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Fakten zur Aufführung 

KÖRPER
(Sasha Waltz & Guests)
7. Oktober 2011
(Uraufführung Berlin
22. Januar 2000)

Oper Köln


Points of Honor                      

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Verstörend immer noch

Dieses Jahr steht bei Sasha Waltz mehrheitlich im Zeichen der Oper, der choreografischen Oper, wie sie es nennt. Im Mai bringt sie Toshio Hosokawas neues Werk für das Musiktheater Matsukaze in Brüssel zur Uraufführung, mit anschließenden Stationen in Luxemburg, Warschau und an der Berliner Staatsoper. Purcells Dido und Aeneas von 2005 wird im August für die Berliner Waldbühne wieder aufgenommen. Doch daneben werden eine ganze Reihe älterer Produktionen auf Tournee geschickt, darunter Waltz' inzwischen legendäre Choreografie Körper, die jetzt an zwei Abenden an der Kölner Oper gastiert. Körper begründet bei der Uraufführung im Jahre 2000 an der Schaubühne am Lehniner Platz Waltzs Stil und nicht zuletzt ihren künstlerischen Ruhm.

2011 tritt Körper mit unveränderter Autorität vor das Publikum, mit hoher Kohärenz, schlichtweg atemberaubender Stimmigkeit und grandioser Perfektion. Faszinierend ist die integrative Leistung der Kompagnie, die energetischen Abläufe der Bewegungen sind von so traumhafter Sicherheit, dass eigentlich mehr von einem lebenden Organismus zu reden wäre als von einer Gruppe von dreizehn Tänzern und Tänzerinnen. Dabei ist es gar nicht so leicht, sich musikalisch und strukturell in der kargen Klang- und Geräuschlandschaft von Hans Peter Kuhn zurechtzufinden. Nur selten wird es melodiös, für wenige Momente geborgter Schönheit, in denen sich Musik, Tanz und Körper einmal walzerselig vereinen.

Ganz lapidar beginnt das Stück, während das Publikum sich noch im Auditorium versammelt. Man hört die Anfänge des soundscapes. Hände, Arme und Beine winden sich aus einer bühnenhohen Wand, dem einzigen Requisit, zwei Personen vermessen sich mit Kreide an der Wand. Überhaupt ist die Szene reduziert: das Bühnenbild von Thomas Schenk, Heike Schuppelius und Sasha Waltz ist zurückgenommen und funktional, die Kostüme von Bernd Skodzig schlicht und schwarz und das Licht wirkungsvoll und präzis eingesetzt von Valentin Gallé und Martin Hauck. Immer wieder wird im Verlauf des etwa 90-minütigen Stückes der Körper fragmentiert, erkundet, zugerichtet. Sasha Waltz seziert in additiv gesetzten Szenen ohne narrative Bindung Segmente des Körpers, lässt Glieder, Haut und Haare sprechen. Der menschliche Körper im beginnenden 21. Jahrhundert steht im Spannungsfeld zwischen Schönheit und Hässlichkeit. Er ist einerseits Ausbund von Stärke und Virtuosität, bedrängtes Opfer von Vergänglichkeit und Krankheit andererseits. Doch insgesamt dominiert der Modus der Entfremdung und Kommerzialisierung: Körper sind heute angstbesetzte Orte. Bedroht von Krankheit und Tod dienen Körper als kommerzielle Ersatzteillager im Organbusiness, stehen rasant unter medial idealisiertem Diktat jugendlicher Schönheit und Leistungsfähigkeit. Sasha Waltz findet in vielen Szenen und Sequenzen immer wieder eindrucksvolle, sich auf Dauer einbrennende Bilder, etwa wenn sich in einer Fenstervitrine Körper auf Körper schichtet, entblößt zwar, doch ohne dass je der Eindruck von Nähe entsteht. Die Haut ist unüberwindbare Grenze des Körpers zu anderen, der Körper ein rätselhaftes Gefängnis, unentrinnbar sind wir ihm ausgeliefert, so sehr wir Körper sind, so unerklärlich bleibt er uns zugleich. Entfremdet sind wir uns und anderen, so das Ergebnis der Waltzschen Untersuchung: nüchtern distanziert die Diagnose, eigentlich ganz ohne Trost.

Ein nachdenklich reagierendes Publikum im ausverkauften Opernhaus feierte die Kompagnie nach einigen Minuten des Schweigens mit stürmischen Ovationen.

Dirk Ufermann

Points of Honor Tanz: 5







Fotos 1-3: Sasha Waltz & Guests
Fotos 4-5: Bernd Uhlig