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Fakten zur Aufführung 

MESSA DA REQUIEM
(Giuseppe Verdi)
30. Oktober 2011
(Uraufführung)

Palladium, Oper Köln

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Publikum

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Nach der Premiere

Regisseur Clemens Bechtel hat die Messa da Requiem mit szenischen Unterbrechungen versehen und damit das Werk in neue Zusammenhänge gebracht (3'59).


 

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Tod mit menschlichem Antlitz

Es ist still. Das Orchester sitzt. Der Dirigent steht davor. Das Licht ist noch an. Eine Frau kommt, in eleganter Alltagskleidung, und positioniert sich auf der Bühne. „Was machen die mit unserem schönen Verdi?“, fragt ein älterer Herr im Publikum. Sein Nachbar nickt missmutig. Weitere Menschen kommen. Ein Mann mit Fußball, eine Frau mit Kuscheltier, eine mit Kopftuch, eine vollschlanke mit einer pinkfarbenen Strähne. Als alle da sind, singen sie. Es ist der Chor.

Dieses Requiem im Kölner Palladium ist ein durch und durch ungewöhnlicher Theaterabend. Der vom Dokumentartheater kommende Regisseur Clemens Bechtel verankert Verdis Totenmesse tief im Heute. Dafür hat Matthias Schaller die hohen Wände des Palladiums weiß verkleidet, auch und vor allem als Projektionsfläche für die – durchaus verzichtbaren – Projektionen von Uli Sigg und Lucy Milanova. Vor der Rückwand steht ein Baugerüst mit drei Ebenen, von dem aus der Chor machtvoll sein Dies Irae in den Raum schleudern wird. In die quadratische Spielfläche sind weiße Fragmente eingelassen und formen eine Art zweidimensionales Labyrinth mit wenigen Requisiten, in dem sich Sänger und Sprecher ihre Wege suchen müssen. Die Choristen sind, recht aufwändig, von Sabina Moncys individuell in stilisierte Alltagskleidung gewandet worden, die Solisten tragen ebenso stilisierte Konzertgarderobe.

Nach dem Dies Irae, dem Tag des Zorns, betritt eine Frau die Bühne, Mitte 30, Brille, unauffälliger Typ. Sie erzählt in einfachen, klaren Worten von einem Aufenthalt in Japan, im März diesen Jahres, davon, wie schwer eine Katastrophe wie die in Fukushima geistig zu erfassen, emotional zu verarbeiten ist. Ihre Erzählung läuft auf eine Frage zu: Was kann, was muss der Einzelne tun? Wo beginnt, wo endet individuelle Verantwortung?

Diese Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch Clemens Bechtels Inszenierung. Die junge Frau, die fast an Bulimie gestorben wäre, nimmt ihre Verantwortung zu leben schließlich an. Die mit einer Morddrohung und dem Tod eines Straßenkinds konfrontierte Entwicklungshelferin und der türkische Schriftsteller, der durch sich verselbstständigende, willkürliche Staatsgewalt vom Sterbebett seines Vaters fern gehalten wird, tragen die Fragen stets mit sich herum. Bechtel schafft es, Verdis Musik auf diese Thematik zu beziehen. Er lässt Chor und Solisten nicht nur außergewöhnlich intensiv zuhören. Die Solisten haben sich zudem theatralisch zu dem Gehörten und Erlebten zu verhalten, sei es als souveräner, unbeteiligter Richter, als mitleidender Beobachter, als beflissener Schutzengel oder als Trauernder. Dabei entgeht der Abend nicht immer der Gefahr der Sentimentalisierung, geht aber reflektiert und souverän damit um.

„Du hast ein schönes Kleid an, nur die Federn sind mir ein bisschen zu viel“, sagt die junge Frau im Abgehen zur Sopranistin. Es ist der einzige direkte Kontakt zwischen den dramatischen Sphären. Die daraus resultierende theatralische und musikalische Trauerarbeit der Sängerin Adina Aaron gerät zur unvergesslichen Schlussapotheose.

Überhaupt, die Musik. Besser war der Chor der Kölner Oper zuvor noch nicht zu hören. Ob es die, durch das kongeniale Licht von Andreas Grüter unterstützte, inszenatorisch behauptete Individualisierung ist, die hervorragende Einstudierung durch Andrew Ollivant oder die wunderbare musikalische Disposition des Gastdirigenten Fabrice Bollon, ist nicht zu entschlüsseln. Auch das Gürzenich-Orchester spielt fantastisch. Bollon lässt weder opernhaft noch asketisch sakral musizieren. Er baut einen sinnlichen, mal meditativ weichen, mal brausend strengen Klang um die an diesem Abend wirklich begeisternden Blechbläser auf.

Die Sprecher Martina Frank, Sonja Grolig, Caroline Klütsch und Dogan Akhanli sprechen mutig und ohne jede Effekthascherei über eigenes Erleben. Ihr Zusammentreffen mit den Gesangssolisten setzt geradezu eruptiv theatralische Energien frei.

Nach dem an diesem Abend Gehörten, dürfen die Sopranistin Adina Aaron und auch der Bassist Dimitry Ivashchenko als geradezu ideale Verdi-Interpreten bezeichnet werden. Die Stimmen sind groß dimensioniert und verfügen über ein tragfähiges Piano in jeder Lage. Die Register sind optimal verblendet, die Höhe scheint unbegrenzt expansionsfähig. Und sie klingen schön! Jovita Vaskeviciute steht ihnen mit dunkel strahlendem, mächtigem Alt kaum nach. Der außergewöhnlich schön timbrierte, junge Tenor Michael Fabiano steigert sich nach nervösem Beginn und etwas flackerndem Ingemisco und erreicht nahezu das Niveau seiner Kollegen.

Dieses Kölner Requiem ist ein großer Triumph von Verdis Musik, der einen etwas kleineren von Clemens Bechtels Inszenierungsidee ermöglicht.

Das einzig Ärgerliche an diesem Theaterabend sind die wenigen Zuschauer, die mit dem geistigen Ansatz nicht anfangen können und absatzklackernd und Türen knallend ostentativ und rücksichtslos das Haus verlassen. Der skeptische ältere Herr übrigens applaudiert still und begeistert und nickt fast gerührt seinem Nebenmann zu.

Andreas Falentin