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Fakten zur Aufführung 

OH IT'S LIKE HOME
(Sasha Rau)
19. Januar 2013
(Uraufführung)

Schauspiel Köln, Halle Kalk


Points of Honor                      

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Gesang

Regie

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Die Sehnsucht des Scheiterns

Christoph Marthaler ist ein „schwieriger“ Regisseur. Viele halten ihn und seine Arbeit für großartig, einzigartig, andere halten seine Stücke nicht aus und verschwinden vorzeitig aus der Aufführung. Die Zürcher holten ihn als Intendanten an ihr Schauspielhaus, weil er sie so beeindruckte. Bis die Politiker erkennen mussten, dass sie einen Künstler zum Intendanten gemacht hatten und keinen Verwaltungsdirektor. Dann wollten sie ihn schnell wieder loswerden. Seitdem hat sich das Thema Intendanz für Marthaler erledigt. Er lebt mit seiner Familie in Basel und Paris, aber eigentlich reist er quer durch Europa, weil er zu den wohl meistgefragtesten Regisseuren der Gegenwart gehört. Seit mindestens zwei Jahren spricht er davon, dass er endlich einen festen Wohnsitz finden wolle, weil seine Zwillinge ja demnächst in die Schule kämen. Und ist wieder auf und davon. Meist begleitet von seiner Frau Sasha Rau, wenn sie nicht gerade neue Theaterstücke schreibt.

So wie Oh, it’s like home, das Marthaler jetzt in Köln inszeniert hat. Natürlich bleibt er seinen Themen treu: Die Entschleunigung im Musiktheater, die viel mit Heimat zu tun hat. So möchte man es auf den Punkt bringen, und so fühlt man sich gleich zu Hause, wenn man die Bühne von Duri Bischoff sieht. Das kennt man doch alles: Dieses Kinderheim im Stil der 1970-er/80-erJahre, mit den Terracotta-Fliesen und der Holzverkleidung. Im Hintergrund die Schrankwand, links die Essensausgabe, dazwischen die Treppe aus den 1950-er/60-er Jahren. Halbrechts eine weitere Schrankwand, die sich als beweglich erweisen wird und hinter der sich ein weiterer Raum mit Piano, Doppelbett und Waschbecken verbirgt, rechts im Vordergrund ein Kamin. In wie vielen Landschulheimen, Jugendherbergen, hoffentlich nicht Kinderheimen, waren wir, die exakt so ausgestattet waren – zumindest in unserer Erinnerung? Oh, it’s like home – das ist so eine Freundlichkeit wie unser Schmeckt ja wie bei Muttern. Es wird niemals irgendwo wie bei Muttern schmecken, genauso wenig wie irgendetwas wie Zuhause ist. Zuhause gibt es nur einmal, nämlich daheim. Aber die Erinnerung ist da, wird in uns entfacht: Das kennen wir, und wir fanden es damals so scheußlich, wie es uns heute präsentiert wird. Unbehagen macht sich breit.

Und dieses Unbehagen wird nun kontinuierlich gefördert. Egon Richter, der mit seltsam unbeholfener Geste seine Brille zurecht rückt, indem er mit dem Mittelfinger auf die Mitte der Brille drückt, um die gefühlt tonnenschweren Gläser wieder ins Gleichgewicht zu bringen, noch schnell mal an seinem Pullover zieht, um dann von seinen Erlebnissen im Kinderheim zu berichten; just in dem Kinderheim, das jetzt auf der Bühne so frappierend wiederersteht. Josef Ostendorf bringt den Egon Richter lebensecht und mit einer Mischung aus Tolpatschigkeit und Nachdenklichkeit auf die Bühne; niemand würde ihm abnehmen, dass der fette Klops getürkt ist, seine Unbeholfenheit nicht auch für das wirkliche Leben gilt. Mit behutsamen Schritten und retardierten Bewegungen erobert er die Bühne. Göttlich, wenn er im Schrank sitzt, neben ihm ein Kinderkleidchen hängt. Der subtile Humor, der ungehört verhallt, weil ihm gleich der nächste Schrecken innewohnen könnte, gehört zum ungewohnten Inventar der Inszenierung. Auch Sasha Rau lässt sich bereitwillig in die Kostüme aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Sarah Schittek stecken. Mit Pony und schulterlangen Haaren riecht sie an den Wänden entlang, bringt schizophrene Züge zum Ausdruck und verlangt permanent nach einer Schweigeminute. Bettina Stucky ist die gekrönte, inzwischen verstoßene Heimleiterin Hanna Lendi, wenn sie sich permanent unter dem Sinnbild der Krone aufhält, einer Lampe aus den 1970-er Jahren mit Ausfällen. Zwischendurch begibt sie sich in den Kamin, um zu lesen. Silvia Fenz spielt Ilse Schafleitner, die ihrem Schlachthaus nachtrauert, spielt aber auch die Küchenmamsell, die es in jedem Jugendheim gibt, überzeugt in ihrer Grobschlächtigkeit, ohne den Feinsinn der Inszenierung zu treffen. Gleichermaßen überzeugend als Pianist wie als Hausmeister agiert Bendix Dethleffsen.

Sprachfetzen, Erzählansätze werden monoton dargeboten, ohne dass Kommunikation entsteht. Einzelne Versuche, „zum Verhör“ zu rufen, scheitern ebenso wie die Sehnsucht der Menschen nach Sinnhaftigkeit. Eine surreale Zeitlupensituation, in der in jeder Minute eine Spannung spürbar ist, die sich nicht auflösen lässt. Da helfen auch die zahlreichen, kleinen Regieeinfälle nicht, wenn etwa die Damen versuchen, Egon Richter in den Mantel zu helfen. Selbstverständlich scheitert auch das, letztlich steht Lendi im übergroßen Mantel ziemlich einsam auf der Bühne.

Die Musik – Dethleffsen spielt Fetzen von Bruch, Bruckner, Cage, Chopin, Wagner und vielen anderen – gerät immer wieder gewollt aus den Fugen und unterstreicht damit die Stimmung auf der Bühne in beängstigender Weise.

Die Inszenierung entschlüsselt sich dem Betrachter nicht – das Programmheft hilft auch nicht. So bleiben viele Anspielungen in Texten und Musiken unverständlich für das Publikum. Ob das Fehlen jeglicher nützlicher Erläuterung Kunst oder schlicht Unhöflichkeit gegenüber dem Publikum ist, mag dahingestellt sein. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer bleiben ratlos, ja, hilflos nach der Aufführung zurück. Dementsprechend dünn und zögerlich fällt der Applaus aus. „Marthaler überfordert schlicht meine Intelligenz“, ironisiert ein Besucher. Trotzdem: Das Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben, bleibt. Dazu mag sicher auch die Marthalersche Perfektion der Inszenierung beitragen.

Michael S. Zerban

Fotos: Hermann und Clärchen Baus