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Fakten zur Aufführung 

TANGUERA
(Mora Godoy)
17. Juli 2013
(Gastspiel)

Kölner Philharmonie


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Musical auf Argentinisch

Der Tango, das ist „der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens“, so sah es zumindest der britische Schriftsteller Georg Bernhard Shaw. Seit Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete sich der Tango von Buenos Aires aus in die ganze Welt. Dabei bezeichnet der Begriff „Tango“ nicht nur den Tanz eines eng umschlungenen Paares, nach Regeln, die einem Außenstehenden schleierhaft sein dürften, sondern ebenso eine Musikrichtung. Im Jahr 2009 wurde der Tango zu den Meisterwerken des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit der UNESCO erhoben. Und diese Art des Gesellschaftstanzes erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. In den unzähligen Tanzschulen, Bars oder Kellerräumen dieser Welt – gerade das Akademiker-Milieu taucht gerne in die Welt des Tango Argentino ein. In seinem Ursprungsland Argentinien ist er dabei längt zur Touristenattraktion verkommen. Scharenweise reisen Tanzbegeisterte nach Buenos Aires, um dort den wahren Tango zu lernen. Da ist es zur Abwechslung sehr nett, wenn mit dem Tango-Musical Tanguera, produziert von Diego Romay, der Tango direkt aus Buenos Aires in unsere Theater kommt.

Unter der Regie von Omar Pacheco und der Choreographie von Mora Godoy wird versucht, aus diesem so klangvoll betitelten immateriellen Erbe der Menschheit eine kommerzielle Musical-Produktion zu machen. Diese tourt seit ihrer Premiere im Jahre 2002 durch die Welt und scheint ihr Publikum gefunden zu haben.

Die Handlung ist schnell erzählt und im Grunde genommen nebensächlich: Giselle, virtuos getanzt von Leticia Fallacara, kommt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Einwanderin aus Frankreich nach Buenos Aires. Am Hafen angekommen verliebt sie sich auf den ersten Blick in den Dockarbeiter Lorenzo, getanzt von Esteban Domenichini. Doch der Gauner Gaudenico, ausdrucksstark Dabel Zanabria, lässt Giselle in seinem Nachtclub anschaffen und duldet die Verbindung nicht. Es kommt, wie es kommen muss: Die junge Liebe findet ein jähes Ende... Im Schlussbild wiederholt sich die Ankunftsszene im Hafen mit einem neuen Mädchen, das ankommt - Giselles Nachfolgerin.

Dazwischen liegt viel Tanz, der geprägt ist von irrsinnig schnellen Beinschwüngen. Spektakuläre Hebefiguren und teils akrobatische Tanzfiguren bieten genau das, was man in einer Musical-Show erwarten kann. Knapp bekleidete Tänzerinnen mit Federboas und Netzstrumpfhosen in eindeutigen Posen fegen die lasziven Andeutungen des ursprünglichen Tango Argentino beiseite. Hervorstechend ist Carla Chimento, die als Madame die Puffmutter mimt und in verschiedenen Duetten ihr Können zur Schau stellt. Die Männer bilden den stereotypen Macho ab, schleifen und schleppen Frauen durch die Gegend und packen ihnen gewaltsam in den Nacken. Cecilia Monti steckt die Herren in weite Hosen im Stil der 1920-er Jahre, Gamaschen, Hut und Schal inklusive.

Gerardo Gardelin zeichnet für die Original-Musik verantwortlich, die musikalische Leitung und die eingängigen Tango-Arrangements lagen in der Hand von Lisandro Adrover. Die Musik kommt vom Band. Eladia Bazques verfasste die Liedtexte, welche die in die Jahre gekommene Sängerin Marianella mit ihrer rauchigen Stimme souverän vorträgt. Die Bühne von Valeria Ambrosio ist vollgestellt mit Requisiten, Vorhängen, Treppen, Tischen und Stühlen. Wechselnde Vorhänge zeigen Häuserfassaden, das Hafengebiet und rote Volants schmücken den Nachtclub. Die wiederholt aufblitzenden Pappmesser der Ganoven haben allerdings das Niveau eines Schultheaters, da laufen Kinder zu Halloween mit authentischeren Attrappen umher. Der übrig gebliebene Raum für den Tanz wirkt beengt. Professionell eingeleuchtet, wenn auch in manchen Bildern etwas unterkühlt, von Lichtdesigner Ariel Del Mastro.

Die Authentizität des Tangos ist an diesem Abend Nebensache. Das stört das Publikum nicht. Es gibt stehende Ovationen, und die Tänzer lassen sich nicht lange um Zugabe bitten. In diesem letzten Teil des Abends können die Tänzer ihrer Freude freien Lauf lassen und tanzen wilde, schnelle Gruppen- und Paarchoreographien. Noch immer in ihren Rollen verhaftet, ermutigen sie das Publikum, sie anzufeuern und mitzuklatschen. Ohne die erzwungene Handlung macht es richtig Spaß, den engagierten Tänzern zuzusehen. Es dauert eine ganze Weile, bis die Menschen aus der voll besetzten Philharmonie in die warme Sommernacht entströmen.

Jasmina Schebesta