Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

CANTO PER ORFEO
(Compagnia Aterballetto)
1. März 2013
(Gastspiel)

Oper Köln, Oper am Dom


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Die Hände in den Himmel

Aterballetto ist nach eigenen Angaben „zur Zeit das profilierteste Tanzensemble Italiens“. Was wenige wissen: Die Italiener sind eigentlich ein tanzbegeistertes Volk – auch in Krisenzeiten. Bei Meisterschaften im Standard- und lateinamerikanischen Tanz fahren sie regelmäßig erste Plätze ein, und wer im Sommer beispielsweise durch das Piemont reist, wird in jedem zweiten Städtchen Plakate finden, die auf Tanzvergnügen jeglicher Art hinweisen, darunter auch zahlreiche Ballett-Veranstaltungen, die open air stattfinden. Bei Aterballetto handelt es sich selbstverständlich nicht um einen dörflichen Ballett-Verein, sondern um eine höchst professionelle Compagnie, die 1979 in Reggio Emilia gegründet wurde, bis heute von Cristina Bozzolini künstlerisch geleitet und mit eigenem Sitz in einem restaurierten Industriedenkmal der Stadt beheimatet.

Der Titel der in Köln gezeigten Aufführung – Canto per Orfeo, also: Gesang für Orpheus – lässt unwillkürlich an die Geschichte von Orpheus und Eurydike denken. Die bessere Übersetzung wäre: Improvisationen über die Geschichte von Orpheus und Eurydike. Denn eine Handlung lässt sich in der Choreografie von Mauro Bigonzetti allenfalls rudimentär erkennen. Was ja durchaus sehenswert wäre, wenn es denn zu sehen wäre. Auf einer an sich leeren Bühne mit einer Projektionsfläche im Hintergrund, 25 Tonnen und 2 Stühlen schafft Carlo Cerri, der sowohl für Bühnenbild als auch für das Licht verantwortlich zeichnet, mit seinen Effekten einige durchaus interessante Installationen, etwa, wenn sich lodernde Flammen auf und in den Tonnen spiegeln. Viel häufiger aber bleibt die Bühne im Halbdunkel. Das Problem: Viele der Figuren, die Bigonzetti in seiner Choreografie entwickelt hat, leben von der Faszination der Körperspannung. Die allerdings ist im Schattendasein kaum zu erkennen. So bleiben, gerade in der ersten Hälfte der Aufführung, vor allem Ensemble-Szenen gut sichtbar, bei denen unablässig die Hände in den Himmel gestreckt werden. In den Schrittfolgen werden, passend zum Rhythmus der Musik, immer wieder griechisch-folkloristische Anklänge gefunden, die auf Dauer etwas ermüdend sind. Ein weitgehend unverständlicher Gesang ohne Übertitel lässt den Verdacht entstehen, dass den Besucherinnen und Besuchern ein gut Teil der Dramatik entgeht, weil sie den Text nicht verstehen. Auch das Programmheft bietet hier keine Auflösung. Bei den Kostümen haben sich Kristopher Miller und Lois Swandale auf „das Wesentliche reduziert“. Tänzerinnen und Tänzer tragen weiße Bekleidung, eine Art BH-Hemden zur Turnhose, nach der Pause wechselt die Farbe für die Solisten ins schwarz; Orfeo verzichtet auf die Bedeckung seines Oberkörpers. Für die Musikerinnen und den Musiker gibt es so etwas wie eine Folklore-Bekleidung, die vor allem dazu dient, sie vom Ensemble abzugrenzen.

Das Ensemble bemüht sich häufig um Synchronizität, was zum Ende hin immer besser gelingt. Wenn nicht gerade die Hände wieder zum Himmel gestreckt werden, gelingen immer wieder akrobatische Einlagen, die unerwartet enden. So auch bei den Solisten. Saul Daniele Ardillo stellt den Orfeo dar. Irritierend sind die zahlreichen Standunsicherheiten. Auch im Ausdruck bleibt Ardillo hinter den Erwartungen zurück. Bei aller Akrobatik: Der Funke springt nicht über. Anders als bei Noemi Arcangeli, die in der Rolle der Eurydike zeigt, dass sie nicht ans Limit gehen muss. Ihr gelingt es sogar, Erotik auf die Bühne zu bringen, die haften bleibt. Trotzdem: Zu oft fehlt im Zusammenspiel die Eleganz der Abrundung, das weiche Ende bleibt aus. Geschmeidigkeit muss zu oft ruckhaften Bewegungen unterliegen. Selbst wenn das von Bigonzetti gewollt ist: Es funktioniert nicht. Peinlich wird es, wenn Orfeo Eurydike „in die Tonne kloppt“. Das ist nicht zu Ende gedacht.

Eindrucksvoll bleibt die Musik von Antongiulio Galeandro am Akkordeon, der auch dafür verantwortlich ist, dass Kurzwellensignale aus dem Radio zu Videoprojektionen auf die Rückwand der Bühne erklingen, Cristina Vetrone mit Gesang und an italienischen Rahmentrommeln sowie der diatonischen Harmonika, aber auch Lorella Monti mit ihrem Gesang und der Arbeit am Tambourin. Das ist aus einem Guss, die ideale Begleitung und wertet die Aufführung deutlich auf. Seit zwei Jahren erst arbeiten die Musikerinnen und der Musiker mit der Compagnie zusammen, aber es klingt, als sei es nie anders gewesen.

Nach zahlreichen Veranstaltungen weiß man, dass das Kölner Publikum besonders begeisterungsfähig ist. Und so verwundert es dann nicht mehr so sehr, dass Bravo-Rufe durch den Raum sirren, stehende Ovationen für das gesamte Ensemble ertönen und das gerne langanhaltend. Insgesamt ein schönes Gastspiel, aus dem man Noemi Arcangeli als Erinnerung mitnehmen und ansonsten hoffen wird, dass die Compagnia Aterballetto nicht allzu sehr gehypt wird.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Juri Junkov