Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LEONCE UND LENA
(Christian Spuck)
7. November 2013
(Uraufführung am 27. April 2008)

Oper Köln


Points of Honor                      

Musik

Tanz

Choreografie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

A little bitty tear

Georg Büchner schrieb 1836 das Stück Leonce und Lena für einen Lustspiel-Wettbewerb. Er reichte den Text nicht fristgerecht ein und Leonce und Lena wurde als romanische Komödie der Gattung „Lustspiel“ erst später bekannt. Vielleicht wäre bei einer gelungenen Wettbewerbsteilnahme aufgefallen, dass es sich bei dem Stück nicht nur um ein Lustspiel handelt: Die Geschichte um den gelangweilten Prinzen Leonce im Reiche Popo und seine unfreiwillige Verlobung mit der Prinzessin Lena aus dem Reich Pipi bietet eine doppelbödige Lesart. Hinter der heiteren Kost steckt politische Satire. Büchner kritisiert die irrwitzig-monarchischen Verhältnisse der Zwergenstaaten im Deutschen Bund. Wortreich, ironisch und mit Anleihen und Zitaten aus bekannten Texten fragt Leonce und Lena nach dem Lebenssinn, ist heiter und fatalistisch zugleich. Am Ende schließt sich der Kreis, es hat sich nichts geändert, und die Langeweile kehrt wieder ein.

Das Stück liest sich heute noch genauso aktuell und wirkt wenig verstaubt. Da wundert es nicht, dass es noch genügend Zündstoff für einen interpretatorischen Neuzugang in Form eines Balletts bietet. „Seit langem fasziniert mich Georg Büchners bilderreiche und witzige Sprache, sein scharfer Blick auf die soziale Realität seiner Zeit“, sagt Christian Spuck, der als Choreograph in der Tradition des Stuttgarter Balletts steht. Leonce und Lena kreiert er 2008 für das Essener Aalto Ballett. „In Leonce und Lena habe ich versucht, die Karikatur der Sprache für den Körper neu zu erfinden.” Offensichtlich ein erfolgreiches Vorhaben: Das Stück ist ein Publikumserfolg und wird in das Repertoire des Stuttgarter Balletts aufgenommen. Auch in Kanada ist es zu sehen. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Spuck Direktor des Ballett Zürich und hat mit der dortigen Kompanie seine Leonce und Lena neueistudiert. Das ist sinnig, ist Büchner doch in Zürich begraben und sein 200. Geburtstag jährt sich 2013.

Die Tanzgastpiele der Kölner Oper haben Spucks Ballett nun für einen Abend nach Köln geholt. Die Walzer der Strauss-Familie, Zimmermann, Schnittke, Delibes und viele andere Evergreens der so genannten E-Musik tönen aus den Lautsprechern. Die Aufnahmen sind unter der Musikalischen Leitung von James Tuggle entstanden. Auf der Bühne läuft Leonce mit einem Kassettenrecorder umher und spielt damit U-Musik ab: The Mamas and the Papas, Eartha Kitt und Hank Cochran. Immer kommentarhaft eingesetzt, überspitzt die Musik an diesem Abend die Bilder auf der Bühne. Die ist durch eine geschwungene und bewegliche Wand ständig im Wandel begriffen: Königreich, Wirtshaus, Reisestationen. Die Tänzer verschieben die Wand, verschwinden hinter ihr, klettern an ihr empor oder gehen durch eine kleine Tür durch sie hindurch. Das Bühnenbild stammt von Emma Ryott und schafft wunderbare Räume für die Tänzer des Ballett Zürich, sowie dem Junior Ballett. Die Kostüme stammen ebenfalls von Ryott und fügen sich in das Konzept passend ein: Überzeichneter Empire-Stil in klaren farbigen Abstufungen. Die höfischen Tanzpaare tragen schwarze seidene Schichten über lilafarbener, roter, blauer und grüner Kleidung. Die bäuerlichen Paare tragen Erdtöne. Überspitzte rote Münder und grimmig nach unten gezogene Mundwinkel formen alle Tänzer an diesem Abend. Es ist ein puppenhaftes Marionettentheater, was da auf der Bühne abgebildet wird. Der Automat als sinnbildliche Darstellung vom perfekten Menschen dient der Bewegungssprache. Die Begeisterung der Menschen im 19. Jahrhundert für Automaten und automatisch betriebene Puppen inspiriert Spuck zu Bewegungen, die die Tänzer wie lebendige Puppen aussehen lassen. Das sind Elemente, die sich konsequent durch den Abend ziehen. Was auch der Dramaturgie von Ester Dreesen-Schaback und Michael Küster zu verdanken ist. Die Lichtgestaltung von Reinhard Traub unterstützt die gefundenen Bilder.

William Moore und Katja Wünsche tanzen das füreinander vorbestimmte Paar Leonce und Lena eindrücklich. Die Flucht und Sinnsuche lässt sie ein wunderbares Pas de Deux in Nachtwäsche tanzen, das Raum und Zeit vergessen lässt. Aber auch das von Spuck hinzugefügte Paar Valerio, schalkhaft interpretiert von Arman Grigoryan, und Gouvernante, schlaksig grazil getanzt von Juliette Brunner, ist stimmig. Rosetta ist die Mätresse des Prinzen und wird an diesem Abend von Viktorina Kapitonova süß-überheblich im signalroten Kleid dargestellt. Es macht Spaß, ihrem Gebaren zu folgen. Auch sie kann Leonce nicht von seiner Langeweile befreien.

So wie Büchner in seinem Text andere Autoren zitiert, verweist auch Spuck auf Choreographien, Kostüme, Requisiten und Bewegungen aus seiner Welt des Tanzes. Natürlich zitiert er unter anderen Cranko und Kenneth MacMillan. Die gesichtslosen Politiker von Kurt Jooss‘ Erfolgsstück Der Grüne Tisch finden sich hier in den Bediensteten des Königs wieder. Besonders eindrucksvoll tritt Yen Han als Hofmeister hervor. Spuck wählte einen schauspielerischen Zugang zu Leonce und Lena. Alle Tänzer sind auch Darsteller ihrer zuweilen komischen Charaktere. Das gelingt dem Ensemble unterschiedlich gut, aber durchweg unterhaltsam. Besondere schauspielerische Fähigkeiten demonstriert Filipe Portugal als König Peter. Er unterbricht den Erzählfluss des Abends, um den Zuschauern in mehreren Ansätzen Text aufzusagen, den er vergessen hat. Er lässt das Saallicht hochfahren ohne Konsequenz. Auch er zitiert verschiedene Bewegungen, als es um die Hochzeitsvorbereitungen geht: Der König rockt die Bühne im Freestyle-Diskotanz und legt dabei einen Bewegungsreichtum an den Tag, der dem Publikum helle Freude bereitet. Es wird viel geschmunzelt und gelacht an diesem Abend. Im Epilog klingt Hank Cochrans Song Little Bitty Tears aus Leonces Kassettenrekorder. Auf der Bühne ist die graue Routine wieder eingekehrt und offensichtlich hat sich nichts geändert.

Die Zuschauer hält es nicht mehr länger in den Sitzen. Sie spenden begeisterten Beifall und lassen Spuck nur ungern weiterziehen. Man hat Cochrans Song im Ohr und kann durchaus eine winzig-kleine Träne vergießen bei dem Gedanken, dass dieser Abend so schnell vorbei war und das Zürich Ballett Köln nun wieder verlässt.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Judith Schlosser