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Fakten zur Aufführung 

SAMSON ET DELILA
(Camille Saint-Saёns)
16. März 2014
(Premiere am 2. Mai 2009)

Oper Köln, Oper am Dom

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Verzicht auf Symbolik

Die Vorberichterstattung zur Premiere 2009 ließ den gespannten Zuschauer eine Skandalinszenierung vermuten – die Wellen der Empörung blieben aber flach, im Gegenteil, die Inszenierung gefiel trotz all ihrer Drastik. Krieg lässt sich nicht verschönern, Krieg ist und bleibt schrecklich und diese Schrecken hat Regisseur Tilman Knabe versucht, auf der Bühne anschaulich zu machen. Zur heutigen Wiederaufnahme gibt es keinen großen Rummel – lediglich ein gut besuchtes Haus.

Die fünf Jahre alte Inszenierung wirkt anfangs, als wäre die Luft langsam aber sicher über die Jahre entwichen – und das trotz neuer Protagonisten. Zwar sind Bilder und Ideen gleichsam stark und entfalten ihre Wirkung, aber die Aktionen auf der Bühne wirken zunächst etwas halbherzig. Karsten Barthold zeichnet für die szenische Einstudierung verantwortlich – vielleicht hätte Knabe selber noch mal vorbei schauen sollen, denn das Wideraufnahmefieber scheint zu grassieren. Die Aktualisierung, die der in Gaza spielende biblische Stoff erfährt, passt noch immer, ist erschreckenderweise zeitlos und zeigt, dass Krieg vor allem immer die Zivilisten trifft. Philister gegen Hebräer, oder sollte man sagen, Palästinenser gegen Israelis, beide Seiten unterdrücken und töten sich gegenseitig. Und nicht nur im Bühnenkrieg gibt es zwei Seiten, sondern auch in der szenischen Umsetzung. Das Unmittelbare der gezeigten Schrecken funktioniert, wenn die darstellerische Umsetzung es erlaubt. Denn Aktionen, wie Schläge auf der Bühne kann man oft auch von weiter weg als gestellt entlarven, da klappt die Theaterfiktion nicht astrein. Vor allem im ersten Akt springt der Funke noch nicht über, während die folgenden zwei Akte dann auch darstellerisch an Fahrt gewinnen, was bei so vielen Akteuren auf der Bühne ein enormes Zusammenspiel erfordert. Da hat Peter Pruchniewitz dann doch gute Arbeit als Bewegungstrainer geleistet. Vielleicht etwas über das Ziel hinaus geschossen ist die Deutung zum Ende des zweiten Aktes, in der Dalila Samson mit Liebesschwüren das Geheimnis um seine übermenschlichen Kräfte entlockt, das in seinen langen Haaren verborgen liegt, die niemals geschoren werden dürfen. Zudem wird er nach Libretto geblendet, was einer zweiten Potenzberaubung gleichkommt, stehen in der Psychoanalyse die Augen nicht umsonst für das männliche Glied. In dieser Inszenierung bleibt es aber nicht bei der doppelten symbolischen Kastration: Dalila hält triumphierend den Penis Samsons in die Höhe, die doppelte symbolische Kastration wird um eine dritte, echte gesteigert. Pikiert verlassen zwei Damen den Saal. Der dritte Akt wird zu einer Kulmination der vorigen Ereignisse: Die Sieger, hier die Philister, feiern in der Trümmerlandschaft in Abendgarderobe, spritzen mit Champagner die verzweifelten Hebräer an, die zusammengetrieben, vergewaltigt – großer Respekt für Chor und Statisterie – und erschossen werden. Der verhöhnte und verletzte Samson wird, unbemerkt von den Feiernden, von einem überlebenden Verbündeten, dem alten, hier aber jungen Hebräer, für das große Finale – den Tempelzusammensturz – präpariert. Unter Anrufung Jehovas, ihm noch einmal seine alten Kräfte zu geben, reißt Samson seine Jacke auf und zeigt einen Sprengstoffgürtel. Der Vorhang fällt, es ist für einen Moment totenstill.

Das Bühnenbild von Beatrix von Pilgrim passt gut auf die ausladende Bühne des Musical-Doms. Hinten von Stahlträgern gerahmt, zeigt es einen Kriegsschauplatz in all seiner glaubhaften Hässlichkeit. Es bildet zusammen mit den überzeugenden Kostümen von Kathi Maurer ein wirksames, auch kontrastierendes Zusammenspiel, zum Beispiel die Abendgarderobe inmitten der Trümmer. Das Haus Dalilas ist ein Guckkasten-Zimmer mit türkisfarbenen Wänden, das von einem weiß bezogenen Bett dominiert wird, auf, vor, hinter und neben dem sich die Dalila in schwarzer Unterwäsche als erotische Rachegöttin präsentieren kann. Durch die von Rollläden verdeckten Fenster lockt Dalila Samson in ihr Spinnennetz aus verschlagener Erotik.

Für den erkrankten Claude Schnitzler springt Antonino Fogliani ein. Er dirigiert mit deutlichem Schlag und großer, sichtbarer Geste und wendet sich auffallend der Bühne zu. Sein sängerorientiertes Dirigat ist verlässlich, und auch das Gürzenich-Orchester scheint sich mit dem Gast zu verstehen. Die eigentlich als Oratorium geplante Oper lebt von der eindrücklichen Stimmung der Musik mit ausgedehntem, instrumentalem Teil, hier zeigt das Orchester mal wieder eine enorme Bandbreite. Man wird von der schwermütig-seufzenden Trauer in den Streichern bis in die den Dalila-Teilen flimmernden Bläser abgeholt. Der Chor der Oper Köln, verstärkt durch den Extra-Chor, kann in dieser Oper sowohl den fordernden darstellerischen Teil mit Bravour erledigen, als besonders die beeindruckenden Chöre dieser Oper mit so viel Gefühl intonieren, dass die Leiden des Volkes eine Gänsehaut hervorrufen. Andrew Ollivant erfüllt mit seiner Leitung wieder alle Erwartungen.

Lance Ryan und seine Stimme passen zur Figur des Samson, der kein Mensch der leisen Töne sein soll, sondern ein eher aufbrausender, gewalttätiger Held. Ryan zeigt ein schönes Grundtimbre und stimmliche Durchschlagskraft, aber nicht wirklich viel Feingefühl. Sowohl in der Aussprache als auch in der Ausführung bleibt er vor allem zu Beginn recht grobschlächtig. Diesen Eindruck aus dem ersten Akt kann er im Laufe des Abends etwas relativieren, denn er verwächst immer mehr mit dem tragischen Schicksal Samsons und zeigt das auch in den gefühlvolleren Passagen. Man weiß schon, warum Ryan besetzt ist: er ist verlässlich in der Höhe und ohne Kraftverlust gleichbleibend laut. Der Oberpriester wird von Samuel Youn darstellerisch souverän und mit kultiviertem stimmlichen Ausdruck gegeben. Mezzosopranistin Vesselina Kasarova singt eine verführerische Dalila, lässt aber der rächenden Seite den Vorrang, wenn sie im Stimmansatz etwas zu guttural klingt. Damit erstellt sie ein stimmliches Profil, das letztendlich überzeugt. Vor allem ihre dramatischen Ausbrüche gefallen, und die beliebte Arie Mon coeur s’ouvre à ta voix veranlasst einige Zuschauer zu summender Zustimmung. Darstellerisch bleibt sie ebenso wie Samson etwas hölzern, aber welche Sängerin möchte schon gerne in Dessous auf der Bühne stehen – auch wenn sie eine mehr als gute Figur darin macht. Die Partie des alten Hebräers ist hier umfunktioniert in einen militärischen Gefährten und Vertrauten Samsons. Young Doo Park kann ihn mit einem profunden Bass und natürlicher Bewegung ausstatten. Roman Ialcic als Abimélech stirbt leider zu früh, sein Bass hinterlässt einen guten Eindruck. Die drei kleinen Partien der Krieger sind passend mit Alexander Fedin, Lucas Vanzelli und Lucas Singer besetzt, die letzten beiden aus dem Internationalen Opernstudio der Oper Köln.

Vielleicht liegt es am Vollmond, der zu viele Menschen schlaflos gemacht hat, aber das Publikum reagiert seltsam. Erst wird in die aushauchenden Klänge des Orchesters hineinapplaudiert, was vom Rest des Publikums mit strafendem Gemurmel begleitet wird, und am Ende wird so kurz applaudiert wie fast nie zuvor. Zwar werden die Sänger und Orchester mit nicht wenigen Bravos bejubelt, aber nach einer etwas chaotischen Applausordnung ebbt der Applaus so schnell wieder ab, wie er begonnen hat. Vielleicht ist auch die drückende Blase der Grund für das eilige Verlassen des Saals, das zweistündige Werk wird ohne Pause gegeben. Das Ensemble wird in den folgenden Vorstellungen sicherlich noch mehr zusammenwachsen und noch mehr zu dem musikalisch beeindruckenden und szenisch spannenden Werk beitragen, das auch heute schon ein wohlwollenderes Publikum verdient hat.

Miriam Rosenbohm

 





Fotos: Klaus Lefebvre