiziano Bracci lässt sich als Messner weder durch das laute Murmeln der Zuschauer vor dem Orchestergraben noch von den einschlagenden Bomben hinter der Szene aus der Ruhe bringen und betet mit der spärlichen Gemeinde. Dennis Wilgenhof humpelt als Angelotti in die Kirche, verrät sich den Zuschauern durch seine hünenhafte Gestalt. Auch seine Schwester kommt später – beobachtet vom leichtfertigen Cavaradossi – dazu und deponiert den Schlüssel in einem Gebetbuch auf der Bank. Plötzlich hört man den Bombeneinschlag ganz nahe, die Bühne wackelt, Staub rieselt herab. Beim zweiten Treffer verlassen alle die Kirche – außer Angelotti. Und nun ist es Zeit für Markus Stenz, die Handlung auch musikalisch in Gang zu bringen. Das Gürzenich-Orchester spielt unter seiner Leitung sehr emotionsgeladen und farbenreich. Herrlich süffig begleiten sie die Liebeleien zwischen Tosca und Cavaradossi, eiskalt und messerscharf musizieren sie die Kälte von Scarpias Regime. Stenz‘ Interpretation ist ein ideales Pendant zur Regiearbeit von Thilo Reinhardt.

Nicht nur der kurze Prolog zeigt, dass sich Reinhardt wirklich Gedanken um die Auslegung des Librettos gemacht hat. Nur einige historische Namen sperren sich gegen die zeitliche Verlegung ins letzte Jahrhundert, besser gelingt das natürlich den Kostümen von Ulli Kremer. Die Atmosphäre des zweiten Weltkriegs spitzt sich zu, als Scarpia die Kirche betritt. Andreas Grüter stellt das Licht ab diesem Augenblick deutlich kühler ein. Dass Reinhardts Interpretation zuweilen sehr überschäumt, sogar etwas von der Musik ablenkt, beweist das Te Deum, zu dem sich die Kirche mit dem schwarz gewandeten Chor, der, von Andrew Ollivant vorbereitet, fulminant singt, in eine schwarze Messe verwandelt: Das große Holzkreuz dreht sich von oben nach unten um, Scarpia steht mit Hostien und Messwein auf dem Altar – im Schein der Fackeln eine diffuse Szene.

Ab dem zweiten Akt zieht Thilo Reinhardt die Zuschauer in einen Strudel aus Sadismus und Gewalt. Die von Scarpia besetzte Kirche wird zur Folterkammer, Cavaradossi wird auf offener Szene misshandelt, ans Kreuz geschlagen. Der Messner und Tosca müssen als hilflose Mitläufer des Systems mit ansehen, wie sich der Faschismus an Individuen austobt. Die Künstlerin bricht zusammen, und Takesha Meshé Kizart spielt das auch mit großer Intensität und kann besonders in der Höhe mit einigen starken Spitzentönen aufwarten. Doch fehlt es ihrer Stimme an durchgängiger Behauptungskraft für die Rolle. Dazu kommt ein sehr stark ausgeprägtes Vibrato, das besonders die tiefen Phrasen fast abgehackt erscheinen lässt. Ihr Vissi d’arte fällt zunächst ohne eine Linie auseinander, erst zum Schluss hin kann sie auch stimmlich ihre Gefühle glaubhaft ausdrücken. Oliver Zwarg ist ihr als Scarpia ein höchst gefährlicher Gegenspieler. Als einziger schafft er es, die schwierige, neue Akustik in der Oper am Dom nahezu mühelos zu überwinden und trotzt dieser Figur leisen, ungehemmten Sadismus und autoritäre Ausbrüche ab.

Die Spannung kulminiert zu Scarpias Ermordung. Tosca versucht vergeblich, Scarpia zu erschießen, der sie verhöhnt und auf den Altar wirft. Als er die Hose runterlässt, um den Beischlaf zu vollziehen, treffen ihn Toscas Worte: „Ed avanti à lui tremava tutta Roma!“ Diese Herabsetzung vom Machthaber zum sittenlosen Vergewaltiger raubt ihm jede Lust, aber er lacht Tosca aus, als diese nicht im Stande ist, sich selber zu erschießen. Als er die Kirche verlassen will, trifft ihn zum letzten großen Forte mit Trommelwirbel des Orchesters Toscas Kugel, und er bricht in dem roten Vorhang zusammen. Der nahtlos anschließende dritte Akt hält diesen spannungsgeladenen Moment, bis Tosca die Kirche verlassen hat, dann betritt wieder die Marchesa Attavanti den Raum, um ihren toten Bruder Angelotti in der Krypta zu bestatten. Dazu singt Rachel Bate das Lied, das sonst in der Oper dem Hirten gehört, mit trauriger Resignation.

Cavaradossis Abschiedsschmerz wird gnadenlos terminiert durch die anwesenden Schergen Scarpias, die ihn, angeführt von Spoletta, dessen sadistischer Ton von Martin Koch sehr gut getroffen wird, demütigen, wo sie nur können. Calin Bratescu hat sich mit der neuen Akustik noch nicht ganz angefreundet, singt den Maler passend zu seiner szenischen Präsenz erst sehr übermütig, dann zunehmend verzweifelter. Seine beachtlichen „Vittoria“-Rufe drücken mehr persönliche Verachtung als politische Gesinnung aus. Leider fehlt es seiner Stimme an jeglichem Schmelz, so dass E lucevan le stelle recht wirkungslos bleibt. Das letzte Duett zwischen ihm und Tosca wird endgültig beherrscht von der radikalen Hoffnungslosigkeit dieser Inszenierung. Nach den Schüssen bleibt Cavaradossi sterbend zuckend auf dem Altar liegen, Spoletta erlöst ihn mit einem Gnadenschuss, Tosca richtet nun die Waffe gegen sich selbst. Im letzten Augenblick, nachdem Tosca in den Armen des Messners tot zu Boden gegangen ist, erlaubt sich Thilo Reinhardt einen kleinen Moment der positiven Schwäche: Ein heller Lichtstrahl fällt von oben auf die beiden Leichen herab, verheißt dem Messner Hoffnung – wenn nicht hier, dann im nächsten Leben.

Die Oper Köln hat insgesamt sehr eindrucksvoll ihr neues Quartier bezogen. Schon jetzt aber fallen die akustischen Besonderheiten des Spielortes auf, die möglicherweise sogar eine technische Verstärkung der Sänger erforderlich machen könnten. Der Premieren-Applaus fällt recht zurückhaltend aus. Ist es die beklemmende Atmosphäre, die das Publikum noch nachhaltig beeinträchtigt? Haben die Sänger zu wenig Stimme gezeigt, um mit dem Bildersturm mitzuhalten? Die bravi halten sich in Grenzen. Mögen muss man diese drastische, blutreiche Tosca sicherlich nicht, aber sehenswert ist sie allemal.

Christoph Broermann





Fotos: Bernd Uhlig