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Fakten zur Aufführung 

MUSIK
(Michael Langemann)
11. Dezember 2013
(Premiere am 7. Dezember 2013)

Oper Köln, Palladium


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Was vom Punk übrigbleibt

Erwarten kann man von dieser Uraufführung vieles, nur keine Langeweile. Die junge Autorin Helene Hegemann, ihres Zeichens kein Opernfreak und stolz darauf, legt immerhin ihre erste Regiearbeit im Musiktheaterbereich vor. Bekannt wurde sie 2010 durch ihren Debütroman Axolotl Roadkill, der in den Feuilletons eine ausgedehnte Debatte über Plagiatsvorwürfe, Urheberrechte und die Grenzen der Literatur entfachte. Seitdem ist Hegemann vielfältig unterwegs und nun eben auch in der Oper. Dass sie die Galionsfigur des Projekts ist, an dem viele Künstler mitarbeiten, bringt natürlich eine gewisse Erwartungshaltung mit sich, die nicht positiv behaftet sein muss. Ihre Einstellung zur Oper macht sie nicht unbedingt zur Wunschkandidatin des durchschnittlichen Opernfreundes, denn ihr geht es um eine ungezwungene Herangehensweise: „Genau aus dieser ausgebliebenen Festgefahrenheit resultiert der Wille, die eigene Idealvorstellung von Musiktheater umzusetzen.“ Dabei ist für Hegemann eine musikwissenschaftliche Bildung und Erfahrung in der Opernwelt eher ein Hindernis. Mit dieser Einstellung deckt sie ganz ungeniert ihre eigene Unzulänglichkeit auf, die Dramaturgin Janine Ortiz mit ihrer Bildung ausgleichen muss. Ohne Know-how geht es wohl doch nicht. Unabhängig von der Herangehensweise muss das Produkt letztendlich überzeugen – und das tut es.

Das Ganze basiert auf einem „Sittengemälde“ von Franz Wedekind aus dem Jahre 1908, das auf einer wahren Begebenheit aus dem Umkreis des Autors beruht. Hegemann adaptiert den Stoff und übersetzt ihn mit ihren eigenen Worten ins Jetzt: Die junge Sängerin Klara wird von ihrem Gesangslehrer überredet, sich vom Konservatorium abzuwenden, um bei ihm Privatstunden zu nehmen. Er verspricht ihr die ganz große Karriere. Unter einem Dach mit dem Ehepaar entwickelt sich eine schizophren-erotische Dreiecksbeziehung. Klara wird schwanger, zur Abtreibung überredet und fallen gelassen. Verrückt vor Schmerz, landet sie in der Nervenheilanstalt und wird vom reuigen Ehepaar wieder zu ihnen geholt. Erneut wird sie schwanger, doch dieses Mal entscheidet sie sich für das Baby – aber nicht gegen die Kunst. Der Fonds Experimentelles Musiktheater befand das Konzept für überzeugend, trotz und gerade wegen der Tatsache, dass Wedekind nie wollte, dass man die Musik erklingen lässt. Dennoch ist reichlich Raum für den nicht besonders skandalösen, dafür aber passenden Text von Hegemann. Sie schafft es, die Dialoge sehr natürlich zu gestalten. Da verspricht der Titelbeisatz I make hits motherfucker wesentlich mehr Provokantes à la Lady Bitch Ray. Vielleicht wollte sie den Spagat zwischen Oper und Pop nicht zu sehr strapazieren, wobei hier auch mehr Mut gefallen hätte. Alles in allem gelingt Hegemann ein wohlüberlegter und griffiger Text.

Die Übertragung des über 100 Jahre alten Stoffes bringt Probleme mit sich: 1908 bedeutete eine ungewollte Schwangerschaft für eine junge Frau Brandmarkung und Skandal, eine Abtreibung sogar Gefängnis; Geburtenkontrolle, Verhütung und Aufklärung waren so gut wie nicht vorhanden. Doch die Klara der Kölner Musik ist ein Kind der heutigen Generation „Maybe“, in der Frauen alles und nichts wollen, eben Kinder und Karriere; sie wachsen mit der Pille, Kondomen an der Supermarktkasse und einer vermeintlich freien Sexualität auf. Wie kann man da – zwei Mal – ungewollt schwanger werden? Der hier gewählte Ansatz gibt Stoff zum Nachdenken, denn Klara erzählt bereits vor ihrem Einzug in des Gesangslehrers Haus ihrer Mutter am Telefon scherzhaft, sie wolle „mit ihrem Gesangslehrer vögeln und zwei Kinder mit ihm machen“. War es also ein durch Klaras Wunsch nach Drama und Aufmerksamkeit bedingter Plan? Diese Lösung ist die einzige Möglichkeit, wie sich die Unvereinbarkeit von damaligem Sittengemälde und heutiger Akzeptanz von Abtreibung und weiblicher Verwirklichung vereinbaren lassen.

Musik kommt als Multimedia-Spektakel daher und will ein Gesamtkunstwerk sein, als neuartige „Synthese der Künste: Operngesang, symphonische Zwischenspiele, Tanz, Schauspiel, bildende Kunst, Popsongs, Performance und Kino.“ Wem das als unvereinbar erscheint, der sollte sich auf nach Köln machen, denn es funktioniert – mit Abstrichen. Der Wunsch, dem geplanten Konzept des Gesamtkunstwerks nachzukommen, mündet in überflüssigen Elementen. Am Ende zu viel und zu angestrengt „cool“ wirken die Pop-, Glamrock- und Punk-Zitate, die den Zuschauer regelrecht anspringen. Die Kölner Dancefloorszene soll den Tanzbereich abdecken und ein Band zum jungen Kölner knüpfen. Doch diese Performance würde jedem Kölner Clubgänger nur ein müdes Lächeln – wenn überhaupt – entlocken. Junge Tänzer bewegen sich in sportlichen Klamotten und einer gewollt lockeren, aber eher steifen Choreographie von Athol Farmer, die mehr nach „Dance for fans“ als nach heutiger Clubkultur aussieht. Überflüssig! Einzig die Soloszene von Esther Manon Siddique, die Modern-Dance-Elemente in präziser Ausführung und Spannung zeigt, passt ins Bild. Hätte man den Mut zur Lücke gehabt, wäre das Bild runder und konsequenter geworden. Denn die Vereinigung von Opernelementen, Musik, Zeitgenössischem und vor allem der großartigen Videokunst von Kathrin Krottenthaler gelingt wunderbar und hinterlässt einen nachhaltig tiefen Eindruck.

Die Bühne wird von den metallenen Treppen des Palladiums eingerahmt, bildet einen Laufsteg durch den Zuschauerraum und um das vor der Bühne platzierte Orchester einen Kreis, der ebenfalls bespielt wird. Zwei bewegliche Gazevorhänge bilden zwei Häute zwischen innerer Bühne und Zuschauer, auf die ebenso wie das die Bühnenrückwand bildende Video-Triptychon Videosequenzen projiziert werden, die mal die Handlung beschreiben, Teil des Raumes sind oder assoziativ-plakative Wirkung haben. Die Kostüme scheinen ebenso wie die Bühne das gesamte Konzept zu umreißen. Klaras erster Auftritt mit einem jugendstilartigen glitzernden blauen Schleier und Schleppe und ihr letzter Auftritt in aufregend-mondänem weißen Divenkleid haben etwas Tragisches, passend zur Selbstinszenierung dieser Partie. Sonst werden ihr eher legere Jeans, Leggins oder Shirt zuteil. Ins Schwarze getroffen und zur Charakterisierung behilflich sind die Kostüme Elsas, die vom aufregend enganliegenden, bodenlangen Kleid mit atemberaubendem Rückenausschnitt bis zum aufwändigen Zweiteiler Judith Rosmair auf den luxuriösen Leib geschneidert sind. Die Herren sind da etwas weniger inspiriert gekleidet. Im Gegensatz zu den roten Kutten der Tänzer, die später sportlich auftreten. Sowohl Kostüme als auch Bühne stammen von Janina Audick.

Obwohl Wagner thematisiert und musikalisch zitiert wird, geht der Trend weg vom durchkomponierten Werk, hin zu einzelnen musikalischen Sequenzen, die sich mit langen Episoden gesprochenen Spiels abwechseln. Der Begriff Musiktheater passt da wie die Faust aufs Auge. Michael Langemann hat für dieses Werk eine Musik geschaffen, die leider ein wenig auf ihren Platz in der Reihe verwiesen wird. Seine schmackhafte Komposition wird schnittchenhaft serviert und überzeugt mit postromantischem Klang, Pop-Montagen und durch subtil begleitend illustrierende Parts ebenso wie aufschreiende Emotionen.

Das Gürzenich-Orchester setzt die Musik unter der aufmerksamen Leitung von Walter Kobéra meisterhaft um. Etwas gewöhnungsbedürftig, wenn auch interessant, ist die Platzierung des Orchesters im Golden Circle vor der Bühne auf Höhe des Publikums, in dem sich bei einem Pop-Konzert sonst die treuesten Fans und VIPs aufhalten. So kommt man in den Genuss, einzelnen Orchestermitgliedern direkt ins Gesicht zu gucken und auch mal jemanden beim Gähnen zu erwischen. Nachteilig wirkt sich die Platzierung allerdings auf die ohnehin schwierige Akustik aus, denn die Sänger werden bei lauteren Passagen fast ganz übertönt.

Aber nicht die Musik ist der eigentliche Star. Der ist von Inszenierung, Konzept und Umsetzung her eindeutig Gloria Rehm als Klara, deren schönes Gesicht nicht nur durch die Projektionen allgegenwärtig ist. Hegemann sieht Klara „als Ikone“ ihres Stücks. Welch Glück, dass Gloria Rehm diese Partie übernimmt. Sie kann mit extrem hingebungsvollem Spiel, prägnanter Artikulation und ihrer wandelbaren Stimme überzeugen, die sich leider nicht immer im Spielraum und gegen das Orchester behaupten kann. Da ist sie aber nicht alleine, denn auch dem Rest des durchweg überzeugenden Ensembles ergeht es so. Henryk Böhms Bariton ist klangschön, allerdings hadert er hin und wieder mit seinem Charakter als Josef, der nicht ganz ausgereift entwickelt scheint. Schauspielerin Judith Rosmair verkörpert seine Ehefrau Else als verführerisch diabolisches material girl mit einer absolut umwerfenden Ausstrahlung und charismatischer Popstimme. John Heuzenroeder tritt als ihr Geliebter Franz leider im weißen Anzug, dafür aber mit Präsenz in Spiel und seinem hellen Tenor auf. Klaras Mutter wird von Dalia Schaechter stimmlich mit einigen rauen Ecken, darstellerisch aber perfekt gegeben. Lucas Singers kurzer Auftritt als Arzt bleibt aufgrund seines prägnanten Basses dennoch in Erinnerung. Vor allem muss man aber die Wandelbarkeit des gesamten Teams loben, das sich scheinbar mühelos sowohl auf musikalisch wie darstellerischem Boden bewegt.

Am zweiten Vorstellungstag finden sich hauptsächlich ältere Abonnenten ein, von denen einige in der Mitte des Stückes den Saal verlassen – was wohl auch mit der gleichzeitig gezeigten Herzoperation auf Video zu tun hat. Das sollte aber nicht als schlechtes Zeichen gewertet werden, denn Zielgruppe ist die Jugend. Die ist nur leider heute kaum anwesend. Der Applaus gerät kurz, scheinbar weiß das Publikum mit diesem Potpourri, das den Rahmen des konventionellen Musiktheaters verlässt, noch nicht viel anzufangen. Dem Ensemble und Team ist eine größere Aufmerksamkeit zu wünschen, durch ihre Leistung wird Musik zum Erlebnis der besonderen Art.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Paul Leclaire