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Fakten zur Aufführung 

DIE GEZEICHNETEN
(Franz Schreker)
25. April 2013
(Premiere am 20. April 2013)

Oper Köln, Palladium


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Getrieben von Gier und Lust

Die beeindruckende hundertjährige frühere Industriehalle des Palladium hat Platz für viele Ideen und Events, ein wenig Genua, ein Autofriedhof, eine Penthauswohnung, ein gläserner Kontrollraum aus einer Produktionshalle - alles kein Problem. Die Halle bietet viel Platz für die Umsetzung solcher Ideen. Auch für das Opernorchester, auf zwei Blöcke und zwei Emporen verteilte Zuschauer ist reichlich Platz. Hier lassen sich viele Stimmungen zaubern. Und die bietet Patrick Kinmonth in Fülle mit seiner Inszenierung der 1918 uraufgeführten Oper von Franz Schreker, der für Musik und Text verantwortlich zeichnet.

Kinmonth deutet den ursprünglich von Schreker gewählten Ort der Handlung nur durch die Kostüme an, genuesische Damen in weiten Barockkleidern, Edelleute in schwarzen Gewändern - aber das nur beiläufig. Kinmonth durchbricht den Zeitrahmen von Schreker und springt nahezu beliebig vom 18. in das 20. und 21. Jahrhundert, die Akzente seiner Inszenierung sind zeitlos: das Getriebensein der Menschen von Gier und Lust, die immer wieder auftauchenden Täuschungen und Enttäuschungen, das Erleben der einzig wahren Liebe - diese Motoren menschlichen Seins sind zeitlos. Konsequent, wenn dann auch die Kostüme der Barockdamen zwiespältig geteilt bleiben, unter den Reifröcken blitzen schwarze Dessous hervor.

In gewisser Weise dreht sich die Handlung im Kreise. Alviano Salvago, ein verunstalteter genuesischer Edelmann, ein Sonderling, ist seelisch so verkrüppelt, dass er kein physisches Handicap braucht. Er ist und bleibt eine bemitleidenswerte Figur, die am meisten von sich selbst bemitleidet wird. Sein edler Gegenspieler ist Graf Tamare, der ihm zum Schluss noch Carlotta ausspannt, sein Edelmut hat eben Grenzen. Zwischen beiden steht Carlotta, eine verführerisch anziehende Malerin, die ihrer Lust kaum „Frau“ werden kann. Dass die Orgien, die Tamara auf der sprichwörtlichen Insel der Seligen „Elysium“ mit Carlotta feiert, die Spannungen auf die Spitze treiben, versteht sich.

Manches bleibt rätselhaft, wenn etwa den Rostlauben des Autofriedhofes immer mal wieder fein lackierte Damen entsteigen oder engelweiße Gestalten durch die Szene laufen. Andere Bezüge sind klarer, wenn der Gezeichnete sich weigert, sein Bild im Spiegel anzusehen, oder Carlotta sein gemaltes Portrait zerstört. Dass dann die genuesischen Edelmänner durch eine demonstrierende Menge ersetzt werden und die Landespolizei eingreift, stört den Handlungsablauf kaum. Allmählich wird klar, der „Bucklige“, diese Figur des Hässlichen, ist beileibe nicht der einzige „Gezeichnete“ in dieser feinen Gesellschaft. Aber er ist der einzige, der seine Konsequenz zieht aus der tiefen Enttäuschung, in der ihn Carlotta zurück lässt. Ein Schuss genügt ihm.

Das von Kinmonth geschaffene Bühnenbild bleibt durchweg düster und verliert sich oft in der Weite der Halle. Oberhalb der Bühne hat Kinmonth seitlich zwei Glaskästen installiert, wovon einer als Maler- und Liebesstudio, der andere als Kontroll- und Wohnraum dient, viele Aktionen darin hinter Milchglas abgeschirmt.

Stefan Vinke spielt den unglücklichen Edelmann Salvago ohne entstellendes Körpermerkmal mit großer Intensität. Es gelingt ihm überzeugend, mit ausdrucksstarkem Tenor die wechselnden Stimmungen des „Gezeichneten“ zu präsentieren. Nicola Beller Carbone changiert zwischen einer fanatisch-berufenen Malerin und der ihrer Lust hingegebenen Bürgermeisterstochter. Ihr heller Sopran kann sowohl Tamare den Kopf verdrehen wie in dramatischen Szenen Alviano verführen und zurückweisen. Simon Neal zeichnet den Grafen Vitelozzo Tamare mit baritonaler Kraft in all seinen zwielichtigen Eigenschaften. Oliver Zwarg als Adorno und Jyrki Korhonen als Podesta geben mit dunklen Stimmlagen Kontraste zu den ersten Rollen. Zahlreiche kleinere Partien komplettieren mit klangvollen Stimmen das Ensemble. Der Chor, von Andrew Ollivant zuverlässig vorbereitet, trägt wesentlich zur Klangfarbe der Musik bei. Markus Stenz hat ein bestens vorbereitetes Orchester zur Verfügung, das ihm in wagnerähnliche rauschende Klangkathedralen ebenso folgt wie in filigrane Passagen, die an Puccini-Klänge erinnern. Stenz breitet überzeugend Klänge aus, die Schrekers musikalischen Ideenreichtum am Übergang von Romantik zur Moderne erkennen lassen.

Für 19 Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 des Kurses Kunst/Musik des Leibniz-Gymnasiums in Dormagen ist es ein besonderer Abend. Sie haben im Rahmen eines Workshops die Werkstätten besichtigt, Interviews mit den Künstlern und Technikern geführt und eine Generalprobe besucht. Mit der Aufführung machen sie eine neue, spannende Erfahrung, denn „kaum einer von uns war vorher in der Oper“. Ihre Kritik ist durchaus fachmännisch. Sie sind überrascht, denn auf der Bühne „herrschte … eine komplett andere Stimmung als bei unserem ersten Besuch bei der Besichtigung. Es war dunkel, das Orchester saß bereits und auf der Bühne lag ein Toter“. Sie sehen das Problem der zweiseitigen Bühne.

Die Sänger mussten sich ständig zu beiden Seiten drehen, so dass man sie manchmal nicht mehr gut hören konnte. Da sie auch den Dirigenten in manchen Positionen nur über Monitor sehen konnten, wirkte das Schauspiel manchmal ein bisschen merkwürdig. Die Akustik war auch ein bisschen schwierig, oft war das Orchester zu laut.“ Sie schauen genau hin: „Außerdem war das Bühnenbild langweilig und grau gestaltet“. Ihr Gesamturteil: „Für unser Alter war der Besuch in der Oper nicht so spannend“.

Das opernerfahrene Publikum ist von dieser Inszenierung begeistert und berührt. Lang anhaltender Beifall, mit Bravorufen verziert, gilt sowohl der Inszenierung als auch der Musikpräsentation, die viele Besucher überzeugt hat. Besondere Anerkennung erhalten Nicola Beller Carbone für ihre Carlotta und Stefan Vinke für seinen Alviano Salvago.

Horst Dichanz







Fotos: Klaus Lefebvre