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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
12. Oktober 2012
(Premiere)

Oper Köln, Palladium


Points of Honor                      

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Brettspiele

Um die Hochzeit des Figaro, jenes hochpolitische Stück vom Machtverlust der Adelsgesellschaft, mit der scheinbaren Leichtigkeit und dem gleichzeitigen Biss zu inszenieren, braucht es viel Erfahrung und einen Haufen gutes Personal. Uwe Eric Laufenberg, ein Mann mit handwerklichen Fähigkeiten und einer gesunden Portion Lebenserfahrung, wollte ursprünglich dieses Stück auf die Bühne bringen, ehe die Kölner Kulturpolitik ihn schasste und Birgit Meyer zur Intendantin berief. Die entschied kurzerhand, eine der vielleicht schwierigsten Aufgaben der Operninszenierung dem jungen, talentierten und bereits für eine vergleichsweise kleine Aufgabe preisgekrönten Benjamin Schad zu übertragen. Binnen kürzester Zeit soll der begabte Jungregisseur, der bei Laufenberg als Regieassistent gearbeitet hat, das Stück im Ausweichquartier Palladium, also unter suboptimalen Bedingungen, auf die Bühne bringen.

Schad erkennt in dem Stück, völlig zu Recht, dass es von gesellschaftlichem Umbruch erzählt, das „Recht der ersten Nacht“ für überholte Privilegien eines Adelsstandes steht, das gesellschaftliche Modell von einzelnen, die für das Wohl der Gesamtheit sorgen – und zuvörderst für ihr eigenes – keine Aussicht auf Zukunft mehr hat. Parallelen zur Gegenwart sieht der Regisseur explizit nicht. „Diese Gesellschaftsform kennen wir heute so in Mitteleuropa nicht mehr“, erklärt Schad seinen Ansatz, die Oper in die Zeitlosigkeit zu überführen. In dieser Zeitlosigkeit liegt auch die Gefahr der Beliebigkeit. Und genau die bekommen die Besucher des Palladiums zu sehen. Immer wieder blitzen Ideen auf, die nicht zu Ende gedacht sind. Auf der Bühne von Tobias Flemming sind im ersten Akt ein überdimensionales Schaukelpferd und eine Wand zu sehen, auf der mit Kreide ein Mann und eine Frau sowie eine Burg mit weißer Kreide gemalt sind. Dem Mann wird zudem ein lilafarbener, übergroßer Penis zugedacht. Daran ziehen nun die Protagonisten vorbei, geben sich von peinlich berührt bis bizarr erfreut von dessen Anblick. Eine Symbolik, so schal wie ein Glas Sekt nach acht Tagen. Erst recht, als Figaro an dem Bild herumwischt und den Penis verkleinert, was auf der verschmierten Kreide nur noch andeutungsweise zu erkennen ist. Als die Wand nach oben gezogen wird, offenbart sich allmählich die Idee, die Demontage der Gesellschaft auch im Bühnenbild nachzuvollziehen. Ein dahinter liegender Guckkasten, bestehend aus Pressspanplatten auf Stahlgerüsten, wird im Verlauf der Handlung mehr und mehr auseinander genommen. Was bedeutet, dass die Akteure Platten herumtragen, während des Gesangs fallen lassen müssen; schließlich muss Cherubino gar, anstatt aus dem Fenster zu springen, eine dieser Platten eintreten. Die Gräfin und Susanna haben die Aufgabe, die auf dem Boden liegenden Platten für ein Himmel-und-Hölle-Spiel zu benutzen. Leider liegen die Platten falsch, so dass die vielleicht nette Idee in Ratlosigkeit der Damen umschlägt. Das Bemühen, ständig starke Bilder zu produzieren, gipfelt in Nebelschwaden, die ohne erkennbaren Zusammenhang die Luft im Palladium verschlechtern. Im vierten Akt wird es gar kryptisch, wenn grobschlächtige Puppen von der Decke herabgelassen werden, die der Graf nicht mehr tanzen lassen kann. Stattdessen tänzeln Statisten in überzogenen Fantasie-Barockkostümen von Stephan F. Rinke im Hintergrund, um nicht vergessen zu lassen, dass da irgendwo ein Ball stattfindet. Das niedrigste Niveau der gewollten Symbolik allerdings wird erreicht, wenn auf einer Platte das gezeichnete Hinterteil eines Hengstes mit seinem hängenden Gemächt gezeigt wird. So reihen sich die Gimmicks, ohne zur Idee beizutragen. Wenn hier und da mal Anklänge an Laufenbergs Inszenierungsstil aufleuchten, verglimmen sie ebenso schnell wieder, im ungünstigsten Fall wirken sie als billige Kopie, wie bei der Begegnung von Susanna und Cherubino, als die Busentatscherei so gar kein Ende nehmen will.

Von Erotik ist so wenig zu spüren wie von einer Spielfreude. Zwar bemüht sich Schad, die Bühne in Bewegung zu halten, im dritten und vierten Akt allerdings gehen ihm sichtlich die Ideen aus, und so bleiben die Akteure halt an der Rampe stehen. Beim Personal ist es der Abend der Claudia Rohrbach als Susanna. Sie wirbelt gut gelaunt über die Bühne, treibt das Tempo voran und präsentiert dabei einen klaren, reinen Sopran, wie er schöner kaum sein kann. Maria Bengtsson versucht, es ihr als Gräfin Almaviva gleich zu tun, vor allem aber, einen schönen Gesang in den Höhen zu erreichen, was ihr mit Anlauf auch gelingt. Das wirkt gekünstelt und braucht Zeit. Anderswo hat man den Cherubino als weltentrücktes, feengleiches Wesen gesehen, hier präsentiert Adriana Bastidas Gamboa einen eher plumpen Pagen, der oft genug reichlich hilflos auf der Bühne herumsteht und gesanglich biedere Hausmannskost abliefert. Gleich gar nicht recht in die Rolle der Marcellina will sich Hilke Andersen finden. Ji-Hyun An als Barbarina singt frisch und schön auf, allein, es mangelt ihr an Bühnenpräsenz. Wer als Grafen Almaviva einen vielschichtigen Charakter mit starker, vielleicht animalischer Ausstrahlung erwartet, der im Lauf der Handlung erkennen muss, dass seine Zeit vorüber ist, wird von Mark Stone enttäuscht. Wenngleich er im darstellerischen Ausdruck zur besseren Hälfte des Ensembles gehört, fehlt es ihm in der Stimme an Volumen. Und das auf einer denkbar sängerunfreundlichen Bühne. Ebenfalls mit seiner Stimme hadert Matias Tosi als bewegungsfreudiger Figaro, weil er die Tiefen kaum und nur mit Anstrengung erreicht. Basilio wird von Martin Koch sehr ordentlich gesungen. Warum der Sängerdarsteller dem Gesangslehrer einen tuntigen Touch verpassen muss, erschließt sich nicht.

Der Chor der Oper Köln, sonst unter Andrew Ollivant stets garantierter Erfolgsfaktor, bleibt dumpf und wirkt eher pflichterfüllend denn voll des frischen Lobes für den Grafen.

Das Gürzenich-Orchester mit Chloé Ghisalberti am Hammerflügel spielt schlank und transparent. Konrad Junghänel leitet das Geschehen mit geübter Hand in gewohnter Qualität. Dass die Bläser zwischendurch mehrfach ihren Platz verlassen, ist vermutlich besser, als durch Geschwätz zu stören.

Das Publikum applaudiert freundlich, vereinzelte Bravo-Rufe für die Rohrbach halten sich mit den Pfiffen für das Regie-Team in etwa die Waage, und nach überraschend kurzer Zeit verlassen Zuschauerinnen und Zuschauer eilig den Saal. Es ist das Ende einer Aufführung, die man gemeinhin und dann meist unberechtigt „in der Provinz“ verortet – aber vielleicht ist Köln da ja längst angekommen.

Michael S. Zerban

Fotos: Paul Leclaire