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Fakten zur Aufführung 

JAKOB LENZ
(Wolfgang Rihm)
22. März 2014
(Premiere)

Oper Köln, Trinitatiskirche


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Wenn die Seele zur Bühne wird

So konzentriert und treffsicher wie in seiner im blutjungen Alter von 25 Jahren geschriebenen Büchner-Adaption Jakob Lenz hat sich Wolfgang Rihm in seinen späteren und vor allem größeren Bühnenwerken nicht mehr mitteilen können. Durch die Reduktion des Orchesters auf elf Musiker, durch die plastischen kompositorischen Stilmittel, die Fokussierung auf nur drei Hauptdarsteller und den minimalen äußeren Aufwand versperrt nichts den Blick in die Seele des verunsicherten Titelhelden. Die Seele wird hier zur Bühne. Und die Entdeckung der stillen Trinitatiskirche als Spielstätte unweit des hektischen Trubels rund um den Heumarkt gehört zu den Verdiensten des mittlerweile geschassten Kölner Opernintendanten Uwe Eric Laufenberg. Hier gelang vor zwei Jahren eine beeindruckende Produktion von Benjamin Brittens Kammeroper The Turn of the Screw. Und auch für Rihms Jakob Lenz lässt sich kaum ein besserer Bühnenort vorstellen.

Der in Sachen Neue Musik erfahrene argentinische Dirigent Alejo Pérez findet in der Trinitatiskirche erstklassige akustische Voraussetzungen und in dem elfköpfigen Ensemble des Gürzenich-Orchesters engagierte Mitstreiter, die die feinen Klangmischungen der Partitur vorbildlich zum Klingen bringen. Rihm begnügt sich mit drei Violoncelli, einigen Bläsern, viel Schlagzeug und einem Cembalo, um den seelischen Wallungen der Hauptfigur nachspüren zu können. Das Cembalo schafft eine gewisse historische Distanz, die eine direkte Identifikation mit den Leiden des unglücklichen Dichters verhindert. Die Subtilität, mit der Rihm zu Werke geht, ist bei Pérez bestens aufgehoben und wird von den einerseits hohen, andererseits bedrückenden Mauern der Kirche unterstützt.

Die Titelrolle ist eng mit den Leistungen des unvergessenen, vor vier Jahren viel zu früh verstorbenen Richard Salter verbunden. In Köln präsentiert sich mit Miljenko Turk ein erheblich jünger wirkender, körperlich agilerer Lenz, der die weiten Dimensionen des Kirchenschiffes mit beeindruckender physischer Kondition durchhetzt und dabei die Rolle voll aussingt, ohne die Stimme über Gebühr zu verzerren oder Gesangslinien deklamierend aufzulösen. Eine glänzende Leistung.

So unerwartet das Stimmungsbarometer des Jakob Lenz aus- und umschlägt, so sicher steht der Pfarrer Oberlin mit beiden Beinen und einem felsenfesten Gewissen auf dem Boden des Lebens. Wolf Matthias Friedrich gibt der Figur stimmlich und darstellerisch das entsprechend stabile Format. Schillernder tritt Lenz‘ Jugendfreund Kaufmann auf, den John Heuzenroeder mit seinem geschmeidigen Tenor wie einen Bruder Loges erklingen lässt: pragmatisch und anpassungsfähig. Sechs Frauenstimmen begleiten das Geschehen kommentierend oder ergänzend in verschiedenen Funktionen, oft als geheimnisvolle Schatten den Titelhelden wie Macbeths Hexen umgarnend.

Die Regisseurin Béatrice Lachaussée und ihre Bühnenbildnerin Nele Ellegiers liefern mit dem Kölner Lenz ihre erste eigene große Opern-Produktion und überzeugen auf ganzer Linie, wobei sie die architektonischen Vorteile der Spielstätte voll ausnutzen. Der Altarraum und die Rückwand bilden die Endpunkte eines langen, das ganze Kirchenschiff durchziehenden Stegs, der den Sängern viel Laufarbeit abfordert. Die Fantasien und Exzesse des Lenz gewinnen im Altarraum eine kultische Aura, am anderen Ende wartet eine Gebirgslandschaft mit einem Gewässer auf ihn, in das er sich mehrmals zu stürzen versucht. Den Laufsteg unterbricht ein steiniger Hügel, der die Figuren immer wieder ins Stolpern bringt.

Béatrice Lachaussée vermeidet jedes Klischee wahnhafter Exaltiertheit. Sie sieht Lenz nicht als Wahnsinnigen, sondern als einen von der Realität irritierten, enttäuschten und letztlich abgestoßenen Menschen, dem alle Ideale verloren gegangen sind und der als entwurzeltes Individuum am Ende selbst von den wenigen ihm noch wohl gesonnenen Personen in dunkler Einsamkeit zurückgelassen wird. Nicht Wahnsinn stellt sich ein, sondern Verzweiflung. Und das vermögen sowohl die Regisseurin als auch die Darsteller und Michael Fröhlings geschickt arrangiertes Libretto vorbildlich sicht- und spürbar zu machen. Von Rihms genialer Musik ganz zu schweigen.

Viel Beifall für eine äußerlich kleine, künstlerisch große Leistung der Kölner Oper.

Pedro Obiera





Fotos: Bernd Uhlig