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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
29. März 2013
(Premiere)

Oper Köln, Oper am Dom

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Spectaculum exsolutionis

Es ist Karfreitag. Ohnehin im christlichen Sinne kein sehr erfreulicher Tag. Ein eiskalter Wind treibt in Köln Schneeflocken über den Rhein. Am Nachmittag strömen die Besucher in das Ausweichquartier der Kölner Oper unterhalb des Hauptbahnhofs, das die Kölner „Mülltüte“ nennen. Allerdings nicht wegen der Akustik, die auf einen kommerziellen Musicalbetrieb ausgelegt ist, sondern wegen der blauen Plane, die das Gebäude als Dach überzieht. Hier also hat Carlus Padrissa Wagners Parsifal inszeniert. Der spanische Regisseur ist bekannt dafür, „szenische und musikalische Wege abseits des Traditionellen zu erforschen“. Da sollte ein kleines Feuerwerk auf der Bühne schon drin sein.

Es wird ein kleines Feuerwerk, allerdings abseits jeder Pyrotechnik. Gleich vom ersten Moment an gibt es Video zu sehen. Während sich die Musiker warmspielen, dürfen die Besucher in der Videoprojektion Autorennen – mit wohl tödlichem Ausgang – erleben. Der Zusammenhang wird nicht klar, aber gepaart mit der Erwartungshaltung der Zuschauer verfehlt der Einstieg die Dramatik nicht. Roland Olbeter kümmert sich um die Gestaltung der Bühne. Für ihn stehen zwei technische Entwicklungen im Vordergrund. Einerseits sind es die vier fahrbaren Gerüste, eine Sonderkonstruktion für die Produktion, die zusammengestellt eine Viertelkugel ergeben, aber permanent zu neuen Konstellationen herum geschoben werden, bis man es im zweiten Aufzug allmählich leid wird. Zum dritten Aufzug fällt dem Bühnenbildner dann auch keine überraschende Wendung mehr ein. Zum anderen gibt es vertikale, baumartige Apparate, die „ihre Beweglichkeit aus 30 so genannten ‚pneumatischen Muskeln‘ erhalten, ein High-Tech-Produkt moderner Ingenieurskunst“. Hinzu kommen permanente Videoeinspielungen. Dazu ist notwendig, dass ein dunkler Gaze-Vorhang vor die Bühne gezogen wird. So sind zwar aufwändige Videoeffekte möglich, für den Zuschauer ist allerdings ein „Schleier“ vor das Geschehen auf der Bühne gezogen. Das ist zwischenzeitlich mal ganz nett und im Übrigen derzeit „trendy“, auf Dauer aber für das Auge ermüdend und selten lohnend. Der Einsatz der Videos von Román Torre, Pelayo Mendéz und Fritz Gnad ist überflüssig. Die Abwesenheit dieser Videos hätte an diesem Abend allenfalls zur Klarheit beigetragen. Stattdessen muss sich das Publikum neben den Übertiteln und dem Geschehen auf der Bühne auch noch permanent mit flackernden Bildern, irisierenden Netzen, wabernden Schriftzügen, randomisierten Figuren, angedeuteten Nacktbildern und Worteinsprengseln auseinandersetzen.

Wenn ein solcher technischer Aufwand betrieben wird, muss woanders gespart werden. Chu Uroz hat Fantasiekostüme entwickelt. Ohne allzu viel Fantasie zu investieren. Papierne Ganzkörperkondome und Mundschutze sind nun wirklich nicht das, was einen als Besucher aus den bequemen Sitzen schleudert. Variationen mit Plastiküberzügen machen es auch nicht wirklich besser. Konsequent immerhin die Reduktion zum Ende hin, wenn eine Kundry nackt in das Gralsbassin steigt. Die Szene übrigens ist wunderschön gemacht.

Dabei hat Padrissa das alles eigentlich gar nicht nötig. Er kann mit grandiosem Personal, einer bis ins Detail überzeugenden Personenführung und zahlreichen eingängigen Einfällen punkten. Andreas Grüter setzt das Ganze in ein überzeugendes Licht.

Der Regisseur macht es dem Publikum leicht, die Handlung zu verfolgen. Hauptdarsteller tragen die Handlung, Nebendarsteller treten in die zweite Linie. Punkt. Genial ist, wie er die schwierige Akustik im Chor auflöst. Der wird kurzerhand in den Saal platziert. Die Chorszenen gehören mit zu den stärksten Eindrücken dieses Abends. Besonders beeindruckend ist allerdings das „gemeinsame Abendmahl“, bei dem bildlich das über den Abend gebackene Brot von Gurnemanz an das Publikum gereicht wird. Wer bei der Karfreitagsszene nicht in den weiterzureichenden Brotkorb gegriffen und das – zugegebenermaßen durchschnittliche – Graubrot genossen hat, hat einen wichtigen Teil des Abends und seiner Emotionalität verpasst. So wie die Sängerdarsteller.

Aber die brauchen kein Brot, sondern Wasser. Nach einer solchen Leistung müssen die Künstler vermutlich eine Menge Wasser trinken, um die Reserven wieder aufzufüllen. Angefangen mit Gurnemanz, der von Matti Salminen gnadenlos gut verkörpert wird und den Chronisten darstellt. Salminen neigt zwar etwas zur Rampe, begeistert aber mit einem wundervollen Bass. Die Übertitel ad absurdum führend, erzählt er seine Geschichte mit einer Souveränität, die wir sonst nur von dem Großvater kennen, der seinen Enkeln eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Besser geht es nicht. Besser geht es wohl auch kaum bei Parsifal, den Marco Jentzsch brillant darstellt und singt. Kein Augenblick, in dem er unnatürlich klingt. Dafür gibt es viele Momente, in denen er gekonnt eigene Akzente setzt. Amfortas und Klingsor bringen eine gleichermaßen gute Leistung, was daran liegen mag, dass Boaz Daniel beide Rollen verkörpert. Tadellos, auch wenn die Wirkung hinter Jentzsch und Salminen zurückbleiben muss. Young Doo Park gibt sein Rollendebüt als Titurel und gefällt. Dalia Schaechter nutzt die mittlerweile schon legendäre Chance der Einspringerin. Sie vertritt die erkrankte Silvia Hablowetz. Immer überzeugt sie mit darstellerischer Leistung, meist gefällt sie in der Stimme. Hin und wieder wirken die Höhen etwas spitz und angestrengt. Allerdings ist das bei der Gesamtleistung zu vernachlässigen. Auf welchem Niveau sich dieser Abend abspielt, wird spätestens dann deutlich, wenn man unter den Blumenmädchen Claudia Rohrbach und Adriana Bastidas Gamboa in einer der stärksten Szenen des Abends entdeckt. Viel mehr geht dann wirklich nicht.

Oder doch. Andrew Ollivant hat den Chor und Extra-Chor der Oper Köln wieder einmal in exzellenter Weise einstudiert. Das Publikum bekommt den Chor hautnah präsentiert und kann die Leistung vieler Chormitglieder zum Greifen nah erleben. Das ist einer der genannten überzeugenden Einfälle Padrissas. Anstatt vor der Akustik der Spielstätte zu kapitulieren – wie es andere Regisseure getan haben – führt er den Chor in den Saal und schafft so einen atemberaubenden Klang.

Markus Stenz, der mit zumeist bewusst großer Geste dirigiert, um allen gerecht zu werden, steigt harmlos ein. Im Auftakt klingt das Gürzenich-Orchester stumpf und matt. Im ersten Aufzug gibt es durchaus verbesserungswürdige Stellen. Dann greift Stenz durch und bringt das Orchester über das Niveau von Filmmusik hinaus. Manchmal auch überschießend. Aber das ist allemal besser als der Einstieg.

Für die „Multimedia-Show“ bekommen Padrissa und sein Team die Quittung. Die Buh-Rufe eines inzwischen immer egalitärer applaudierenden Publikums sind unüberhörbar. Aber auch die Bravos für selten gute Einfälle bleiben nicht aus. Gefeiert werden Marco Jentzsch, Matti Salminen und Dalia Schaechter – in eben dieser Reihenfolge. Zu Recht. Auf dem Weg ins Parkhaus bleibt dieses Gefühl der Gemeinsamkeit genossenen Brotes. Die Kirchen schließen die gemeinsame Kommunion aus, in der Oper findet sie statt. Ein gutes Zeichen. Danke, Carlus Padrissa.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Karl Forster